Goodbye Amalgam!
Herr Haesler, Sie müssen sofort kommen, die schmeißen hier alles weg!“ Da er den Wert der firmeneigenen Sammlung im Degussa-Archiv einschätzen konnte, setzte er sich ins Auto und fuhr gleich los. Eingesammelt hat er etwa diese Amalgam-Flakons aus den 1920er-Jahren, daneben liegen Muschelhälften, in denen die Amalgam-Partikel anfangs händisch gemörsert wurden.
Best of dentales Erbe
Wer träumt nicht davon einen Schatz zu besitzen? Oder gar einen zu heben?
Im sächsischen Zschadraß passiert genau das. Es wird „gebuddelt“, entdeckt, archiviert, poliert und ausgestellt. Irgendwie, irgendwo, irgendwann hat man als Zahnärztin oder Oralchirurg ja schon mal gehört (oder in den zm gelesen), dass dort das Dentalmuseum beheimatet ist. Aber was genau gibt’s da eigentlich?
Alles.
Tretbohrmaschinen, Rattenschwanzfeilen, Carabelli-Schaumodelle. Filmplakate, Waterloo-Zähne, Philipp Pfaff, Optimax und den Watte-Igel. KfO, DVT und Wekabe. Mum, Postpuller, Hesi Re und Butterfass. Briefmarken, Schweineborsten-Bürsten und die römische Extraktionszange.
Das im Jahr 2000 von Zahntechnikermeister Andreas Haesler in Eigenregie gegründete Dentalmuseum, mittlerweile fortentwickelt und neu konzipiert als Ensemble aus Dentalmuseum, Bibliotheca dentaria und Archiv, will umfassend die Geschichte der Zahnheilkunde erzählen. Es beherbergt Dutzende Vitrinen, Hunderte Regalmeter und Zigtausende Exponate. Vieles schlummert noch, vieles ist längst ausgepackt und ausgestellt. Der Fundus scheint unerschöpflich.
„Die meisten Besucher und Wissenschaftler sind überwältigt von dem, was sie hier sehen", beobachtet Haesler immer wieder. „Und sie kommen aus aller Welt, denn Zahnheilkunde ist eine internationale Geschichte“ – von Anfang an Leitmotiv des Dentalmuseums. Und dieser Serie: Wir wollen Geschichte(n) erzählen mit einzelnen Ausstellungsstücken.
Bei diesem Streifzug durchs Museum heben wir pro Ausgabe einen Schatz. „Das sind die Maybachs!“, sagt Museumsleiter Haesler. Seine Expertise bestimmte die Auswahl – mal ist es die historische Bedeutung, mal der abenteuerliche Weg ins Museum, mal die einzigartige Darstellung, die den Ausschlag gaben.
Nach Prof. Walter Hoffmann-Axthelm wird Amalgam in China schon ab dem 7. Jahrhundert nach Christi erwähnt, sicher aber um 1505 durch Li-Shih-chen. Die Zusammensetzung: 100 Teile Quecksilber, 45 Teile Silber und 900 Teile Zinn. Der Ulmer Stadtarzt Johann Stocker beschreibt in seinem Arzneibuch „Praxis autea“ 1528 ein Amalgam, das er für ein Zahnloch „härtet wie Stein“. Die Veröffentlichung erschien erst nach seinem Tod und wurde später noch einmal von dem Lübecker Stadtarzt Dornkreilius 1601 weitergegeben.
Etwa um 1826 führte in Paris Auguste Onesime Taveau Amalgam zur Füllung ein und nannte diese „Silberpaste“. Die größten Probleme bestanden in der Schwarzfärbung des Amalgams, es war porös und die Schrumpfung war zu groß. Prof. Adolph Witzel beseitigte letzte Bedenken in seinem Buch „Das Füllen der Zähne mit Amalgam“ im Jahr 1899 – Amalgam war soweit entwickelt, dass es nutzbar war. Nachdem es sich auch in Europa etabliert hatte, entfachte der Berliner Chemiker Prof. Alfred Stock mit seinem Bericht über „Die Gefährlichkeit des Quecksilberdampfes“ 1926 die Mutter aller Amalgam-Diskussionen.
Hier könnte man abbiegen. Die Degussa-Flakons verweisen auch auf eine Firmen-Geschichte. Als ehemals größter Hersteller von Amalgam war die „Deutsche Gold- und Silber-Scheide-Anstalt“ massiv „in die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes verwickelt“ (Wikipedia). Aber das ist eine andere Geschichte.
Das Ende der Amalgam-Geschichte ist bekannt: Anfang des Jahres zog die EU die ökologische Reißleine, nun also: „time to say goodbye“.
In Teil 2 dreht sich alles um einen rotierenden Bohrerständer.