Implantatversorgung im Alter
Das Spektrum der Indikationen für Implantate im fortgeschrittenen Lebensalter unterscheidet sich kaum noch von jenem bei jüngeren Menschen: Es reicht vom Ersatz einzelner Zähne bis zu festsitzenden oder abnehmbaren implantatgetragenen Versorgungen der ganzen Kiefer. Die Implantattherapie gilt auch bei älteren Menschen als vorhersagbare Therapieform, bei der die Implantatüberlebensraten sich nur wenig von denen jüngerer Patienten unterscheiden.
In der Folge profitieren die Patienten von einer höheren mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität, einer besseren oralen Funktion und einer besseren Kaufähigkeit. Jedoch sind für eine erfolgreiche Implantatbehandlung spezifische Risikofaktoren sowie die kognitiven und die manuellen Fähigkeiten der Patienten zu berücksichtigen.
Implantate funktionieren unabhängig vom Patientenalter
Die neue Leitlinie umfasst 19 Empfehlungen, die alle Abschnitte einer Behandlung – von der Planung bis zur Nachsorge – betreffen. Sie wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Implantologie e.V. (DGI) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e.V. (DGZMK) erstellt. An der Entwicklung der Leitlinie beteiligt waren 23 wissenschaftliche Fachgesellschaften, Organisationen und Patientengruppen.
Es handelt sich bei dieser Leitlinie um eine S2k-Leitlinie: Sie basiert auf dem Konsens von Expertinnen und Experten, weil keine systematische Aufbereitung der wissenschaftlichen Evidenz zugrunde gelegt werden konnte. Dieser Mangel an Studien hat auch damit zu tun, dass bei entsprechenden Untersuchungen allgemeinmedizinische Erkrankungen mitunter als Ausschlusskriterien benannt sind – also Patienten mit gesundheitlichen Risikofaktoren oder bestimmten Erkrankungen nicht in Studien eingeschlossen werden dürfen.
Dennoch liefert die Leitlinie relevante Antworten auf Fragen nach den Überlebens- und Komplikationsraten von Implantaten und prothetischen Suprastrukturen bei Älteren und gibt wichtige Hinweise auf die Auswirkungen einer Implantattherapie. „Beim Erstellen der Leitlinie haben wir versucht, die Perspektive des Praktikers einzunehmen“, sagt der federführende Autor Samir Abou-Ayash. Die zentrale Botschaft der Leitlinie laute: „Das chronologische Alter allein sollte nicht über eine Implantattherapie entscheiden. Die Evidenz zeigt, dass Implantate unabhängig vom Patientenalter gut funktionieren."
Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte hätten Berührungsängste bei älteren Patienten, die aber – nur auf das Alter bezogen – unbegründet seien, denn: „Der gesunde alte Patient ist nicht anders zu behandeln als der junge Patient.“ Was die Behandlung älterer Patienten schwieriger macht, sei eine allgemeinmedizinische Kompromittiertheit – nicht das Alter.
Denn alterstypische Erkrankungen und Polypharmazie können den Erfolg einer Implantatbehandlung gefährden. Auch die kognitive und die manuelle Leistungsfähigkeit können sich im Alter schnell ändern. Dann sind die Betroffenen auf fremde Hilfe bei der Mundhygiene angewiesen und der implantatgetragene Zahnersatz muss dementsprechend angepasst werden. Die Leitlinie empfiehlt, Patienten dahingehend zu beraten, dass es sowohl festsitzende als auch herausnehmbare Optionen gibt und eine individuelle Patientenentscheidung getroffen werden sollte.
Risiko und Nutzen der Behandlung individuell abwägen
Schon bei der Planung der Therapie soll die Indikation nach Abwägung von patientenspezifischen Risiken gegen den Nutzen der Behandlung und unter Beachtung der allgemeinmedizinischen und speziellen Anamnese gestellt werden. Bei Risiko-Patienten soll die Nachsorge sichergestellt sein und bereits bei der Planung einkalkuliert werden. Ebenfalls berücksichtigt werden soll der Allgemeinzustand, wenn die Invasivität der Therapie sowie die Dauer und die Tageszeit der Therapiesitzungen geplant werden.
Häufig werde der chirurgische Eingriff als kritischer Schritt für die Implantattherapie gesehen. Die prothetische Phase – insbesondere die Anzahl und die Dauer der Behandlungen – sollte aber unbedingt mit bedacht werden. Beispielsweise sind Sofortimplantationskonzepte gerade bei älteren Patientinnen und Patienten sehr beliebt. Ebenso gilt es, bei der Planung auf die Ähnlichkeit des Zahnersatzes zur Restdentition beziehungsweise zur prothetischen Versorgung zu achten, da die Neuroplastizität des Gehirns mit steigendem Alter sinkt. Adaptationsschwierigkeiten sollten darum minimiert werden.
Um die Invasivität eines geplanten Eingriffs besser einschätzen und minimieren zu können, kann – so die Empfehlung – eine 3D-Röntgenuntersuchung eingesetzt werden. Zur Beurteilung der Kaufähigkeit stehen einfache Tests zur Verfügung, aus der eine Therapie-Indikation abgeleitet werden kann. Auch die manuelle Geschicklichkeit der Patienten sollte überprüft werden und in die Therapieplanung einfließen.
Eine geführte Chirurgie kann die Behandlungsdauer und die Invasivität reduzieren und so das postoperative Komplikationsrisiko senken. Allerdings ist dieses Vorgehen vor allem bei zahnlosen Patienten fehleranfällig. Darum muss die Genauigkeit bei der Übertragung der virtuellen Planung in den Patientenmund intraoperativ sichergestellt werden.
Kurze Implantate (6 mm) können eine vertikale Augmentation des Kieferkamms vermeiden, Durchmesser-reduzierte Implantate (unter 3,5 mm) sind eine Alternative zur horizontalen Augmentation. Systematische Übersichtsarbeiten belegen bei kurzen Implantaten durchschnittliche Fünf-Jahres-Überlebensraten von mehr als 90 Prozent. Für Implantate unter vier Millimetern ist die Evidenz geringer, weshalb sie nur in Ausnahmefällen in Erwägung gezogen werden sollten.
Bei Durchmesser-reduzierten Implantaten (3,0–3,5 mm) sind die Überlebensraten mit denen von Standardimplantaten vergleichbar. Sogenannte Mini-Implantate sind zumeist einteilig und haben einen Durchmesser von weniger als drei Millimetern. Sie kommen vor allem bei horizontal stark atrophierten Kieferkämmen zum Einsatz, um abnehmbare Teil- oder Totalprothesen zu stabilisieren. Die Verlustraten im Oberkiefer sind bei diesen Implantaten höher als im Unterkiefer.
Empfehlungen zur Prothetik und zur Nachsorge
Alterstypische degenerative Veränderungen des Kiefergelenks und der Verlust der parodontalen Propriorezeptoren erschweren im Alter die Okklusion. Ein Okklusionskonzept, das mehr Freiheiten gibt, kann diesen Problemen entgegenwirken. Möglichst vor der Fertigstellung der prothetischen Versorgung sollten die autonome Handhabung und die Reinigungsfähigkeit des implantatgetragenen oder -gestützten Zahnersatzes durch die Patienten oder Helfende überprüft und sichergestellt werden.
Viele Studien belegen den positiven Effekt einer regelmäßigen Nachsorge inklusive einer professionellen Mund- und Prothesenhygiene. Darum lautet die erste Empfehlung zur Nachsorge, dass die Patientinnen und Patienten in ein systematisches Nachsorgeprogramm aufgenommen werden sollten. Ein fester Bestandteil in diesem Programm sollte auch die Überprüfung der Handhabung und der Reinigungsfähigkeit des Zahnersatzes sein, damit gegebenenfalls eine Umgestaltung der Versorgung diese verbessern kann.
Ist eine suffiziente Mund- und Prothesenhygiene nicht gewährleistet, sollte zur Verminderung des Risikos von Aspirationspneumonien vom nächtlichen Tragen der Prothesen abgeraten werden. In der letzten Empfehlung betonen die Fachleute, dass eine alleinige prothetische Neuversorgung und die daraus folgende bessere Kaufähigkeit nicht zwingend zu einer besseren Ernährung führen. Bei Gewichtsverlusten, die auf die prothetische Versorgung zurückgeführt werden können, sollte darum neben der prothetischen Neuversorgung eine Ernährungsberatung durch entsprechendes Fachpersonal und/oder ein Prothesenadaptationstraining eingeleitet werden.
Die S2K-Leitlinie „Implantatversorgung im fortgeschrittenen Lebensalter“ ist von September 2024 und gültig bis August 2029.