Ist „Listerine Cool Mint“ krebserregend?

Es ist nicht alles Gold, was als „Studie“ glänzt

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In einer belgischen Studie wird vor der regelmäßigen Verwendung von „Listerine Cool Mint“ gewarnt, weil die Mundspüllösung durch Mikrobiomveränderungen angeblich krebserregend sein könnte. Wie zu erwarten war, gehen solche pointierten Aussagen in Publikumsmedien schnell viral. Die Behauptung ist jedoch wissenschaftlich nicht haltbar. Mehr noch: Die Methodik und die erschreckend eindimensionale Schlussfolgerung werden unter Wissenschaftlern harsch kritisiert, wie unsere Nachfrage bei Prof. Nicole Arweiler zeigt.

Die Gruppe Forschender warnt vor Listerine, weil der regelmäßige Gebrauch der alkoholhaltigen Mundspüllösung das Mikrobiom so verändern soll, dass Bakterien, die mit verschiedenen Krebserkrankungen in Verbindung gebracht wurden, vermehrt auftreten sollen. Wer die Studie genauer liest, kommt jedoch schnell zu dem Schluss, dass die Behauptung weder vom Studiendesign noch von den erhobenen Daten gedeckt ist.

Das im Journal of Medical Microbiology veröffentlichte Papier ist Teil einer größeren Studie, in der die Verwendung von Mundspüllösungen als Methode zur Verringerung der Übertragung von sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) bei Männern, die Sex mit Männern haben, untersucht wurde. Der Pharynx gilt den Studienautoren zufolge als „wichtiges Reservoir für die Infektion und Übertragung bestimmter STIs“ – insbesondere Neisseria gonorrhoeae besiedele häufig den Oropharynx und spreche an dieser anatomischen Stelle weniger gut auf Antibiotika an, heißt es in der Studie [Laumen et al., 2024].

Die Forschenden wollten dabei auch untersuchen, ob die verwendete Mundspülung Auswirkungen auf das orale Mikrobiom der Patienten hat. Für die Teilstudie wurden 64 Männer rekrutiert, die Sex mit Männern haben, eine HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) einnehmen und in den vergangenen zwei Jahren eine symptomatische oder asymptomatische sexuell übertragbare Infektion (Chlamydia trachomatis / Neisseria gonorrhoeae / Syphilis) hatten. Die Hälfte der Probanden hatte deshalb in den sechs Monaten vor Studienbeginn einen antimikrobiellen Wirkstoff eingenommen, die andere Hälfte nicht.

Für die doppelt verblindete, randomisierte, kontrollierte Studie erhielten die Teilnehmer eine ihnen unbekannte Mundspüllösung, die sie über einen Zeitraum von drei Monaten verwenden sollten – danach wurde gewechselt (entweder Listerine Cool Mint oder ein Placebo). Die Probanden wurden instruiert, einmal täglich eine Minute mit 20 ml unverdünntem Mundwasser zu gurgeln und zu spülen. Darüber hinaus sollten sie die Mundspüllösung vor und nach dem Sex verwenden – ebenso ihr Partner. Abstriche wurden zu Studienbeginn, nach drei und nach sechs Monaten entnommen, wobei die Dauer zwischen der letzten Mundspülung und dem Abstrich nicht erfasst wurde. Die Abstriche wurden „durch Abreiben beider Tonsillen und des hinteren Oropharynx“ durchgeführt [Laumen et al., 2024].

Die Studie umfasste nur 54 Probanden

Aufgrund des Ausscheidens von zehn Probanden konnten vollständige Proben schließlich nur von 54 Teilnehmern gesammelt werden. Lediglich 63,9 Prozent der Probanden verwendeten ihre jeweiligen Studienmundspülungen täglich, und zwar mindestens während einer Zeitdauer von 75 Prozent des veranschlagten Drei-Monats-Intervalls. Rund die Hälfte der Teilnehmer benutzte bereits im Monat vor Beginn der Studie regelmäßig eine Mundspüllösung. Wann sie diese das letzte Mal vor der Baseline-Untersuchung verwendeten, bleibt unbekannt, ebenso wie die verwendeten Präparate.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Alpha-Diversität des oropharyngealen Mikrobioms nach dreimonatiger Anwendung von Listerine Cool Mint nicht signifikant unterschied, Unterschiede konnten in der Zusammensetzung des Mikrobioms im Vergleich zum Ausgangswert festgestellt werden. Zwei Arten opportunistischer Bakterien kamen nach dreimonatiger täglicher Anwendung der alkoholhaltigen Mundspülung häufiger am Oropharynx vor: Fusobacterium nucleatum (mediane F. nucleatum CLR transformierte Abundanz zu Studienbeginn 0,16 versus LCM 2,19, P = 0,003) und Streptococcus anginosus (mediane CLR-transformierte Abundanz zum Ausgangswert 0,24 gegenüber LCM 2,58, P = 0,004). Die Forschenden stellten auch einen Rückgang von Actinobacteria fest (mediane CLR-transformierte Abundanz bei Ausgangswert 3,82 gegenüber LCM 2,69, P = 0,005).

Actinobacteria gehören zu den Nitrat-reduzierenden Bakterien und tragen zur Regulierung des Blutdrucks bei. Laumen et al. räumen allerdings ein, dass „die Häufigkeit nitratreduzierender Bakterien von individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Gesundheit und Lebensstil beeinflusst“ wird und deshalb mit Vorsicht interpretiert werden muss [2024]. Im Fall der erhöhten Anteile von S. anginosus und F. nucleatum weisen die Autoren aber auf eine mögliche Verbindung mit schweren Allgemeinerkrankungen hin: „Die Verwendung von Listerine […] steht mit einer erhöhten Abundanz häufiger opportunistischer Bakterien in der Mundhöhle in Verbindung […], von denen zuvor berichtet wurde, dass sie bei Parodontalerkrankungen, Speiseröhren- und Darmkrebs sowie systemischen Erkrankungen angereichert sind.“ Sie schlussfolgern daraus, „dass die regelmäßige Verwendung von Listerine-Mundwasser sorgfältig überdacht werden sollte“ [Laumen et al., 2024].

Die Schlussfolgerungen sind wissenschaftlich nicht haltbar

Angesichts der methodischen Schwächen der Untersuchung und der eher schwach einzuschätzenden Validität und Reliabilität der erhobenen Daten ist diese Schlussfolgerung allerdings wissenschaftlich nicht haltbar. Dies wird in einer Fülle von Details deutlich. Wenn beispielsweise – wie von den Autoren angenommen – eine Assoziation von Alkohol und einer erhöhten Anzahl von S. anginosus und F. nucleatum besteht, ist es nicht nachvollziehbar, warum nicht erhoben wurde, ob die Probanden während des Studienzeitraums regelmäßig und gegebenenfalls in welchem Umfang Alkohol konsumiert haben. Informationen über Ernährungsgewohnheiten und Rauchen wurden ebenfalls nicht abgefragt, obwohl insbesondere Rauchen deutliche Auswirkungen auf das orale Mikrobiom hat.

Weitere methodische Schwächen sind die kleine Kohorte sowie der ausgewählte Probanden-Pool (ausschließlich Männer, PrEP, sexuell übertragbare Infektion innerhalb der letzten zwei Jahre). Die Ergebnisse dieser Studie sind offensichtlich nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.

Der Abstrich erfolgte nicht oral

Weiterhin wurden alle Abstriche im hinteren Oropharynx und im Bereich der Tonsillen entnommen und nicht oral. Inwieweit die Mundspüllösung in diesen Bereich gelangt ist, bleibt fraglich. Ebenso stellt sich die Frage, ob diese Abstriche auch nur annähernd das Mikrobiom der Mundhöhle repräsentieren können. Über die Mundgesundheit der Probanden gibt es überdies keinerlei Informationen.

Die Probanden haben angegeben, die Mundspüllösung nicht exakt gemäß dem Protokoll verwendet zu haben (nur knapp über die Hälfte verwendete die Spüllösung täglich). Auch wurden die Abstriche nur in dreimonatigen Abständen entnommen – ohne zu dokumentieren, wann zuletzt gespült wurde.

Kastentitel

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  • Aufzählung

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Bemerkenswert ist weiterhin, dass Laumen und ihre Kollegen auch nach der Placebo-Spülung signifikante Veränderungen im Mikrobiom feststellten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass auch andere Faktoren neben der Listerine-Spülung für die Mikrobiomveränderungen infrage kommen.

Auch wenn Alkohol als Bestandteil von Mundspüllösungen durchaus kritisch diskutiert werden kann, ist die Schlussfolgerung der Autoren, auf der Basis der vorliegenden Daten auf eine Gesundheitsgefahr von Listerine zu schließen, wissenschaftlich nicht haltbar. In Verbindung mit einer darauf aufsetzenden Berichterstattung in den Publikumsmedien, die insbesondere die nicht repräsentative Zusammensetzung der Probandengruppe unterschlägt und den Eindruck erweckt, die Studienergebnisse ließen sich problemlos auf die Bevölkerung übertragen, wird der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft im öffentlichen Raum ein Bärendienst erwiesen.

Die Studie: 
Laumen JGE, Van Dijck C, Manoharan-Basil SS, de Block T, Abdellati S, Xavier BB, Malhotra-Kumar S, Kenyon C: The effect of daily usage of Listerine Cool Mint mouthwash on the oropharyngeal microbiome: a substudy of the PReGo trial. J Med Microbiol. 2024 Jun;73(6). doi: 10.1099/jmm.0.001830. PMID: 38833520.

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