Nachruf auf Dr. Dr. Jürgen Weitkamp

Ein großes Vorbild als Mensch und als Zahnarzt

Dietmar Oesterreich
Nach kurzer schwerer Erkrankung verstarb der Ehrenpräsident der Bundeszahnärztekammer Dr. Dr. Jürgen Weitkamp im Alter von 86 Jahren am 30. Januar 2025. Er war ein Mensch, der sowohl in seinem gesellschaftlichen Engagement als auch in seinem berufspolitischen Wirken Einmaliges geleistet hat. Vergegenwärtigen wir uns einen beeindruckenden Lebensweg.

Dr. Dr. Jürgen Weitkamp wurde als Sohn eines Zahnarztes am 15. Juli 1938 in Bielefeld geboren. Nach dem Studium der Medizin und der Zahnmedizin in Marburg, Kiel, Berlin und Mainz sowie einem post graduate Studium an der Universität Michigan übernahm er am 1. August 1967 die Praxis seines Vaters. Erst am Beginn dieses Jahres zog er sich nach dem jahrzehntelangen Einsatz für seine Patienten aus der beruflichen Tätigkeit zurück.

Seine in den USA gesammelten Erfahrungen im Hinblick auf eine patientenorientierte, präventiv ausgerichtete und konsequent wissenschaftsbasierte Ausübung der Zahnmedizin prägten seinen Lebensweg. Bereits mit 32 Jahren engagierte er sich als junger Zahnarzt in der Kammerversammlung in Münster. Bedingt durch seinen vehementen Einspruch gegen die Einbeziehung der Prothetik in das Sachleistungsprinzip aus Gründen einer absehbaren Überforderung des solidarischen Gesundheitssystems wurde man auch über die Landesgrenzen hinaus erstmalig auf ihn aufmerksam.

Der Beginn eines neuen Selbstverständnisses

Dieser weitsichtige Blick auf die sozialpolitischen Auswirkungen und die gesellschaftlichen Konsequenzen gesundheitspolitischer Entscheidungen – auch innerhalb der berufspolitischen Gremien – waren Ausdruck seines gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins. Ihm wurde bewusst, dass er seine Überzeugungen sowohl in den Gremien der Kammer und der KZV als auch im FVDZ durchsetzen musste. So wurde er 1990 Präsident der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe und gleichzeitig Vorsitzender der KZBV-Vertreterversammlung.

Sein respektvoller und kollegialer Umgang mit unterschiedlichen Meinungen, aber auch die vermittelnde Ansprache und Werbung für verschiedene Interessen waren Grundlage seines zunehmenden Einflusses in den Bundesgremien der Zahnärzteschaft. Maßgeblich wirkte diese Autorität bei der Zusammenführung des Bundesverbandes Deutscher Zahnärzte (BDZ) und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Zahnärzte (ADZ) im Friedenssaal des Münsteraner Rathauses, was zur heutigen Bundeszahnärztekammer führte.

Noch in Münster versah Weitkamp die Kammern mit neuen, auf die unmittelbare Berufsausübung ausgerichteten Inhalten. Eine stärkere Patientenorientierung mit einer „sprechenden Zahnheilkunde“ und die Förderung eines dafür notwendigen Fachpersonals durch die Gründung des Zentralinstituts der Helferinnenfortbildung waren der Beginn eines neuen Selbstverständnisses in den Zahnärztekammern Deutschlands.

Auch diese Erfahrungen brachte ­Jürgen Weitkamp mit der politischen ­Wende in Deutschland beim Aufbau der Selbstverwaltung, insbesondere bei der Gründung der Landeszahnärztekammer Brandenburg ein. Diese politischen Veränderungen waren für ihn als Rotarier darüber hinaus Anlass, als offizieller Gründungsbeauftragter des Rotary-Clubs in Quedlinburg wirksam zu werden. Sein Engagement hier führte nicht nur zur Ehrenmitgliedschaft im dortigen Rotary-Club, sondern sogar zum Ehrenbürger der Welterbe-Stadt. Seinen 80. Geburtstag nahm er zum Anlass, für ein Denkmal „Friedliche Revolution 1989-90 – Deutsche Einheit“ zu werben und erste finanzielle Grundlagen dafür zu legen. Die Einweihung dieses Denkmals im kommenden Jahr wird er nun nicht mehr erleben, aber es wird ein weiteres Zeichen für sein über den Tod hinaus reichendes gesellschaftliches Engagement sein.

Diese Orientierung am Gemeinwohl und die gleichzeitige Verbindung mit der konsequenten Ausrichtung auf eine präventionsorientierte Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde waren die Grundlagen für die von ihm ­initiierte „Apollonia zu Münster-Stiftung für Zahnärzte in Westfalen-Lippe“. Spätere Preisträger waren neben ihm selbst der Mainzer Kardinal Lehmann und der Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.

Auch Berlin war ein echter Neustart

Diese den Berufsstand langfristig prägenden Schwerpunkte führten im November 2000 dazu, dass er zum Präsidenten der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) für zwei Amtsperioden gewählt wurde. Mit dem gleichzeitigen Umzug der BZÄK nach Berlin nutzte er nun all seine Erfahrungen und Weitsichtigkeit für die Gestaltung der berufspolitischen Vertretung in der neuen Bundeshauptstadt. Es war ein wahrhafter Neustart, den Weitkamp mit der Forderung nach dem eigenen Gestaltungswillen des Berufsstandes verband.

Auf Grundlage eines guten und belastbaren Verhältnisses zur Wissenschaft, insbesondere zur DGZMK, wurde die Neubeschreibung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde als Basis zahnmedizinischen Handelns auf den Weg gebracht, die dann später wegweisend in den gesundheitspolitischen Entscheidungsprozessen war, um die Festzuschüsse in der Zahnmedizin einzuführen. Zugleich wurde als Zeichen der engen Zusammenarbeit mit der Wissenschaft der Deutsche Zahnärztetag als gesellschaftlicher, berufspolitischer und wissenschaftlicher Höhepunkt etabliert.

Nicht nur der Blick auf die eigenen wissenschaftlichen Grundlagen waren für Weitkamp von Bedeutung. Früh erkannte er, dass gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse zunehmend weitere Kompetenzen erforderten. Mit der Schaffung von beratenden Gremien mit gesundheitspolitischem, gesundheitsökonomischem und sozialwissenschaftlichem Sachverstand erweiterte er die eigenen Sichtweisen und schuf zunehmende Akzeptanz für eigene berufspolitische Vorstellungen.

Die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse des gemeinsam von BZÄK und KZBV getragenen sozialepidemiologischen Instituts der deutschen Zahnärzte (IDZ) wurden zunehmend wesentliche Grundlage für den gesundheitspolitischen Diskurs. Angekommen in Berlin galt es aber auch, die Vorstellungen und Überzeugungen in die Öffentlichkeit und die gesundheitspolitischen Gremien zu transportieren. Regelmäßige Kontakte in vertrauensvoller und respektvoller Atmosphäre mit Journalisten und gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern waren für ihn von besonderer Bedeutung.

Dies alles wurde in enger und offener Abstimmung mit dem Vorstand und der Verwaltung entschieden. Sein engster Kreis für die Entscheidungen war der geschäftsführende Vorstand mit dem Hauptgeschäftsführer. Kein Weg war zu weit, kein Abend zu lang und keine Zeit zu ungünstig, sich abzustimmen, auseinanderzusetzen und dann gemeinschaftlich die Entscheidungen zu vertreten. Uneingeschränktes Vertrauen ineinander und das bei manchen Widerständen konsequente Eintreten füreinander waren die Grundlage des gemeinsamen Erfolgs.

Stets mit klarer Diktion, kritisch in der Sache, aber wohlwollend in der Umsetzung, respektvoll und verbindlich warb Weitkamp in den Gremien für seine Zielvorstellungen – und setzte diese durch. Auch in dieser Zeit war er stets geerdet durch seine zahnärztliche Tätigkeit in der Praxis und eine klare Auffassung zur Freiberuflichkeit mit ihren Pflichten und Verantwortung. Seine Persönlichkeit war geprägt durch Tradition und Bodenständigkeit in seinem Heimatort, aber zugleich durch seine Offenheit gegenüber allen neuen Entwicklungen, auch in Kunst und Kultur. So prägte er sogar die innere Gestaltung der Räumlichkeiten der BZÄK durch moderne Kunst als Zeichen für die Aufgeschlossenheit des Berufsstands.

Kein Weg war zu weit

Mit seiner menschlichen Zuwendung schuf er in der BZÄK ein vertrauensvolles und verlässliches Miteinander. Vorausschauend wandte er sich intensiv der nachwachsenden zahnärztlichen Generation zu. Seine Initiative war maßgeblich für die Gründung der Berufsverbände BDZM und BDZA des Nachwuchses. Um jedoch auch die berufspolitischen Gremien mit entsprechenden Kompetenzen bei der Interessensvertretung zu versehen, wurde die Akademie für Freiberufliche Selbstverwaltung, die von wesentlicher Bedeutung für den berufspolitischen Nachwuchs der Gremien ist, als eine bundesweit agierende Institution unter seiner Führung eingerichtet.

Wir würdigen einen besonderen Menschen und Zahnarzt, der aufgrund seiner zahlreichen Verdienste hohe Ehrungen (etwa das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse) und zahlreiche Auszeichnungen der Berufspolitik und Wissenschaft erhalten hat. Ein Mensch, der tiefe Spuren in Deutschland hinterlassen hat, der den Berufsstand in die Mitte der Gesellschaft gerückt und noch heute und zukünftig für jede Zahnärztin und jeden Zahnarzt bei der zahnärztlichen Berufsausübung spürbar und wirksam ist. Bis zuletzt war er Teil dieser Gemeinschaft. Wir hatten uns noch zum Neujahrsempfang der BZÄK 2025 verabredet. Ich persönlich verliere mit Jürgen Weitkamp einen guten Freund und wichtigen Mentor.

Wir trauern um ein großes Vorbild als Mensch und als Zahnarzt.

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich
langjähriger Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer

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Prof. Dr. Dietmar Oesterreich

Langjähriger Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzender Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ), Honorarprofessor für Orale Prävention und Versorgungsforschung an der Universität Greifswald

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