Fluoride in der Kariesprophylaxe 

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Stefan Zimmer
,
A. Rainer Jordan
,
Sebastian Ziller
Der wissenschaftliche Beirat der Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK) hat den Stellenwert der Fluoride in der Kariesprophylaxe neu bewertet. In ihrem Positionspapier haben die Experten die aktuelle Evidenz zur Wirksamkeit und Sicherheit von Fluoriden in der Zahnmedizin zusammengefasst und daraus praktikable Handlungsempfehlungen für Praxen abgeleitet.

Lediglich 45 Prozent der zahnmedizinischen Expertinnen und Experten an den Hochschulen in Deutschland fühlen sich gegenüber ihren Patientinnen und Patienten überhaupt nicht in Erklärungsnot, was die Verwendung von Fluoriden betrifft. Das ist ein Ergebnis der IfK-Hochschulbefragung 2023 [Zimmer et al., 2024]. Es belegt die weiterhin große Herausforderung für das Fachpersonal, die Fluorid-Empfehlungen in der zahnärztlichen Praxis überzeugend an die Verbraucher zu kommunizieren.

Denn eine repräsentative Verbraucher-Umfrage der IfK aus dem Jahr 2024 zeigt: Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie das Prophylaxepersonal sind die Hauptinformationsquellen zum Thema Fluoride für Patientinnen und Patienten [Ifk/IPSOS, 2024]. Ein großer Fortschritt in der einheitlichen Kommunikation war 2021 die Einigung von zahnmedizinischen und pädiatrischen Fachgesellschaften sowie Hebammen auf gemeinsame Empfehlungen zum Fluorideinsatz bei Kleinkindern [Berg et al., 2021]. Für die abgestimmte Anwendung von Fluoriden fasst die IfK unter Berücksichtigung dieser Vereinbarung nachfolgend die aktuellen Anwendungsempfehlungen für jedes Lebensalter und Risikoprofil zusammen.

Basisprophylaxe für alle

  • Geburt bis Zahndurchbruch:
    1 x täglich Tablette mit 0,25 mg Fluorid und 400–500 I.E. Vitamin D
    Cave: Wird Trink- oder Mineralwasser mit mehr als 0,3 mg Fluorid/Liter für die Zubereitung der Säuglingsmilchnahrung verwendet, soll Vitamin D ohne Fluorid gegeben werden. Das gilt für Kinder, die ausschließlich oder überwiegend Säuglingsmilchnahrung erhalten.

  • Zahndurchbruch bis 12 Monate:
    entweder
    1 x täglich Tablette mit 0,25 mg Fluorid und 400–500 I.E. Vitamin D plus Zähneputzen mit fluoridfreier Zahnpasta oder 1 x täglich Tablette mit 400–500. I.E. Vitamin D plus 2 x täglich Zähneputzen mit einer reiskorngroßen Menge 1.000 ppm Fluoridzahnpasta (0,125 g). Das entspricht bei zweimaliger Anwendung ebenfalls 0,25 mg Fluorid, die maximal verschluckt werden können. Wichtig: Korrekt dosieren, um eine zu hohe Fluoridaufnahme zu vermeiden und die lokale Wirkung sicherzustellen.  Wenn die Variante mit der Fluoridtablette gewählt wird, sollten Eltern darauf aufmerksam gemacht werden, diese strikt nach Gebrauchsinformation zu verabreichen, um Verschlucken oder Aspiration vorzubeugen. Alternativ kann auf die Variante mit der Fluoridzahnpasta umgestiegen werden.
    Cave: Wird Trink- oder Mineralwasser mit mehr als 0,3 mg Fluorid/Liter für die Zubereitung der Säuglingsmilchnahrung verwendet, soll Vitamin D ohne Fluorid gegeben werden. Zähneputzen dann nur 1 x täglich mit fluoridhaltiger (Reiskorngröße) oder fluoridfreier Zahnpasta. Das gilt für Kinder, die ausschließlich oder überwiegend Säuglingsmilchnahrung erhalten.

  • 12–24 Monate: 2 x täglich Zähneputzen mit einer reiskorngroßen Menge 1.000 ppm Fluoridzahnpasta (0,125 g). Die Eltern putzen die Zähne mit dem Kind.

  • zwei bis sechs Jahre: 2 x täglich Zähneputzen zu Hause (zusätzlich 1 x in der KiTa, s.u.) mit einer erbsengroßen Menge 1.000 ppm Fluoridzahnpasta (0,25 g). Die Eltern putzen die Zähne mit dem Kind.

  • ab sechs Jahren bis ins hohe Alter: mindestens 2 x täglich Zähneputzen mit 1.450 ppm Fluoridzahnpasta

  • Fluoridiertes Speisesalz: Sobald Kinder am Familienessen teilnehmen, sollen sie grundsätzlich mit Fluoridsalz zubereitete Speisen zu sich nehmen – bis ins hohe Alter. Der Salzkonsum soll dadurch nicht erhöht werden, es gilt: Wenn Salz, dann Jodsalz mit Fluorid. Die Fluoridkonzentration ist an einen durchschnittlichen täglichen Salzkonsum im Rahmen der häuslichen Verwendung von 2 Gramm pro Kopf angepasst. Bereits vorgesalzene Produkte sowie in der Gemeinschaftsverpflegung oder Restaurants verzehrte Speisen sind nicht berücksichtigt, da sie nicht mit Fluoridsalz zubereitet werden.

  • Gruppenprophylaxe: Ergänzend zum 2 x täglichen Zähneputzen zu Hause können und sollen Kinder die Zähne ein drittes Mal in der Kita putzen. Dadurch erfolgt keine Überschreitung der gewünschten Tagesdosis [BZÖG, 2020; IfK, Leserfrage]. Unter Zweijährige putzen mit einer mit Wasser angefeuchteten Zahnbürste, über Zweijährige putzen mit einer erbsengroßen Menge 1.000 ppm Fluoridzahnpasta.

Ergänzende Prophylaxe

Eine intensivierte Fluoridprophylaxe bei erhöhtem Kariesrisiko ist indiziert bei Milchzähnen, bei einem erhöhten Kariesrisiko der bleibenden Zähne und bei Menschen mit einem besonderen zahnmedizinischen Unterstützungsbedarf. Dazu gehören Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderung, Menschen mit einem reduzierten Speichelfluss sowie Menschen mit systemischen Erkrankungen, die eine Vielzahl von Medikamenten einnehmen (Polypharmazie). Eine Polypharmazie kann den Speichelfluss reduzieren [Heimes und Kämmerer, 2023].

  • Milchgebiss: Die Applikation von Fluoridlack zur Zahnschmelzhärtung ist seit Juli 2019 für alle Kinder vom sechsten Monat bis zum sechsten Geburtstag Kassenleistung. Der Lack kann unabhängig von einer Beurteilung des Kariesrisikos vom sechsten bis 72. Monat zweimal pro Kalenderhalbjahr aufgetragen werden. Für Klein- und Vorschulkinder ist Fluoridlack sowohl zur Prävention frühkindlicher Karies als auch zur Kariesarretierung bei Initialkaries empfehlenswert. Die Anwendung erfolgt in der Praxis oder in der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe [Schiffner, 2021; Zimmer, 2019]. Fluorid-Mundspülungen und Fluoridgele sollten grundsätzlich erst nach dem sechsten Geburtstag eingesetzt werden, um das Risiko durch versehentliches Verschlucken zu minimieren [Toumba et al., 2019].

  • Kinder ab sechs Jahren, Jugendliche, Erwachsene : Fluoridlacke 2–4x/Jahr applizieren, Frequenz erfolgt risikoabhängig [Toumba et al., 2019]. Alternativ bei Allergie gegen Bestandteile des Fluoridlacks (Kolophonium): 1-prozentige Touchierlösung mit Aminfluorid 2–4x/Jahr. Fluoridlacke und die Touchierlösung können auch in der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe Anwendung finden.
    Gele mit 12.500 ppm Fluorid zu Hause 1 x wöchentlich oder alle 14 Tage anwenden. Mundspüllösungen mit 500 ppm Fluorid täglich anwenden. Bei gleichzeitig chronischer Gingivitis, vor allem infolge kieferorthopädischer Behandlung, Produkte mit Fluorid plus antimikrobiellen Wirkstoffen verwenden [IfK, Stärkende Fluoride].

  • erhöhtes Kariesrisiko bei Personen mit festsitzenden kieferorthopädischen Apparaturen: Zahnpasta mit 5.000 ppm Fluorid verwenden (ab 16 Jahren, verschreibungspflichtig, nicht erstattungsfähig durch die gesetzliche Krankenversicherung) [Benson et al., 2019]

  • erhöhtes Kariesrisiko im Alter: hochkonzentrierte 5.000-ppm-Fluoridzahnpasta (verschreibungspflichtig, nicht erstattungsfähig durch die gesetzliche Krankenversicherung) und Fluoridlacke anwenden. Bei Personen ohne erhöhtes Kariesrisiko sind Fluorid-Zahnpasten mit 1.450 ppm Fluorid und Fluorid-Mundspüllösungen ausreichend kariespräventiv [Toumba et al., 2019].

  • erhöhtes Wurzelkariesrisiko: Zahnpasta mit 5.000 ppm Fluorid halbiert das Risiko für Wurzelkaries im Vergleich zu herkömmlicher Fluoridzahnpasta [Ekstrand, 2016]. Häufigere Applikation von Fluoridlacken.

  • erhöhtes Kariesrisiko bei Personen mit reduziertem Speichelfluss: Intensiviertes Fluoridregime empfehlenswert, konkret Applikation von Fluoridlack und Fluoridgel zusätzlich zu Fluoridzahnpasten, gegebenenfalls Anwendung von fluoridhaltigen Mundspüllösungen [Luka et al., 2024; Gupta et al,, 2015].

Das Positionspapier:
Zimmer S, Becker I, Einwag J, Hahne D, Jordan AR, Rojas G, Schaper A, Schäfer M, Schätze C, Schlüter N, Stangier P, Schulte A, Ziller S: Positionspapier des wissenschaftlichen Beirates der Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK): Fluoride in der Kariesprophylaxe – Handlungsempfehlungen für die Praxis und fachliche Bestandsaufnahme. Zahnmed Forsch Versorg 2025; 5(01):1–19.

Das vollständige Papier kann beim IDZ abgerufen werden.

Literaturliste

  • Zimmer S, Schulte A, Rojas G, Schäfer M, Einwag J, Ziller S, Schaper A, Jordan AR, Schlüter N, Schätze C, Stangier P. (2024) Umfrage unter Deutschlands Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der Zahnmedizin: Fluoride sind nicht gleichwertig ersetzbar. zm 114 Nr. 14, 16.07.2024, (1224):50-54.

  • Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK). Repräsentative Verbraucher-Umfrage. Juni 2024.

  • Berg, B., Cremer, M., Flothkötter, M. et al. (2021) Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter. Monatsschr Kinderheilkd 169, 550–558. doi.org/10.1007/s00112-021-01167-z

  • Bundesverband der Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e.V. (BZÖG) (2020). DAJ-Empfehlungen aktualisiert. Verfügbar unter: www.bzoeg.de/aktuelles-leser/DAJ-Empfehlungen-aktualisiert.html

  • Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK). Leserfrage: Darf mein Kind in der Kita ein drittes Mal die Zähne putzen oder ist das zu viel des Guten? Verfügbar unter: www.kariesvorbeugung.de/pressemeldung/leserfrage-darf-mein-kind-in-der-kita-ein-drittes-mal-die-zaehne-putzen-oder-ist-das-zu-viel-des-guten/

  • Heimes D und Kämmerer PW (2023) Polypharmazie – Implikationen für die Zahnmedizin. zm 113 (14);(1254):64-69.

  • Schiffner U (2021) Verwendung von Fluoriden zur Kariesprävention [Use of fluorides for caries prevention]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz; 64(7):830-37. doi:10.1007/s00103-021-03347-4

  • Zimmer S (2019) Fluoridierung bei Kindern – was ist aktuell? Plaque n‘ care. Verfügbar unter: www.pnc-aktuell.de/prophylaxe/story/fluoridierung-bei-kindern-was-ist-aktuell__8070.html

  • Toumba KJ, Twetman S, Splieth C, et al. (2019) Guidelines on the use of fluoride for caries prevention in children: an updated EAPD policy document. Eur Arch Paediatr Dent; 20: 507-16.

  • Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK). Stärkende Fluoride. Verfügbar unter: www.kariesvorbeugung.de/die-4-saeulen-der-kariesprophylaxe/staerkende-fluoride/

  • Benson PE, Parkin N, Dyer F, et al. (2019) Fluorides for preventing early tooth decay (demineralised lesions) during fixed brace treatment. Cochrane Database Syst Rev; 11:CD003809.

  • Ekstrand KR. High Fluoride Dentifrices for Elderly and Vulnerable Adults: Does It Work and if So, Then Why? Caries Res. 2016;50 Suppl 1:15-21.

  • Luka B, Fiedler A, Ganss C, Soetedjo V, Vach K, Schlueter N (2024) PREVENTING CARIES AFTER RADIOTHERAPY TO THE HEAD AND NECK REGION - A SYSTEMATIC REVIEW. J Evid Based Dent Pract. 2024 Sep;24(3):101989. doi: 10.1016/j.jebdp.2024.101989. Epub 2024 Mar 16. PMID: 39174170.

  • Gupta N, Pal M, Rawat S, Grewal MS, Garg H, Chauhan D, Ahlawat P, Tandon S, Khurana R, Pahuja AK, Mayank M, Devnani B. Radiation-induced dental caries, prevention and treatmGuptaent - A systematic review. Natl J Maxillofac Surg. 2015 Jul-Dec;6(2):160-6. doi: 10.4103/0975-5950.183870. PMID: 27390489; PMCID: PMC4922225.

Univ.-Prof. Dr. Stefan Zimmer

Lehrstuhlinhaber und Abteilungsleiter für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin, Leiter des Departments für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Dekan der Fakultät für Gesundheit
Universität Witten/Herdecke
Alfred-Herrhausen-Str. 50,
58448 Witten
66433-flexible-1900

Prof. Dr. med. dent. A. Rainer Jordan

Wissenschaftlicher Direktor
Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ)
Universitätsstr. 73, 50931 Köln
426578-flexible-1900

Dr. Sebastian Ziller

Leiter der Abteilung Prävention
und Gesundheitsförderung
der Bundeszahnärztekammer
Chausseestr. 13, 10115 Berlin

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