Praxisübergabe mit Supervision
Die begleitende Beratung in der Übergangsphase kann via Supervision und/oder Coaching geschehen. Was unterscheidet diese beiden Beratungsformate? Supervision ist vielen aus der sozialen Arbeit bekannt und ein etabliertes Format in Organisationen, deren primäre Aufgabe die Arbeit mit und am Menschen ist. Sie hilft dabei, die Beziehungen zu Mitarbeitenden, Kollegen und Patienten zu reflektieren.
Sie hat außerdem das Ziel, die Neugestaltung von Praxisprozessen zu fördern und unterstützt die Team-Entwicklung. In diesem Format können Ihre Mitarbeitenden von Betroffenen zu Beteiligten werden, deren Expertise in die Lösungsfindung integriert wird. Gemeinsam werden Strategien entwickelt, die sich an konkreten Beispielen aus Ihrem Praxisalltag orientieren.
Coaching hingegen wird meist anlassbezogen, lösungsorientiert und zeitlich begrenzt für spezifische professionelle Fragestellungen oder Herausforderungen eingesetzt. Beide Formate tragen aber dazu bei, den Übergabeprozess in einer Praxis zu erleichtern. Weiter ist das Ziel, langfristig eine stabile und gute Zusammenarbeit zu sichern. Gehen Sie gezielt ins Gespräch, können Konflikte minimiert und eine vertrauensvolle Basis für Zusammenarbeit geschaffen werden. Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Supervision dokumentieren die positiven Effekte von Supervision, etwa eine gesteigerte Mitarbeiterzufriedenheit sowie die Entlastung und Inspiration der Praxisinhaber.
Ein kleines Fallbeispiel aus der Praxis soll das demonstrieren. Wir starteten dort mit den Sitzungen bereits ein Jahr vor der eigentlichen Praxisübergabe. Diese frühe Unterstützung war notwendig, weil es sich um ein ziemlich komplexes Vorhaben handelte.
Phase I: Erkennen, dass externe Beratung hilfreich ist
Dr. S. hatte über zwei Jahrzehnte hinweg seine Zahnarztpraxis aufgebaut und erfolgreich geleitet. Irgendwann machte er sich Gedanken darüber, die Praxis schrittweise abzugeben. Er nahm Kontakt mit einer Interessentin, Dr. K., auf. Die Kollegin war auf der Suche nach einer Praxis, die sie mittelfristig übernehmen kann. Der bisherige Praxisinhaber wollte allerdings gerne noch ein paar Jahre weiter mitarbeiten. Es sollte also zuerst eine Gemeinschaftspraxis werden.
In dieser ersten Phase galt es, unterschiedliche Positionen miteinander in Einklang zu bringen. Dabei halfen eine offene Kommunikation und der Aufbau von Vertrauen. Der Abgeber und seine potenzielle Nachfolgerin entschieden sich, externe Unterstützung in Form von Supervision und Coaching in Anspruch zu nehmen, weil beide eine neutrale Sichtweise schätzen, die ihre jeweiligen Anliegen übersetzt, moderiert und in ein ausgewogenes Verhältnis bringt.
Phase II: Vorstellungen abgleichen, Team einbinden
In einem persönlichen Vorgespräch mit jedem Partner arbeiteten wir dessen individuelle Ziele, Werte, Stärken und Schwächen heraus. In gemeinsamen Sitzungen schauten wir anschließend nach Übereinstimmungen und Unterschieden zwischen den zukünftigen Praxisinhabern. Dabei warfen wir insbesondere einen Blick darauf, ob ihre Vorstellungen von Praxisphilosophie und -führung zueinander passen, welche Ziele sie verfolgen und welche Werte ihnen in der täglichen, künftig gemeinsamen Arbeit wichtig sind. Am Ende dieses Prozesses visualisierten wir die Ergebnisse, um ein verbindendes Bild zu schaffen: Welche gemeinsamen Ziele, Werte und Zukunftswünsche gibt es, die beiden Partnern als Orientierung und Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit dienen können?
Dr. S. und Dr. K. fanden zum Beispiel heraus, dass sie in vielen Dingen ähnliche Vorstellungen haben. Ein wichtiger Schritt, denn beide hatten früher negative Erfahrungen in einer Gemeinschaftspraxis gemacht. Die Coachings waren auch hilfreich, um überprüfen zu können, wie tragfähig ihr gemeinsames Werte-Fundament ist. Beide legen beispielsweise besonderen Wert auf Offenheit, Transparenz und Vertrauen. In den folgenden Sitzungen arbeiteten sie gezielt daran, wie sie diese Werte in der täglichen Praxisführung umsetzen und leben können.
Die beiden entschieden sich dann auch schnell dafür, das bestehende Praxisteam aktiv in den Übergangsprozess einzubinden. Sie informierten und sensibilisierten die Angestellten über die Übernahme. In gemeinsamen, von uns als Coach moderierten Teamsitzungen konnten die Mitarbeitenden ihre Bedenken, Ideen und Wünsche zum Übergang und zur neuen Praxiskonstellation äußern. All das bekam also Raum und wurde gehört.
Klar war, dass die Umstellung von einer Einzelpraxis auf eine Gemeinschaftspraxis hohe Anforderungen an alle Beteiligten stellt. Es mussten neue Strukturen geschaffen, Rollen definiert und Prozesse angepasst werden, um die Zusammenarbeit reibungslos zu gestalten. Die externe Begleitung durch Supervision und Coaching half, diese vielschichtigen Herausforderungen systematisch anzugehen und die unterschiedlichen Phasen der Übergabe und Integration zu meistern. Wir konnten etwa konkrete Konfliktsituationen aus der Praxis thematisieren und im Team gemeinsam reflektieren. Diese Offenheit unterstützt alle Teammitglieder grundsätzlich dabei, Fehler anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Phase III: gemeinsame Praxisvision entwickeln
Wir führten weitere Coachingsitzungen, regelmäßige Einzelgespräche und moderierte Besprechungen zwischen den Praxisinhabern durch. Ein wichtiger Aspekt bei der Steuerung der Praxisentwicklung war die Gestaltung der künftigen Praxisführung als Doppelspitze, da Dr. S. und Dr. K. als gleichberechtigte Partner auftreten wollen. Hier vereinbarten wir, regelmäßige Jours fixes im Terminkalender einzuplanen, damit es einen kontinuierlichen Austausch zwischen den Praxisinhabern gibt. Diese Treffen sind nicht nur wichtig, um organisatorische und strategische Themen zu besprechen, sondern auch um sicherzustellen, dass beide vor dem Team mit einer Stimme sprechen und eine klare, abgestimmte Kommunikation nach außen gewährleisten. Dabei kam unter anderem ein strukturierter Fragebogen zum Einsatz, der gezielt (auch) die Stärken und Potenziale der bestehenden Praxis abfragt und in den weiteren Planungsprozess einbezieht.
Kurz vor dem gemeinsamen Neustart räumten sich die neuen Praxisinhaber und das Team dann einen Tag Auszeit vom Behandlungsalltag ein, um sich noch besser kennenzulernen. Dieser wurde zum wichtigen Kick-off für den Neuanfang.
Alle entwickelten und definierten gemeinsam leitende Ideen, Regeln und Werte für die Zusammenarbeit: Sie wollten offen und transparent kommunizieren, Respekt gegenüber den individuellen Stärken und Grenzen zeigen, Teamgeist und Zusammenhalt leben, eine konstruktive Feedback-Kultur schaffen und das gemeinsame Ziel verfolgen, die hohe Qualität und Patientenorientierung so gut wie möglich gemeinsam voranzutreiben.
Am Ende hielten wir all das schriftlich als Vereinbarung fest – auch wie man den gemeinsamen Start gestalten und wie man sicherstellen will, dass alle Teammitglieder an einem Strang ziehen und sich mit ihrer Arbeit identifizieren können. Ein Beispiel für eine solche Vereinbarung lautete: „Wir streben eine hohe medizinische Qualität durch ständige Weiterbildung an. Jeder Patient wird individuell betreut, umfassend informiert und in Entscheidungen einbezogen. Regelmäßige Befragungen zur Patientenzufriedenheit helfen uns, unseren Service kontinuierlich zu verbessern.“
Wir greifen dabei gerne auf die „Liberating Structures“-Methode „1-2-4-All“ zurück, die sicherstellt, dass alle Teammitglieder aktiv beteiligt sind und das Vertrauen untereinander gestärkt wird. Jede Meinung ist gefragt. Auch Mitglieder, die eher schüchtern sind, können einfach einbezogen werden. Gemeinsam definierten wir die einzelnen Rollen im Team und klärten Fragen wie: Wie wollen wir miteinander umgehen? Was ist uns als Team wichtig? Wie geben wir uns regelmäßig Feedback, um eine offene Kommunikation zu fördern? Diese Überlegungen mündeten in einem konkreten Maßnahmenplan für die ersten drei Monate, der sicherstellt, dass die gemeinsam erarbeiteten Ziele in die Praxis umgesetzt werden.
Der Grundstein für eine erfolgreiche Zusammenarbeit war nun gelegt, weil Dr. S. und Dr. K. durch gezielte Coachings ihre Rollen als gemeinsame Führungskräfte geklärt hatten, die Teammitglieder aktiv in den Prozess der Ziel- und Rollenfindung eingebunden wurden und alle Beteiligten verbindliche Vereinbarungen getroffen hatten.
Phase IV: Langfristig denken und Perspektiven entwickeln
Dr. S. und Dr. K. waren zufrieden damit, wie der Übergang ins Gemeinschaftspraxis-Leben gelungen ist. Und mittlerweile sind sie überzeugt: Supervision und Coaching sind nicht nur während des Übergangsprozesses hilfreich, sondern können auch langfristig bedeutend für die Organisationsentwicklung sein. Denn Entwicklungen und Veränderungen gibt es immer. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass es wichtig ist – und bleibt, nicht nur die fachlichen, sondern auch die zwischenmenschlichen Aspekte des Praxismanagements professionell in den Blick zu nehmen. Für die neuen Praxisinhaber ist klar, dass die Gestaltung und Entwicklung ihrer Praxis eine kontinuierliche Aufgabe ist – bei der sie auf Qualitätsberatung nicht verzichten wollen.
Je nach individuellen Fragestellungen und Praxisbedingungen kann der Beratungsbedarf variieren. Praxisinhaber können flexibel entscheiden, in welchem Umfang sie Beratung in Anspruch nehmen, sei es für umfassende Veränderungen oder eine gezielte Unterstützung bei kleineren Themen. Der dargestellte Fall zeigt eine mögliche Herangehensweise, grundsätzlich gilt jedoch, dass es immer passgenaue Lösungen gibt, die auf die jeweilige Situation abgestimmt sind.
Fazit
Ein professioneller Blick von außen via Supervision und Coaching kann in zahlreichen Problemsituationen für Zahnarztpraxen hilfreich sein, etwa ...
wenn ein neues Team an den Start geht,
wenn eine neue Inhaberin oder ein neuer Inhaber eine Praxis übernimmt,
wenn es im Praxisteam Konflikte gibt, die den Arbeitsalltag trüben,
oder wenn im Team Unsicherheit im Umgang mit schwierigen Patienten herrscht.
Denn: Supervision und Coaching unterstützen Praxisinhaber und ihre Teams, kontinuierlich zu reflektieren, gesund zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.
Die Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching e.V (DGSv) setzt sich seit ihrer Gründung 1989 für die Qualität von Supervision und Coaching ein. Sie vertritt die fachlichen und berufspolitischen Interessen ihrer Mitglieder – Supervisorinnen, Coaches und Organisationsberater.
Literaturliste
Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv), Studiensammlung. „Der Nutzen von Supervision: Verzeichnis von Evaluationen und wissenschaftlichen Arbeiten“, herausgegeben von Bernhard Lemaire und Brigitte Hausinger.