Interview mit Dr. Muhammad Shehadeh

„Dieses Treffen ist mehr als bloße Wissensvermittlung!“

Heftarchiv Zahnmedizin Gesellschaft
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Dr. Muhammad Shehadeh arbeitet als niedergelassener Fachzahnarzt für Oralchirurgie in Hanau. Er hat seine Freunde und Kollegen bei der Organisation und Umsetzung der dritten Jahreskonferenz arabischer Zahnärzte in Deutschland (JAZD) unterstützt. Hier berichtet er darüber, wie der Kongress entstanden ist, warum die Nachfrage stetig wächst und was die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen für ihn bedeuten.

Herr Dr. Shehadeh, woher stammt die Idee, eine Konferenz speziell für arabische Zahnärztinnen und Zahnärzte auszurichten?

Dr. Muhammad Shehadeh: Die Idee ist bereits vor elf Jahren entstanden. Die neu angekommenen Kolleginnen und Kollegen haben hilfesuchend regelmäßig bereits in Deutschland etablierte arabische Kollegen kontaktiert, um die Abläufe zu verstehen und Unterstützung zu erhalten. Damals gab es nur wenige selbstständige arabische Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland. Kolleginnen und Kollegen erreichten täglich entsprechende Anfragen, E-Mails und Anrufe.

Daraus erwuchs die Idee, eine Facebook-Gruppe zu gründen und alle zur Verfügung stehenden Informationen dort zu veröffentlichen, was den Neuankömmlingen den beruflichen Start in Deutschland sehr erleichtert hat. Mittlerweile umfasst diese Gruppe über 20.000 internationale Zahnärztinnen und Zahnärzte. Diejenigen, die vor über zehn Jahren Hilfe für ihren beruflichen Start gesucht haben, sind inzwischen selbst zu Unterstützern geworden. Aus dieser hohen Nachfrage ist die Idee des Kongresses erwachsen. Die Administratoren der Facebook-Gruppe sind auch die Gründer des Kongresses: Mohammad Aljabal, Yamen Aslan sowie Dr. Anas Akminasi, der in diesem Jahr auch als Konferenzpräsident fungiert. Verstärkt wurde die Gruppen- und Kongressleitung zuletzt durch Amer Alakhdar. Alle haben sehr viel Zeit und Mühe investiert, um die Konferenz zu planen.

Dieses Jahr findet die Konferenz zum dritten Mal statt, die Teilnehmerzahlen steigen Jahr für Jahr. Was glauben Sie, sind die Gründe dafür?

Vor zwei Jahren fand unsere erste Konferenz statt. Wir konnten vorab nicht einschätzen, wie viele Leute teilnehmen würden, und haben einen Saal für 70 Leute reserviert. Am Ende kamen 76. Das hat uns sehr positiv überrascht. Die Zahl der Teilnehmenden stieg zunehmend weiter. Dieses Jahr haben wir mehr als 220 Anmeldungen. Das Programm umfasst neben wissenschaftlichen Vorträgen auch Themen wie Steuern, Praxisübernahme und Investitionen. Außerdem haben wir erstmalig professionelle Workshops von namhaften Dentalfirmen. In den ersten Jahren wurden die Vorträge ausschließlich in arabischer Sprache gehalten. Dieses Jahr hatten wir auch Vorträge auf Deutsch und auf Englisch. Das zieht noch mehr Kolleginnen und Kollegen an – unter anderem diejenigen, die sich mit der deutschen Fachsprache auseinandersetzen wollen. Unser Ziel ist, das Programm ab dem nächsten Jahr vollständig auf Deutsch abzuhalten.

Die Jahreskonferenz arabischer Zahnärzte in Deutschland (JAZD) fand 2024 zum dritten Mal statt, in diesem Jahr trafen sich die Kolleginnen und Kollegen am 6. und 7. September in Berlin.

Welche unterschiedlichen Bedürfnisse und Herausforderungen haben Sie bei den verschiedenen Gruppen – neu nach Deutschland gekommene und hier ausgebildete Kolleginnen und Kollegen – festgestellt und wie werden diese in der Konferenz berücksichtigt?

Es hat sich über die Jahre gezeigt, dass dieses Treffen für viele Teilnehmende mehr bedeutet als bloße Wissensvermittlung: Die Konferenz dient der Vernetzung aller in Deutschland tätigen Kollegen und denen, die hier Fuß fassen wollen. Ein besonderes Highlight ist für viele auch das Treffen mit Studienkollegen und Freunden aus der Heimat. Viele kommen aus Krisen- beziehungsweise Kriegsgebieten und ein Wiedersehen in ihren Heimatländern ist oft unmöglich. Die meisten haben in Syrien studiert und sehen sich nach vielen Jahren in Deutschland wieder. Das ist für viele ein besonderer Moment.

Für uns ist es wichtig, allen Interessierten die Möglichkeit zu geben, an unserem Kongress teilzunehmen. Deshalb haben wir die Teilnahmegebühren so gering wie möglich gehalten: 100 Euro für das gesamte Wochenende. Wir haben auch gratis Tickets an Studentinnen und Studenten vergeben, damit sie nicht aus finanziellen Gründen auf die Konferenz verzichten müssen. So international wie unsere Besucher sind auch das Programm und die Auswahl der Referenten: Wir haben renommierte Experten sowohl aus Deutschland als auch aus dem amerikanischen und dem arabischen Raum.

Wie sehen Sie die Rolle der Konferenz in Bezug auf die berufliche Integration arabischer Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland?

Was die berufliche Integration angeht, ist die Konferenz für viele von immenser Bedeutung. Selbst Kollegen, die in Deutschland studiert haben, wollen wissen, wie die Abrechnung in der Praxis läuft, wie man die Steuern berechnet, wie man am besten Personal rekrutiert und wie man eine Praxis übernimmt. Das hilft allen, sich beruflich besser integrieren zu können. 

Wie aber bereits eingangs erwähnt, ist der Erfahrungsaustausch eines unserer größten Konferenzziele. Wir sind besonders stolz darauf, dass dieses Jahr insgesamt zehn Kolleginnen und Kollegen durch ein Gratis-Ticket teilnehmen konnten, die noch nicht mal einen Monat in Deutschland leben.

Die Kongressgründer: Dr. Anas Akminasi, Mohammad Aljabal und Yamen Aslan

Diese Chance hatte ich, wie viele andere, vor Einführung der Konferenz leider nicht und musste viel mehr Zeit und Nerven investieren, bis ich die notwendigen Schritte verstanden habe. Wir hoffen, neu angekommene arabische Zahnärztinnen und Zahnärzte motivieren zu können und ihnen den Start deutlich zu vereinfachen. Erwähnenswert ist auch, dass unser Projekt das erste ist, was alle arabischen Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland zusammenbringt.

Spielt die politische Situation in Deutschland – gerade im Hinblick auf die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen – eine Rolle bei der Konferenz? Wird durch die Konferenz eine politische Botschaft vermittelt? Wenn ja, welche?

Politik spielt durchaus eine zentrale Rolle. Ich habe selbst lange in Dresden gearbeitet. Es ist glücklicherweise selten vorgekommen, aber es gab Situationen, in denen Patienten eine Behandlung von mir – einem offensichtlich nicht aus Deutschland stammenden Zahnarzt – abgelehnt haben. Ich erinnere mich an einen Patienten mit Kieferbruch, den ich im Notdienst behandelt sollte und der die Ambulanz des Uniklinikums verlassen hat.

Es gab auch die eine oder andere anspannte Situation im Behandlungsteam, aber viele von uns haben sich an rassistische Blicke und rassistisches Verhalten gewöhnt. Manche Patienten, die mir gegenüber anfangs skeptisch waren, haben nach einer gewissen Zeit Vertrauen gefasst und waren sehr zufrieden mit meiner Behandlung. Dennoch musste ich mir anhören, dass ich „eine Ausnahme unter meinen vielen schlechten Landsleuten“ wäre. Ich möchte aber nichts pauschalisieren: Ich habe auch treue Freunde in Sachsen – Freundschaften, die auch nach meinem Wegzug noch Bestand haben.

Eines ist allerdings klar: Durch die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen werden beide Bundesländer von vielen nicht-deutschen Kolleginnen und Kollegen, die sich niederlassen wollen, gemieden. Laut den Statistiken werden viele Zahnärzte ab dem Jahr 2030 in Rente gehen und einige leere Praxen hinterlassen. Durch die schockierenden Wahlergebnisse verlieren diese Praxen und somit die Menschen im ländlichen Raum viele potenzielle Nachfolger. 

„Wir hoffen, neu angekommene arabische Zahnärztinnen und Zahnärzte motivieren zu können und ihnen den Start deutlich zu vereinfachen.“

Durch die Konferenz möchten wir auch eine politische Botschaft senden: Wir sehen uns als Teil der deutschen Bevölkerung – sowohl beruflich als auch persönlich. Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen sind eingebürgert, integriert, dürfen wählen und die Zukunft dieses Landes aktiv mitgestalten. Viele sind mittlerweile Arbeitgeber von vielen zufriedenen Angestellten, unterstützen dieses Land und reduzieren somit den Druck auf das Gesundheits- und Sozialsystem. Viele syrische und arabische Zahnärzte und Helferinnen scheuen sich nicht, eher unattraktive Stellen auf dem Land anzunehmen und dort zu arbeiten, wo sie gebraucht werden.

Wir sind es mittlerweile gewohnt, dass wir unterschätzt werden. Das bringt aber weder uns noch dem Land eine positive Perspektive für die Zukunft. Wir wünschen uns eine realistische Darstellung in den Medien, also einen Blick auf die Mehrheit der integrierten Einwanderer. Dies würde dazu führen, den zunehmenden Hass zu mindern. Leider machen viele von uns arabischsprachigen Personen, die nach 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, die Erfahrung, in einen Topf geworfen und pauschal diskriminiert zu werden. Wir wissen, dass das nicht die Meinung der Mehrheit ist. Leider ist Rassismus oft am lautesten und steht im Fokus der Medien. Umgekehrt gilt das leider nicht für akademische und positive Leistungen.

„Wir wünschen uns eine realistische Darstellung in den Medien, also einen Blick auf die Mehrheit der integrierten Einwanderer.“

Auch wenn der zunehmende Rassismus uns erschreckt, entmutigt er uns nicht. Wir sind dankbar, dass dieses Land uns aufgenommen und an vielen Stellen unterstützt hat. Wir versuchen jede Chance zu nutzen, um dazu beizutragen, aus Deutschland ein stärkeres Land zu machen und das Gesundheitssystem zu unterstützen. Schließlich möchte ich noch herausstellen, dass viele Kongressteilnehmer ein Teil des deutschen Lehrsystems sind, die Zahnmedizinstudierende unterrichten.

Sie erwähnten die Gründung einer offiziellen Einrichtung oder eines Vereins. Welche Ziele verfolgen Sie mit dieser Initiative und wie könnte sie den arabischen Zahnärztinnen und Zahnärzten in Deutschland helfen?

Durch die Gründung eines Vereins können wir Tausende von arabischen Zahnärztinnen und Zahnärzten deutschlandweit offiziell vertreten und finanziell, wissenschaftlich und seelisch begleiten. So würde sich auch die Möglichkeit eröffnen, größere Stipendien – beispielsweise vom Eintreffen in Deutschland bis zum ersten Gehalt – anzubieten. Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte arbeiten in den ersten Jahren als Teil des Praxispersonals, bis sie ihre deutsche Approbation erhalten. Das ist in den meisten Fällen nur in Praxen möglich, wo der Inhaber selbst ausländische Wurzeln und ähnliche Erfahrungen hat – hier können wir eine Vermittlung unterstützen. Zudem möchten wir eine Online- und möglicherweise auch eine Präsenzakademie etablieren, um theoretisches und praktisches Wissen zu vermitteln.

Was sind Ihre persönlichen Erwartungen an die Konferenz und was sollen die Teilnehmenden am Ende mitnehmen?

Die Erwartungen sind zahlreich. Bei unserer Konferenz geht es zwar um Wissensvermittlung, aber vor allem darum, den neuen Kolleginnen und Kolleginnen Hoffnung zu machen. Wir möchte sie auf ihrem teils langen Weg unterstützen und ihnen die Freude an unserem erfüllenden Beruf bewahren. Ich wünsche mir, dass neue Kolleginnen und Kollegen in Deutschland nicht den Mut verlieren, ihren Weg weiter zu verfolgen. Sie sollen sich fernab von ihrer Heimat sicherer fühlen, weil sie Unterstützung erfahren und vielleicht sogar irgendwann den Schritt in die Selbstständigkeit schaffen.

Und am Ende versuchen wir einfach, schöne Erinnerungen an die Konferenz zu schaffen. Die drei Gründer und viele freiwillige Helfer haben ihre eigenen Praxen für den Kongress geschlossen, um auf ehrenamtlicher Basis diese Veranstaltung zu unterstützen. Für uns bedeutet ehrenamtliches Engagement, inneren Reichtum zu gewinnen.

Salamu alaykum

Die langen Gänge des Estrel Convention Center Berlin führen mich die Rolltreppe hinauf in einen Lichthof. Der Counter zur Akkreditierung unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von anderen Kongressen – mit dem einzigen Unterschied, dass ich mit „salamu alaykum“ begrüßt werde. Mit einem Namensschild um den Hals und einem Kaffee mit Hafermilch in der Hand nehme ich im großen Konferenzsaal Platz. Wäre er nicht so modern, würde er mich noch mehr an meine Unizeit erinnern. Die Kongress-Eröffnung findet schon um acht Uhr morgens statt, das wissenschaftliche Hauptprogramm beginnt aber erst mittags – dementsprechend ist der Saal noch nicht voll. Die drei Kongressgründer begrüßen die Besucher – auch Karsten Heegewaldt, Präsident der Zahnärztekammer Berlin, sendet per Video eine Grußbotschaft. Die Vorträge am Vormittag widmen sich hauptsächlich wirtschaftlichen Themen, parallel laufen Workshops. Zu Beginn des ersten Vortrags bittet der Referent alle im Saal per Handzeichen über die Sprache des Vortrags abzustimmen – zur Auswahl stehen Deutsch, Englisch oder Arabisch. Wir einigen uns auf deutsche Slides und Arabisch als Vortragssprache, so dass alle folgen können. Zwischen den Vorträgen gibt es Croissants, Obst, Börek und jede Menge Händeschütteln und Gastfreundschaft. Ich werde von den Organisatoren der Konferenz als nicht-arabisch-sprechende Teilnehmerin herumgeführt. Stolz zeigen sie mir, was sie in monatelanger Arbeit auf die Beine gestellt haben. Die meisten Teilnehmenden kommen aus Syrien, einige auch aus anderen arabischen Ländern. Viele kennen sich und waren auch im Vorjahr schon dabei. Auch ich komme nächstes Jahr bestimmt wieder –  wa ʿalaykumu s-salām.

Das Gespräch führte Dr. Nikola Lippe.

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