Europaweite Aktionswoche

Mangelernährung zum Thema machen

Heftarchiv Gesellschaft
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Die „Malnutrition Awareness Week“ vom 11. bis zum 15. November macht auf das Thema Mangelernährung aufmerksam. Auch Zahnärztinnen und Zahnärzte kommen in ihrer Praxis immer wieder mit Betroffenen, zum Beispiel vielen älteren Menschen, in Kontakt. Hier kann die Aktionswoche als Anlass dienen, um über das Thema aufzuklären.

Circa 25 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeeinrichtungen sind mangelernährt, heißt es in einem Flyer zur Aktionswoche, den Praxen auf der Website mangelernaehrung-bekaempfen.de/aktionswoche/bestellformular-medienpakete anfordern können. Mangelernährung bedeutet, dass sich ein Ungleichgewicht von Energieverbrauch und -aufnahme, zum Beispiel in Form von Eiweißen, Kohlenhydraten oder anderen Nährstoffen eingestellt hat, das sich messbar negativ auf die physiologischen Funktionen des Körpers und die Gesamtgesundheit auswirkt.

Eine Folge von Mangelernährung ist der Verlust von Muskelmasse. „Im Alterungsprozess spricht man im Zusammenhang mit dem Abbau von Muskelkraft und -masse von Sarkopenie“, erklärt Prof. Dr. Ina Nitschke, Spezialistin für Seniorenzahnmedizin am Uniklinikum Leipzig. „Im Arbeitsalltag in der Zahnarztpraxis verrät manchmal schon ein Blick auf die Hände der Patientinnen und Patienten, dass eine Sarkopenie vorliegen könnte.“ Die Hände sähen dann sehr eingefallen aus. Im Umgang mit Seniorinnen und Senioren in der Zahnarztpraxis verweist Nitschke, die auch Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ) ist, auf das sogenannte geriatrische Paradoxon: „Ältere Menschen beurteilen ihre Situation tendenziell besser, als sie in Wirklichkeit ist. Das gilt für ihre Wohnsituation und ihr soziales Umfeld – und eben auch für ihren Gesundheitszustand.“ Davon dürften sich Zahnärztinnen, Zahnärzte und ihre Teams nicht in die Irre führen lassen, sie sollten stattdessen bei allen Patientinnen und Patienten fortgeschrittenen Alters, die merklich abgebaut hätten, gezielte Fragen stellen.

Wie hoch ist der gerostomatologische Wohlfühlfaktor Ihrer Praxis?

„Wie essen Sie einen Apfel?“, ist aus der Erfahrung von Nitschke zum Beispiel eine Frage, die schnell Licht auf die Ernährungsgewohnheiten älterer Menschen wirft. Die Antwort gebe Aufschluss darüber, ob der Apfel noch im Ganzen verzehrt oder in kleine Stücke geschnitten, ob mit oder ohne Schale gegessen wird. Vielleicht kommt auch heraus, dass kauintensive Lebensmittel wie Äpfel gemieden werden. „Ältere Menschen nehmen den schleichenden Wandel ihres Essverhaltens oft gar nicht wahr und steuern dann natürlich auch nicht aktiv dagegen“, beschreibt Nitschke die Situation. „Es empfiehlt sich daher, bei Kontrollterminen mehr über diese Patientinnen und Patienten herauszufinden.“

Vor allem sollte versucht werden, einen Einblick in deren Lebenssituation zu gewinnen. Wichtig ist laut der Expertin für Seniorenzahnmedizin unter anderem folgende Information: Wohnt die Person in einer Einrichtung oder noch zu Hause? Lebt sie dort allein oder mit Angehörigen? Nitschke betont, dass für diese Aufgabe das Zusammenspiel des gesamten Praxisteams wichtig sei. „Wenn die Mitarbeiterin am Empfang beispielsweise beim Smalltalk erfährt, dass der Ehepartner einer Patientin kürzlich verstorben ist, sollte sie dazu einen Vermerk in die Patientenakte schreiben und ihre Chefin oder ihren Chef bei Gelegenheit darauf aufmerksam machen“, rät Nitschke. Gleiches gelte, wenn von Stürzen oder Mundtrockenheit erzählt wird. Umgekehrt sollten Niedergelassene ihren Mitarbeitenden für Aufmerksamkeit im Umgang mit älteren Menschen Wertschätzung entgegenbringen: „Sie erfüllen damit eine wichtige Aufgabe und sorgen dafür, dass – wie ich es nenne – der gerostomatologische Wohlfühlfaktor der Praxis stimmt.“

Ältere Menschen nehmen den schleichenden Wandel ihres Essverhaltens oft gar nicht wahr und steuern dann natürlich auch nicht aktiv dagegen.

Prof. Dr. Ina Nitschke, Universität Leipzig

Ein Grund, warum Ältere an Mangelernährung leiden, sind schlecht sitzende Prothesen, die das Kauen erschweren. Nitschke hat die Erfahrung gemacht, dass viele Seniorinnen und Senioren zurückhaltend oder ablehnend auf den Vorschlag reagieren, die Prothese zu reparieren oder zu erneuern. „Das lohnt sich nicht mehr“, sei häufig die Aussage. Manchmal sagten das auch begleitende Angehörige. Hier sei es wichtig, die Kosten aktiv anzusprechen und transparent darzustellen. Nitschkes Tipp: „Auch hier sollten die Mitarbeitenden eingebunden werden, die am empathischsten sind und gut mit älteren Menschen umgehen können.“

„Ach, eine neue Prothese lohnt sich bei mir doch sowieso nicht mehr“

Aber nicht nur Ältere betrifft das Thema Mangelernährung. Die Malnutrition Awareness Week nimmt auch andere betroffene Gruppen in den Fokus. So weisen laut Infoflyer 15 bis 20 Prozent der an Krebs erkrankten Menschen bereits zum Zeitpunkt der Diagnose entsprechende Anzeichen auf, bei fortgeschrittener Krebserkrankung sind es 80 Prozent. Generell seien in deutschen Kliniken bis zu 20 Prozent der Patientinnen und Patienten mangelernährt. Das könne eine Vielzahl von Symptomen hervorrufen, etwa Stimmungsschwankungen und Depressionen, Konzentrationsschwierigkeiten, Kreislaufprobleme, Müdigkeit und Kopfschmerzen.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) rät in Fällen von krankheitsbedingter Mangelernährung (die nicht mit Appetitlosigkeit einhergeht) zu energiereichen, nährstoffdichten Lebensmitteln. Diese könnten durch pflanzliche Öle, Nüsse, Nussmuse, Samen, aber auch durch Sahne, Butter und Crème fraîche angereichert werden, um den Nährstoff- und Kaloriengehalt zu erhöhen. Die Mahlzeiten sollten leicht verzehrbar und appetitlich zubereitet sein und den persönlichen Vorlieben entsprechen.

Über die Aktionswoche

Im Rahmen der Malnutrition Awareness Week stehen verschiedene Informationsflyer zum Download oder zur Bestellung zur Verfügung, die zum Beispiel in der Praxis ausgelegt werden können:

Am 11. November, von 18 bis 20 Uhr, findet ein kostenfreies Webinar zum Thema „Die krankheitsassoziierte Mangelernährung – eine interdisziplinäre Herausforderung“ statt.

Das komplette Programm der Aktionswoche finden Sie hier: https://www.dgem.de/sites/default/files/PDFs/Veranstaltungen/Veranstaltungen_allgemein/2024/MAW%20Programm%202024.pdf

Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen oder die erkrankte Person einen verminderten Appetit hat, kann nach Angaben der DGEM Trinknahrung eine Lösung sein. DGAZ-Präsidentin Nitschke merkt in diesem Zusammenhang an: „Hochkalorische Trinknahrung ist extrem kariogen. Im Gespräch mit den betreuenden Ärztinnen und Ärzten oder den Angehörigen sollten zahnmedizinische Fachkräfte dafür sensibilisieren, dass hier ein Risiko für die Mundgesundheit besteht – was sich, sollten Schmerzen entstehen, wiederum auf die Nahrungsaufnahme auswirken kann.“ Andersherum, betont Nitschke, sei es aus zahnmedizinischer Perspektive wichtig anzuerkennen, dass es beim Einsatz von Trinknahrung um die Vermeidung der Sarkopenie gehe. Ihr Tipp, um die Mundgesundheit trotzdem zu schützen: Die Trinknahrung sollte nicht über einen langen Zeitraum, sondern besser „in einem Rutsch“ aufgenommen werden. Eine gute Idee sind laut der Expertin Produkte, die bei geringerer Menge den gleichen Nährwert enthalten und einen hohen Proteingehalt haben. Außerdem immer wichtig, betont Nitschke: „Die Mundhygiene sollte so gut wie möglich und regelmäßig erfolgen.“

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