DGZMK/APW-Jahreskongress 2024

Wenn wissenschaftliche Empfehlungen auf die Versorgungsrealität treffen

Nicht jede Therapie, die für eine Behandlungssituation wünschenswert wäre, kann kostendeckend und wirtschaftlich erbracht werden. Der DGZMK/APW-Jahreskongress in Kooperation mit dem Deutschen Zahnärztetag wollte für dieses Dilemma Lösungen aufzeigen.

Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) tragen laufend neue Forschungsergebnisse für eine moderne Patientenbehandlung aus ihren jeweiligen Fachbereichen zusammen. In einem aufwendigen Prozess entstehen aus diesen Erkenntnissen systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für Zahnärztinnen und Zahnärzte in spezifischen Situationen: die Leitlinien. Diese evidenzbasierten Therapieempfehlungen sind Gegenstand vieler Fortbildungen.

Therapiekorridor: Was sollte – was ist nötig?

Unter dem Titel „Zahnmedizin 2024: Welche Qualität müssen wir uns leisten?“ standen auf dem Kongress aber nicht allein die evidenzbasierten Therapieempfehlungen im Fokus, sie wurden auch in Kontext mit der Versorgungsrealität gesetzt. In den Vorträgen eröffneten die Referenten Therapiekorridore, in denen moderne Zahnmedizin und Wirtschaftlichkeit zusammengehen können und nahmen dabei immer wieder Bezug auf aktuelle Leitlinien.

„In der Zahnmedizin haben wir enorme Fortschritte erzielt und zahlreiche wirksame Therapien entwickelt. Doch angesichts der ökonomischen Rahmenbedingungen müssen wir uns die Frage stellen, ob es überhaupt möglich ist, diese hohe Qualität der Zahnmedizin in die Realität der Versorgung zu übertragen“, beschrieb DGZMK-Präsident Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang das Dilemma.

Prof. Dr. Knut A. Grötz (Wiesbaden) beleuchtete in seinem Vortrag „Implantologie – was wird uns bis 2030 bewegen?“ das Spannungsfeld der heutigen zahnärztlichen Chirurgie: Einerseits steige die Zahl kompromittierter Patienten, andererseits gebe es in der Implantologie eine rasante Indikationsausweitung. Patientenkollektive wie Diabetiker oder solche unter Antiresorptiva-Therapie würden heute im Hinblick auf eine Implantat-Indikation differenzierter betrachtet. Die moderne Implantologie erfordere eine personalisierte Herangehensweise und ein systematisches Risikomanagement, um individuelle Komplikationen zu vermeiden.

Als „Königsdisziplin der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ bezeichnete Prof. Dr. Jochen Jackowski (Witten/Herdecke) die oft herausfordernde Diagnostik von Mundschleimhauterkrankungen. „Man stirbt nicht an Zahnlosigkeit, aber möglicherweise an einem nicht oder nicht rechtzeitig erkannten Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle“, unterstrich er die Bedeutung des Themas. Die systematische Inspektion der gesamten Mundhöhle nach einem festgelegten Algorithmus verhindert Verzögerungen bei der notwendigen Weiterbehandlung von Mundschleimhauterkrankungen. Jackowski stellte Veränderungen der Mundschleimhaut als Folge eines lokalen Geschehens, als Ausdruck von übergeordneten Dermatosen und als Manifestation einer systemischen Erkrankung vor. Dabei rückte er insbesondere die aktuellen Leitlinien zu Aphthen und blasenbildenden Erkrankungen in den Fokus.

„Die Rache der Zahnerhaltung und Parodontologie“

„Ist es wichtig, wie lange eine Füllung hält?“, fragte Prof. Dr. Roland Frankenberger (Marburg) in seinem Vortrag etwas provokant. Im Grunde ist sei es viel wichtiger, wie lange der Zahn hält, war seine Antwort. Dazu leisteten minimalinvasive Füllungen einen entscheidenden Beitrag. Nicht nur das Können des Behandlers, auch die Materialwahl habe Auswirkungen auf das Ergebnis: Frankenberger sprach sich für die Anwendung von Flowables für minimalinvasive Füllungen aus. Frankenberger sprach über die Besonderheiten der Füllungstherapie bei Patienten unterschiedlicher Altersstufen und die damit einhergehenden Herausforderungen. Er ging auch kurz auf Besonderheiten bei Milchzähnen ein: Die Schmelzhaftung durch Anschrägung funktioniere bei Kindern im Frontzahnbereich gut – im Seitenzahnbereich sei aber die Dentinhaftung das Schlüsselelement (mit Universaladhäsiven im Self-Etch-Modus ohne Phosphorsäure). Plan B sei lichthärtender Glasionomerzement.

Ein Problem bei älteren Patienten sei die Zunahme von Wurzelkaries – oder wie Frankenberger sagte „die Rache der Zahnerhaltung und Parodontologie“. Hier spiele nicht nur das Alter der Patienten eine Rolle, sondern vor allem der Zeitpunkt des Beginns der Mundtrockenheit. Essenziell ist es seiner Meinung nach, bei der Wurzelkaries ein Gesamtkonzept anzuwenden, das Prävention durch eine verbesserte Mundhygiene in den Mittelpunkt stellt, bevor umfassend saniert wird. Er zeigte verschiedene Behandlungsbeispiele mit unterschiedlichen Materialien. Glasionomerzement sei eine gute Erste-Hilfe-Maßnahme: Das Material sei nicht hochästhetisch und habe Schwächen bei der Biegefestigkeit, aber die Flächen würden wieder „reinigbar“ und der Patient profitiere von der Fluoridabgabe. Eine adhäsive Behandlung funktioniere in den meisten Fällen – hier bieten sich Frankenberger zufolge fließfähige Komposite an, die die Fehleranfälligkeit reduzieren können.

Bruxismus ist kausal kaum behandelbar

Prof. Dr. Ingrid Peroz (Berlin) gab in ihrem Vortrag „Bruxismus – Was können wir Zahnärzte tun?“ einen Überblick über die Ätiologie und die Diagnostik bis hin zu therapeutischen Maßnahmen. Entgegen der früheren Annahme, dass die Ursache für Bruxismus okklusal bedingt ist, gehe man heute eher von einer zentralnervösen Störung aus, während die Okklusion „allenfalls noch eine Randrolle spielt“. Neben Stress könnten Schlafstörungen, Medikamente (beispielsweise Antidepressiva), Drogen und auch die Genetik einen erheblichen Einfluss haben.

Hinweisgebend auf einen Bruxismus seien die Selbstangabe des Patienten sowie die klinische und instrumentelle Untersuchung. Als definitiv gelte der Bruxismus nur bei positiver instrumenteller Untersuchung (mobile Elektromyografie-Geräte / Polysonografie im Schlaflabor). Ein Screening-Bogen (zum Beispiel von der DGFDT) sollte in die Erstbefundung einbezogen werden. Da es sehr schwierig sei, Bruxismus wirklich kausal zu behandeln, spielten die präventiven Maßnahmen eine umso wichtigere Rolle.

Als Standard-Tool beim Management des Bruxismus würden „bekanntlich häufig“ harte Schienen eingesetzt. Diese schützen Peroz zufolge zwar vor Attrition und sollten laut der Leitlinie deshalb auch verwendet werden. Sie wirkten aber nur symptomatisch, ebenso wie eine Physiotherapie bei CMD-Symptomen oder Botulinumtoxin (off-label-use). Als kausale Therapien stünden aber die Anleitung zur Selbstbeobachtung sowie die Anleitung zur progressiven Muskelentspannung nach Jacobsen zur Verfügung. Peroz zitierte aus der aktuellen Leitlinie, dass definitive okklusale Behandlungen zur kausalen Therapie von Bruxismus nicht eingesetzt werden sollen. Ästhetisch-funktionelle Maßnahmen zur Rehabilitation eines Abrasionsgebisses seien durchaus sinnvoll, allerdings nur nach einer funktionellen Untersuchung und Vorbehandlung.

Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner (Marburg) plädierte für den frühzeitigen Beginn einer kieferorthopädischen Therapie. Aus der aktuellen Leitlinie über die idealen Behandlungszeitpunkte kieferorthopädischer Anomalien zitierte sie unter anderem die „Sollte-Empfehlung“ für einen frühen Behandlungsbeginn der Klasse-III-Anomalie in der frühen Wechselgebissphase.

Vom 30. Oktober bis zum 1. November 2025 findet die Gemeinschaftstagung der DGZMK und ihrer Fachgesellschaften in Berlin statt.

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