Aus der Wissenschaft

Sind Pathologien am Zahnhals häufiger als gedacht?

Søren Jepsen
Gingivale Rezessionen führen zu freiliegenden Wurzeloberflächen und können mit der Entstehung von nicht-kariösen Zahnhartsubstanzdefekten einhergehen, was bei den Betroffenen wiederum zu Hypersensitivitäten des Dentins führen kann. Eine aktuelle, groß angelegte Studie hat die Häufigkeit dieser Zustände in sieben europäischen Ländern untersucht.

In der Zahnhalsregion können unterschiedliche Pathologien und Zustände auftreten, die Probleme bereiten. Ziel der aktuellen Multicenterstudie war die Bestimmung der Prävalenz und der damit verbundenen Risikoindikatoren für Dentinüberempfindlichkeit (DH), erosiven Zahnhartsubstanzverlust (ETW) und Gingivarezession (GR) mittels klinischen und Fragebogendaten.

Material und Methode

Unter der Leitung von Prof. Nicola West von der Universität Bristol wurde eine epidemiologische Querschnittsstudie an sieben Zentren in sieben europäischen Ländern (Deutschland, England, Italien, Irland, Portugal, Schweiz und Spanien) bei systemisch gesunden Erwachsenen (≥ 18 Jahre) durchgeführt.

Die Teilnehmer füllten einen Fragebogen zu Mundhygiene, Ernährung, Lebensstilfaktoren sowie zu eventuellen Schmerzen und deren Auswirkungen auf die Lebensqualität aus. Außerdem fand eine umfangreiche klinische Untersuchung durch kalibrierte Untersucher zur Bestimmung von Dentinhypersensitivität (DH) per Schiff Score sowie Fragebogen (ja/nein), erosivem Verlust von Zahnhartsubstanz (Erosive Tooth Wear = ETW) mittels Basic Erosive Toothwear Examination (BEWE), gingivaler Rezession (GR in mm) und des gingivalen Phänotyps statt.

Zähne mit Karies oder Restaurationen im Zahnhalsbereich und endodontisch behandelte Zähne waren von der Untersuchung ausgeschlossen. In dieser ersten Publikation wurden nun zunächst die auf Probandenebene ausgewerteten Daten veröffentlicht. Die errechneten Odds Ratios waren für die hauptsächlichen Confounder (Störfaktoren) Land und Alter (in sechs Altersgruppen) adjustiert worden.

Ergebnisse

Insgesamt 3.551 Probanden (Durchschnittsalter 44 ± 17,4 Jahre, 43,6 Prozent Männer) beendeten die Studie. Dentinhypersensitivität (Schiff Score ≥ 1 an mindestens einem Zahn) wurde bei 75,9 Prozent von ihnen beobachtet, erosiver Substanzverlust (BEWE ≥ 1) bei 97,6 Prozent und gingivale Rezessionen (≥ 1 mm) bei 87,9 Prozent. Immerhin 72,1 Prozent hatten moderate oder schwere ETW (BEWE 2/3). ETW war bei Männern signifikant höher als bei Frauen. Ausgeprägte DH (Schiff Score 2 oder 3) fand sich bei 29,0 Prozent der Teilnehmer. Im Fragebogen hatten 40,6 Prozent eine DH angegeben.

Generell war DH bei Männern signifikant niedriger als bei Frauen. Zumindest ein Zahn mit GR ≥ 3 mm lag bei 53,5 Prozent der Probanden vor. Insgesamt gab es keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern bezüglich der Prävalenz von Rezessionen. Erosive Substanzverluste und gingivale Rezessionen nahmen im jungen Erwachsenenalter deutlich zu. Danach stiegen GR und ETW weiter an, DH sank nach etwa 38 bis 47 Lebensjahren. DH war signifikant mit ETW (p < 0,001) und GR (p < 0,01) assoziiert.

Es gab signifikante Zusammenhänge zwischen einer erhöhten DH und Sodbrennen (p < 0,001) sowie zwischen einer verringerten DH (p < 0,001) und ETW (p < 0,001) bei Verwendung einer elektrischen Zahnbürste. Ein vermehrter Konsum von säurehaltigen Nahrungsmittelnwar signifikant mit erhöhter Prävalenz von DH, ETW und GR assoziiert.

Diskussion

Die Pandemie behinderte die geplante Rekrutierung der Teilnehmer ganz erheblich, was dazu führte, dass deutlich mehr Daten von Probanden in Universitätskliniken als in Praxen gesammelt wurden und auch nicht die ursprünglich angestrebte Teilnehmerzahl von 4.900 erreicht werden konnte. Dennoch ist diese Studie nicht nur die aktuellste, sondern auch die größte ihrer Art in Europa. Die Stratifizierung der Teilnehmer über die verschiedenen Altersgruppen ist adäquat.

Die Prävalenz der untersuchten oralen Pathologien und Zustände war hoch und höher als in der Mehrzahl der bisherigen GR-, DH- und ETW-Literatur. Allerdings waren große Unterschiede je nach Land und Alter festzustellen, die noch nicht alle erklärt werden können.

Für weitere Publikationen soll nun jede der untersuchten Pathologien/Zustände mit ihren assoziierten Risikoindikatoren noch genauer auf der Site-Ebene analysiert werden. Auch die Auswirkungen auf die Lebensqualitätsollen näher dargestellt werden.

Bedeutung für die Praxis

Die Zahnhalsregion ist häufig von Dentinhypersensitivitäten, erosiven Zahnhartsubstanzverlusten und gingivalen Rezessionen betroffen. Diese Zustände waren in den sieben untersuchten europäischen Ländern weit verbreitet. Zumeist sind diese Erkrankungen durch Verhaltensänderungen hervorragend vermeidbar und auch behandelbar. Es sind Anstrengungen erforderlich, um diese gesundheitlichen Herausforderungen anzugehen, das Bewusstsein dafür zu schärfen und den Einzelnen durch Aufklärung und Unterstützung im Bereich seiner Mundgesundheit zu stärken.

West NX, Davies M, Sculean A, et al. Prevalence of dentine hypersensitivity, erosive tooth wear, gingival recession and periodontal health in seven European countries. J Dent. 2024 Nov; 150:105364. doi: 10.1016/j.jdent.2024.105364. Epub 2024 Sep 22. PMID: 39317300.

153278-flexible-1900

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Søren Jepsen

Direktor der Poliklinik für
Parodontologie, Zahnerhaltung und
Präventive Zahnheilkunde,
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kiefer-
heilkunde, Universitätsklinikum Bonn
Welschnonnenstr. 17, 53111 Bonn

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