Fehlende Fachkräfte schränken Patientenversorgung ein
Vielen Unternehmen in Deutschland fehlt es an qualifiziertem Personal – in der Gastronomie, in der Logistikbranche oder in zahlreichen Handwerksberufen suchen die Unternehmen nach Beschäftigten. Der Fachkräftemangel wird von zahlreichen Unternehmen als größtes Geschäftsrisiko der Zukunft eingeschätzt, denn schließlich kann der Mangel an geeigneten Fachkräften zum betrieblichen Stillstand führen. Auch im Gesundheitswesen spitzt sich der Fachkräftemangel weiter zu.
Davon betroffen ist auch die zahnärztliche Versorgung, wie die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage im Rahmen des ZäPP zur Personalsituation in den deutschen Zahnarztpraxen, die das Zentralinstitut für Kassenärztliche Versorgung (Zi) im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) durchgeführt hat, aufzeigen. Demnach spürt bereits heute ein beträchtlicher Teil der Zahnarztpraxen negative Auswirkungen, und die angespannte Lage der Praxen wird sich ohne ein Gegensteuern der Politik in Zukunft noch deutlich verschärfen.
43 Prozent haben bereits das Behandlungsangebot reduziert
Lediglich rund ein Drittel der Praxen, die an der Umfrage teilgenommen haben, bewertet die eigene Personalsituation aktuell noch als gut oder sehr gut. Dem gegenüber stehen 40 Prozent, die ihre Personalsituation als schlecht oder sehr schlecht beurteilen. Dabei bewerten Berufsausübungsgemeinschaften die Lage öfter negativ (45 Prozent) als Einzelpraxen (39 Prozent), wahrscheinlich aufgrund des höheren Personalbedarfs.
Besonders kritisch und besorgniserregend ist nach Angaben der KZBV das Ergebnis, dass das fehlende Fachpersonal schon jetzt zu konkreten Einschränkungen im Praxisalltag führt. Bereits die Hälfte der Zahnarztpraxen konnte Tätigkeiten teilweise nicht mehr an Mitarbeitende abgeben. Rund 43 Prozent mussten sogar bereits das Behandlungsangebot reduzieren, was fatale Folgen für die Patientenversorgung hat.
Hintergrund zur Umfrage
Aufgrund der Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit (BA), die den Beruf der ZFA bereits im Mai 2023 als Beruf mit erkennbarem Personalmangel auswies, wurde in der Erhebung 2023 zum Zahnärzte-Praxis-Panel (ZäPP) der Fachkräftemangel in Zahnarztpraxen mit einem Sonderfragebogen abgefragt – mit hoher Resonanz: 1.900 Zahnärztinnen und Zahnärzte haben die zusätzlichen Fragen zur Personalsituation beantwortet.
In der Engpassanalyse der BA erzielte der Beruf der zahnmedizinischen Fachangestellten für das Berichtsjahr 2023 erneut einen Gesamtwert von 2,8 Punkten und landete damit – mit drei weiteren Fachberufen – unter allen 234 bewerteten Fachberufen auf dem zweiten Platz. Lediglich die relativen Exotenberufe in der regenerativen Energietechnik erreichten einen noch geringfügig höheren Knappheitswert. Dagegen ist die Dimension des Mangels bei den ZFA um ein Vielfaches höher, denn sie zählen zu den beschäftigungsstärksten Fachberufen. Im Gesundheitswesen ist der Fachkräftemangel bei Pflegekräften und zahnmedizinischen Fachangestellten am ausgeprägtesten. Im ärztlichen Bereich bei den medizinischen Fachangestellten hat sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr etwas entspannt: Hier fiel der Gesamtwert von 2,5 auf 2,3 Punkte.
Dementsprechend pessimistisch sind auch die Aussichten der betroffenen Praxen: Ein beängstigend hoher Anteil von 80 Prozent der befragten Zahnärztinnen und Zahnärzte stimmt der Aussage zu, dass der Fachkräftemangel in Zukunft den Erfolg der eigenen Praxis beeinträchtigen wird.
Durchweg beklagen die Praxen laut der Umfrage die mangelnde Verfügbarkeit von geeignetem Fachpersonal auf dem Arbeitsmarkt. Besonders bei Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA), Zahnmedizinischen Fachassistenzen (ZMF) und Zahnmedizinischen Verwaltungsassistenzen (ZMV) scheint der Arbeitsmarkt leergefegt: Hier berichten 96 Prozent der Zahnärztinnen und Zahnärzte von einer schlechten oder sogar sehr schlechten Verfügbarkeit. Aber auch bei Zahntechnikerinnen und Zahntechnikern sowie bei sonstigem Personal wird die Personalsuche als schwierig eingeschätzt. Auf eine offene Stelle gibt es im Durchschnitt lediglich 3,5 Bewerbungen, von denen der Großteil (2,6) nicht dem Anforderungsprofil entspricht.
Die Personalsuche ist enorm zeitaufwendig
Die Gründe liegen hier vor allem bei mangelnden theoretischen (45 Prozent) und praktischen Fachkenntnissen (54 Prozent), aber auch bei fehlenden Sprachkenntnissen (48 Prozent) und anderen nicht-fachlichen Aspekten (64 Prozent). Die Folge ist, dass die Personalsuche unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch nimmt: Wenn eine Stelle besetzt werden konnte, dauerte bei den betroffenen Zahnärztinnen und Zahnärzten die Besetzung durchschnittlich sechs Monate. Jedoch konnten 54 Prozent der Praxen, die in den vergangenen zwei Jahren nicht-zahnärztliches Personal gesucht haben, gar nicht erst jede Stelle besetzen. Mittlerweile geht sogar nur noch rund ein Viertel der Praxen davon aus, überhaupt geeignetes Personal zu finden.
Sehr erfreulich ist laut Umfrage, dass rund die Hälfte der befragten Zahnärztinnen und Zahnärzte (48 Prozent) selbst ausbilden und damit versuchen, Fachkräfte zu rekrutieren. 83 Prozent der ausbildenden Praxen geben dazu an, dass es ihnen dabei vor allem um die Qualifizierung und die langfristige Bindung des Personals geht. Für 71 Prozent ist es wichtig, dass die Fachkräfte bereits während der Ausbildungszeit als Arbeitskräfte in der Praxis zur Verfügung stehen. Aber auch die gesellschaftliche Verantwortung (53 Prozent), die positive Wirkung auf das Betriebsklima (36 Prozent) und die etablierte Ausbildungsstruktur (33 Prozent) sind relevante Gründe. Der Hauptgrund nicht auszubilden ist dagegen der Mangel an Bewerbern (30 Prozent).
Nach Auffassung der KZBV können die Zahnarztpraxen diese Herkulesaufgabe aus eigenen Mitteln nicht stemmen: Erforderlich sind angemessene finanzielle Rahmenbedingungen und Planungssicherheit, die innerhalb der Budgetierung nicht gegeben sind. Nur so haben die inhabergeführten Praxen als Arbeitgeber den nötigen Spielraum, um wettbewerbsfähige Gehälter zu zahlen. Dass die Lohnkosten einer der größten Sorgenfaktoren für Praxisinhaberinnen und -inhaber sind, spiegelt auch die Umfrage wider: Mehr als zwei Drittel der Praxen (69 Prozent) befürchten, dass diese sich in den kommenden zwei Jahren zu einer ernsthaften Belastung entwickeln.
Wie sieht es bei den Ärztinnen und Apothekern aus?
Am 18. und 19. September fand in Berlin ein Kongress des Zentralinstituts kassenärztliche Versorgung (Zi) zur Versorgungsforschung statt. Im Fokus standen Strategien, wie dem wachsenden Fachkräftemangel im Gesundheitswesen wirkungsvoll begegnet werden kann. Obwohl in den Praxen flächendeckend medizinische Fachangestellte (MFA) ausgebildet würden, werde dort händeringend nach qualifiziertem nicht-ärztlichem Personal gesucht – immer häufiger ohne Erfolg, wie es auf dem Kongress hieß. Von den aktuell 330.000 bei Niedergelassenen angestellten MFA wechselten demnach immer mehr in den stationären Versorgungsbereich. Der Grund: eine oftmals bessere Vergütung, die die Kliniken aufgrund günstigerer Finanzierungsgrundlagen anbieten können sowie weniger Bürokratie und IT-Dysfunktionalität. Aber auch die Praxisinhaberinnen und -inhaber selbst würden immer mehr zu einer raren Ressource auf dem hart umkämpften Markt der ärztlichen Gesundheitsversorgung, hieß es auf dem Kongress weiter. Maßgebliche Gründe hierfür seien der allmähliche Renteneintritt der geburtenstarken „Baby-Boomer“-Jahrgänge 1955–1969 sowie der ungebrochene Trend zur Teilzeitarbeit.
Einige Angaben des Zi aus dem vertragsärztlichen niedergelassenen Bereich: Es zeigt sich eine Verschiebung des Durchschnittsalters der Vertragsärztinnen und -ärzte von 49,8 (2001) auf 54,6 Jahre (2021). Für die nähere Zukunft ist gegenüber den vergangenen Jahren ein höherer Anteil Renteneintritte zu erwarten. Im Jahr 2023 waren 5.082 unbesetzte Sitze in der hausärztlichen Versorgung und 1.078 Sitze für die fachärztliche Versorgung zu verzeichnen. Es kommen zu wenige Medizin-Absolventen nach. Durchschnittlich fehlen pro Jahr für den vom Zi untersuchten Projektionszeitraum 2022 bis 2040 rund 2.500 Nachbesetzungen. Diese fallen in den Jahren 2024 bis 2026 mit jeweils rund 5.000 Personen am höchsten aus. Aufgrund der Altersstruktur der Vertragsärzteschaft ist der Nachbesetzungsbedarf in diesem Sektor, insbesondere kurz- und mittelfristig, besonders hoch. In etlichen Fachgruppen gibt es steigende Beanspruchungen, besonders deutlich bei Kinder- und Jugendpsychiatern sowie bei Psychotherapeuten, aber auch bei Augen-, HNO-, Haut-, Kinder-, Nervenärzten, Urologen und Fachinternisten.
Einige Angaben zum Fachkräftemangel in Apotheken (Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – ABDA): Einer ABDA-Prognose von 2019 zum Ersatz- und Zusatzbedarf in Apotheken fehlen bis 2029 über 10.000 Apothekerinnen und Apotheker. 30 Prozent der Apotheker insgesamt sind 56 Jahre und älter, von den Apothekeninhabern sind es 46,5 Prozent (Stand: 31.12.2023). Apotheker und PTA sind laut der Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit als Engpassberufe ausgewiesen. Engpassindikatoren dabei sind unter anderem die Vakanzzeit, die Arbeitssuchend-Stellen-Relation und die berufsspezifische Arbeitslosenquote. Der Apothekerberuf gehört seit Jahren zu den Mangelberufen und laut BA-Analyse 2023 gehört der/die PTA zum zweiten Mal zu den Mangelberufen.
Durch die erhebliche Zunahme der regulatorischen Vorgaben wird der Alltag in den zahnärztlichen Praxen mittlerweile in großem Maß von Bürokratielasten und Verwaltungsaufgaben beeinträchtigt. Nicht nur die niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte sind davon betroffen: Auch ihre Praxisteams fühlen sich dadurch belastet, weil der bürokratische Aufwand für sie immer größer wird. Große Teile wertvoller Zeit, die eigentlich der Versorgung der Patientinnen und Patienten zugutekommen sollte, werden durch diese Aufgaben gebunden.
Und obendrauf kommen noch die Bürokratielasten
Und dies hat ebenfalls direkte negative Auswirkungen auf die Personalsituation in den Praxen: Qualifizierte Arbeitskräfte kehren den Zahnarztpraxen zunehmend den Rücken und verlassen frustriert den ambulanten Bereich oder sogar das gesamte Gesundheitswesen. So scheint es zunächst ein positives Resultat zu sein, dass lediglich 14 Prozent des Praxispersonals älter als 55 Jahre sind. Andererseits ist dies auch ein Warnsignal, dass viel qualifiziertes Fachpersonal den Beruf vorzeitig verlässt und so wertvolle Ressourcen verloren gehen. Laut den Umfrageteilnehmenden bleiben nach einem freiwilligen Weggang nur 49 Prozent der Fachkräfte im System und wechseln in eine andere Praxis oder in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Lediglich sechs Prozent sind regulär in den Ruhestand gegangen.
Die ZäPP-Umfrage der KZBV spricht somit eine mehr als deutliche Sprache: Bleiben wichtige politische Weichenstellungen aus, wird die bewährte flächendeckende und wohnortnahe zahnärztliche Versorgung in Deutschland nachhaltig geschädigt.