„Chefs sollten heute mehr bieten als nur Geld“
Frau Dr. Handrock, Frau Baumann, weswegen suchen Teams heute Ihren Rat?
Dr. Anke Handrock: Da ist beispielsweise der Wunsch der Führung, dass das Team an einem Strang zieht und nicht gegeneinander arbeitet. Oder etwa die Problematik, dass eine Stelle einfach nicht besetzt werden kann. Das hat meist einen systemischen Grund, der selten etwas mit dem Nachwuchs zu tun hat. Oder der neue Chef hat den abgehenden Vorgänger nicht richtig gewürdigt, das Team nimmt ihm das vielleicht übel und lässt ihn das spüren. Er ist sich dessen aber womöglich nicht bewusst. Im Coaching gibt es Methoden, das herauszufinden. Das wären schon mal drei Gründe: Teamzusammenhalt, Praxisausrichtung und Übernahme.
Maike Baumann: Die Dynamik in vielen Teams wird durch die verschiedenen Generationen am Arbeitsplatz verändert. Da treffen alteingesessene Mitarbeitende, die in einem sehr hierarchischen, sehr fordernden, manchmal auch abwertenden Jobumfeld sozialisiert wurden, auf junge Kollegen, die das so nicht kennen. Diese gehen eher wieder, wenn sie schlecht behandelt, geknechtet, wenig wertgeschätzt und schlecht entlohnt werden. Die Arbeitsethik ist so verschieden wie die alte und die neue Arbeitswelt. Wertesysteme und Sichtweisen sind von unterschiedlichen Sozialisationen beeinflusst, damit gibt es Reibungspunkte. Dem jungen Nachwuchs wird aktuell ja fast hinterhergelaufen – und das bei teilweise noch unvollständiger Qualifikation. Sie kommen in einen Arbeitnehmermarkt, dabei hat Arbeit in ihrem Leben eine andere Gewichtung. Da gibt es viel Unverständnis füreinander. Man braucht also Übersetzungsarbeit. Wenn man diese leistet, zum Beispiel mittels Perspektiv-Übernahme, oder schaut, welche Ressourcen die jeweilige Generation hat, kann das gesamte Team davon profitieren.
Handrock: Mit den jungen Generationen Z und Alpha haben wir kollegialen Nachwuchs in den Praxen, der kein Problem mit der Digitalisierung hat. Auch Mediennutzung hat er faktisch besser drauf und damit den Älteren etwas ganz Wesentliches voraus. Das gab es so noch nie, denn eigentlich ist es ja so, dass die Älteren automatisch mehr Erfahrung haben. Jetzt nicht mehr! Das muss man erst einmal schlucken.
Im nächsten Schritt sollte man aber versuchen, den Wert darin zu sehen. Dann kann man neue Synergien finden und Projekte starten.Außerdem brauchen wir heute fast ein Jahr Grundsozialisation für die Herstellung der Ausbildungsfähigkeit. Wenn wir die haben, funktioniert es besser. Die Corona-Jahre haben Lücken in die Bildungsbiografien der Jungen gebrannt. Dafür können sie nichts. Merkt der Nachwuchs, dass man sie fördert und sie auch etwas davon haben, sie mal lobt und die Kanäle bedienen lässt, die für sie funktionieren, dann kann es besser zusammen klappen.
Wie läuft ein Coaching ab?
Baumann: In der Regel melden sich Praxisführungen bei uns, weil sie nicht mehr weiterkommen und Hilfe von außen brauchen. Dann schauen wir gemeinsam: Was ist der Ist-Zustand, wo soll es hingehen? Wo sind die Fallstricke? Was wurde schon probiert? Wir schulen dann zum Beispiel Mitarbeiter mit Kommunikationsstrategien, so dass jene auch den Umgang mit schwierigen Patienten allein bewerkstelligen können. Unterstützt werden wir nach Bedarf von Trauma-Psychologen und anderen Spezialisten, die zu uns in die Kurse kommen.
Zusammengefasst sind die Coaching-Säulen in der Zahnarztpraxis der Umgang mit schwierigen Patienten, die ängstlich, misstrauisch oder traumatisiert sind, das patientengerechte und qualitätsorientierte Beratungsgespräch für eine bestmögliche Behandlung sowie Team-Themen wie Mitarbeitergewinnung und -bindung, etwa mit Fragen wie „Wer ist geeignet, eine Führungsrolle zu übernehmen?“ oder „Wen übermannt man damit besser nicht?“. All das lernen Zahnärzte ja nicht im Studium. Dabei sind sie als Freiberufler im Besonderen als Chef herausgefordert, da sie Fachmann, Unternehmer und Chef zugleich sind. Viele wollen das schon während der Gründungsphase lernen, um danach nicht erst auf die Nase zu fallen. Und dann gibt es noch das Praxis-Coaching im Sinne von Krisenmanagement – wenn Konflikte zu eskalieren drohen oder bereits eskaliert sind.
Handrock: Zaubern können wir natürlich nicht. Wenn Praxischefs eine sehr zementierte Meinung haben, wie Mitarbeitende sein sollen, diese aber eben nicht so sein wollen oder können, dann können wir da auch nicht weiterhelfen. Wir führen daher immer ein Vorgespräch und klopfen die Entwicklungsbereitschaft ab. Der Wunsch nach Veränderung muss da sein. Dann regen wir mit Strategien und auch mal mit einem Rollenspiel zur Reflexion an. Am Ende eines erfolgreichen Coachings sind wir überflüssig. Wir haben Hilfe zur Selbsthilfe gegeben.
Wir machen die Seminare für Teamführung bewusst unter der Woche, weil sich herausgestellt hat: Wer sich die Zeit fürs Team unter der Woche nicht nimmt, der nimmt sie sich in der Praxis auch nicht. Übrigens spielt Geld gar nicht so stark eine Rolle für die Angestellten. Wir haben in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht: Wer des Geldes wegen kommt, der geht auch wegen Geld wieder. Das bedeutet, die Führung muss dem Team mehr bieten, sonst sind die Leute schnell wieder weg. Und die lassen sich heute auch nicht mehr so viel bieten.
Hat sich denn die Führungsmentalität verändert?
Handrock: Auf jeden Fall! In den vergangenen zehn, 15 Jahren ist der Umgangston besser, das Bewusstsein vieler Praxischefs und -chefinnen für eine Führung auf Augenhöhe größer und die Hierarchien sind flacher geworden. Viele geben sich wirklich Mühe, machen tolle Team-Events und nehmen – wo es geht – Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse der Angestellten. Chefs sind sich heute eher bewusst, dass auch ihr Stil bei ungünstigen Dynamiken das Problem sein oder Probleme im Team verstärken könnte. Wir begrüßen also immer mehr Führungskräfte, die offen sind. Der nächste Schritt ist dann, Konflikte zu erkennen und an sich selbst zu arbeiten.
Baumann: Zufriedenheit und Motivation machen viel aus: Diese bemühten Chefs haben in der Regel hohe Umsätze in den Praxen. Zudem macht sich das Training in adäquater Beratung bemerkbar. Auch das haben Zahnärzte ja nicht gelernt in der Ausbildung und die ZFA ebenso wenig. Wer ist schon gerne Verkäufer? Kaum einer macht das mit gutem Gefühl. Wenn man aber überzeugt ist von der Zahnmedizin, die in der Praxis vertreten wird, dann steht man auch eher für den Preis ein, den sie wert sein soll.
Ein erfolgreiches Coaching macht uns überflüssig. Dann haben wir Hilfe zur Selbsthilfe gegeben.
Dr. Anke Handrock
Was sind die Herausforderungen oder auch Warnsignale für Teams?
Handrock: Schwere medizinische Zwischenfälle können belasten. Da mache ich Krisenintervention. Diebstähle sind ganz schlimm für die Kollegen. Oder, wenn mehrere Mitarbeitende gleichzeitig kündigen bei voll bestellter Praxis. Dann schauen wir, wie wir die Kuh von Eis kriegen. Einmal hat eine Kollegin angerufen und berichtet, dass ihre ZFA ihre Gans mitbringen wollte. Die hatte eine akute Psychose. Ich riet, einen Psychiater zu konsultieren.
Baumann: Warnsignale können auch sein, wenn langjährige, geschätzte und gut etablierte Mitarbeitende plötzlich nicht mehr sprechen. Oder wenn die Harmonie gestört ist.
Spielt die Größe des Teams eine Rolle?
Handrock: Die Gruppengröße nimmt Einfluss, ja. Bis sechs Leute tauschen sich in der Regel alle miteinander aus, sitzen zusammen am Tisch – wie beim Abendessen mit der Familie. Darüber bilden sich Grüppchen und man braucht Kommunikationsstrukturen, die sicherstellen, dass alle alles mitbekommen. Häufig wachsen Praxen und vergrößern das Team, kriegen aber nicht mit, dass sie dann neue Strukturen brauchen.
Und wie gelingt es, erfolgreich Feedback zu geben?
Baumann: Die Wahl der Sprache kann schon viel dazu beitragen, Druck und Verletzungspotenzial aus Situationen herauszunehmen und Missverständnisse zu vermeiden. Das ist eine Fähigkeit, die man lernen und trainieren kann. Und bei der Ansprache bitte immer erst Augenkontakt aufnehmen, sprich angucken, dann anfangen zu reden. Das baut eine Verbindung auf.
Frau Dr. Handrock, wie sind sie von der Zahnmedizin zum Coaching gekommen?
Handrock: Ich hatte zum Abschluss meines Studiums drei kleine Kinder und eine halbe Stelle im schulzahnmedizinischen Dienst angenommen. Nachmittags kamen dort die „unbehandelbaren“ Kinder zu mir. Ich war damals Anfängerin, es war größtenteils sehr schwierig für mich und schnell frustrierend. Ich sollte es bei ihnen mit Valium versuchen, aber das hat überhaupt nicht geklappt, genauso wenig wie autogenes Training. Auf psychotherapeutische Hypnose und Neuro-Linguistisches Programmieren, kurz NLP, sprachen die Kinder aber an. Dabei geht es darum, das vorhandene „Programm“ im Kopf – die Angst vorm Zahnarzt – durch eine gezielte Ansprache so weit in den Griff zu bekommen, dass eine Behandlung möglich wird. Ende der 1980er war das noch in den Kinderschuhen. Aber es hat funktioniert, wenn auch mit größerem Aufwand.
Mit NLP und hypnotischer Sprache konnte ich bald auf die Hypnosen verzichten. Das hat sich herumgesprochen, Kollegen kamen auf mich zu und ich gab meinen ersten Kurs. Daraus entwickelte sich das erste Praxis-Coaching. Inzwischen liegen die Schwerpunkte auf Patienten- und Mitarbeiterführung. Heute ist unser Job, gemeinsam mit den Praxen zu schauen, dass ihre Leute bei ihnen bleiben, weil sie Spaß an ihren Tätigkeiten haben, gut miteinander klarkommen, gerne am Patienten sind und diese mit adäquaten Behandlungen zufriedenstellen.
Das Gespräch führte Laura Langer.