Mal wieder zu kurz gesprungen

Martin Hendges

Während sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu Beginn der Legislatur – ganz abgesehen von dem so versorgungsfeindlichen Finanzstabilisierungsgesetz – vor allem dadurch auszeichnete, dass er eine Vielzahl von Gesetzesvorhaben öffentlichkeitswirksam ankündigte, ohne dass etwas passierte, so entwickeln er und sein Ministerium in den vergangenen Monaten eine enorme Energie, um neue Gesetze auf den Weg zu bringen. Allerdings liefert er umgeben von einer Blase mit angeblichen Experten reihenweise versorgungs- und praxisuntaugliche Gesetzesentwürfe und wundert sich, dass dann diejenigen Sturm laufen, die seine Ideen in der Praxis umsetzen sollen. Eine Abstimmung mit der Ärzte- beziehungsweise Zahnärzteschaft im Vorfeld findet schon mal gar nicht statt.

Jüngstes Beispiel für diese fatale Vorgehensweise ist ein geplantes Gesetz mit dem plakativen Namen Gesundes-Herz-Gesetz (GHG). Hier soll der Name Programm sein und die Herzgesundheit der Bevölkerung gestärkt werden. Internationale Vergleiche zeigen immer wieder, dass Deutschland bei der Bekämpfung kardiovaskulärer Erkrankungen noch Luft nach oben hat. Daher wird niemand ernsthaft der Notwendigkeit widersprechen können, in diesem Bereich mehr zu tun. Allerdings gilt auch hier, das Richtige zu tun – und nicht irgendetwas. Anlässlich der Verbändeanhörung zum Referentenentwurf des GHG im Juli hat die KZBV deshalb deutlich gemacht, dass sie das Ziel des Gesetzes grundsätzlich unterstützt, aber den Präventionsgedanken im vorliegenden Referentenentwurf nicht konsequent zu Ende gedacht sieht. So ist Parodontitis bekanntermaßen ein wesentlicher Einflussfaktor bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Insofern müssen unbedingt die Früherkennung und Prävention dieser Volkskrankheit als wesentliche Bausteine zur Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesetzlich verankert und hierfür auch die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Um es ganz deutlich zu sagen: Prävention kann nur dann erfolgreich funktionieren, wenn ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt wird. Wir fordern daher, dass die Leistungen für die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie als gesetzliche Früherkennungs- und Vorsorgeleistungen anerkannt und budgetfrei gestellt, mithin extrabudgetär vergütet werden. Nur dann können die Patientinnen und Patienten ein vollumfängliches Versorgungsangebot in Anspruch nehmen, das ihnen zusteht und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Doch nicht nur im Bereich kardiovaskulärer Erkrankungen ist eine ganzheitliche Parodontitis-Bekämpfung wichtig. Parodontitis hat eben auch Auswirkungen auf den gesamten Körper und steht in Zusammenhang mit einer Vielzahl weiterer Allgemeinerkrankungen wie Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis und neurodegenerative Erkrankungen, zum Beispiel Alzheimer.

Erneut haben wir auch auf die extrem hohen Folgekosten für das Gesundheitssystem durch eine unbehandelte beziehungsweise nicht frühzeitig behandelte Parodontitis hingewiesen. Allein im zahnärztlichen Bereich liegen diese bei rund 200 Millionen Euro jährlich. Dazu kommen indirekte Krankheitskosten, die eine international vergleichende Studie für Deutschland mit rund 34,79 Milliarden Euro beziffert. Die konsequente Therapie von Parodontitis würde diese Kosten zumindest deutlich reduzieren und neben den individuellen und strukturellen gesundheitlichen Vorteilen zu einer gesamtwirtschaftlichen Entlastung führen. Aus diesen Gründen ist es widersprüchlich und absolut unbegreiflich, dass einer präventionsorientierten Parodontitistherapie mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz die erforderlichen Mittel entzogen wurden, während auf der anderen Seite die Krankenkassen künftig in die Herz-Vorsorge investieren sollen. Nebenbei gesagt haben auch alle anderen Leistungsträger sowie der Gemeinsame Bundesausschuss massive Kritik am GHG-Gesetzentwurf geäußert, weil Lauterbach per Verordnung festlegen will, was gut für die Versorgung ist. Dieses Vorgehen stellt die Abkehr von der evidenzbasierten Medizin als Grundlage für das Leistungsgeschehen in der GKV dar und ist ein absoluter Tabubruch.

Der vorliegende Entwurf des GHG ist damit ein weiterer Baustein einer fehlgeleiteten Gesundheitspolitik aus dem Hause Lauterbach, der uns darin bestärkt, unsere Kampagne „Zähne zeigen“ mit unvermindertem Einsatz fortzusetzen. Wir werden daher weiter laut und öffentlich wahrnehmbar zeigen, dass dies eine Politik ist, die sich gegen die Interessen der Patientinnen und Patienten sowie der im Gesundheitswesen Tätigen richtet und unbedingt gestoppt werden muss.

Martin Hendges
Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung

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Martin Hendges

Vorstandsvorsitzender der KZBV
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung

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