Interview mit Prof. Johan Wölber

„Die ersten Symptome ungesunder Ernährung sind Karies und Zahnfleischentzündungen!“

Prof. Johan Wölber hat am Positionspapier der Bundeszahnärztekammer zu Ernährungszahnmedizin und Mundgesundheit mitgearbeitet. Für ihn steckt in dem Thema enormes präventives Potenzial – das es auszuschöpfen gilt.

Herr Prof. Wölber, warum ist das Thema Ernährungszahnmedizin und Mundgesundheit nicht nur aus gesundheitlicher, sondern auch aus gesundheitspolitischer Sicht wichtig?

Die zahnmedizinische Prävention in Form von Plaquekontrolle und Fluoriden hat nachweislich zu einer Reduktion der Krankheitslast geführt, aber wir haben bevölkerungsweit immer noch hohe Prävalenzen an Karies, Gingivitis und Parodontitis – obwohl der größte Teil der Bevölkerung sich regelmäßig die Zähne reinigt. Ernährung ist hier der nächste Schritt.

Das Thema ist gesundheitspolitisch so wichtig, weil es ein unheimlich großes Potenzial in medizinischer und zahnmedizinischer Prävention bietet, was wir derzeit in der breiten Zahnärzteschaft überhaupt nicht ausschöpfen. Wir reden bei Ernährung von einem „upstream“-Faktor beziehungsweise einem starken gemeinsamen Risikofaktor. Das heißt, dass Ernährung von frühester Kindheit an für eine Vielzahl von Erkrankungen – dosisabhängig – fördernd wirken kann. Die ersten Symptome einer ungesunden Ernährung sind in der Regel Karies und Zahnfleischentzündungen, lange bevor es zu Parodontitis, Übergewicht, Diabetes Typ 2 und koronaren Herzerkrankungen kommt. Anders als beim Rauchen betrifft Ernährung ausnahmslos alle Menschen. Deswegen ist der Ansatz der BZÄK extrem wichtig, hier die Zahnärzteschaft zu informieren und für das Thema zu gewinnen – sowie gesundheitspolitische Forderungen zu formulieren.

Welchen Einfluss hat die Ernährung auf die Mundgesundheit und was sollten Patientinnen und Patienten darüber wissen?

Ernährung hat einen zentralen Einfluss auf die Mundgesundheit, der vielen Menschen nicht bewusst ist. Als stärkster gemeinsamer Risikofaktor für Karies und parodontale Erkrankungen kann der Konsum von einfachen prozessierten Kohlenhydraten genannt werden (wie Zucker, Weißmehle, Säfte oder Softdrinks) sowie das Fehlen von Ballaststoffen und Mikronährstoffen. Freie Zucker fördern im oralen Mikrobiom kariogene Prozesse und Gingivitis; sowie Blutzuckerspitzen, Cholesterinbildung, Gewichtszunahme und Entzündungen im Körper. Die Deutschen nehmen derzeit durchschnittlich 90 Gramm Zucker pro Tag zu sich, die WHO nennt – vor allem aus Mundgesundheitsgründen – ein klares Limit von 25 Gramm pro Tag. Für den derartig hohen Konsum von freien Zuckern (also ohne den Zusammenhang mit Ballaststoffen) sind wir evolutionär nicht adaptiert, weder unser Mikrobiom noch unser Metabolismus. Auf der anderen Seite wissen wir mittlerweile: Wenn wir freie Zucker weitgehend vermeiden, senken wir deutlich unser Karies- und Gingivitisrisiko.

Aber es geht nicht nur um Zucker, oder?

Richtig. Neben dem Thema Zuckervermeidung ist es auch wichtig, auf einen Mehrkonsum von Ballaststoffen und Mikronährstoffen sowie auf ein ausgeglichenes Verhältnis von Omega-3- und Omega-6 Fettsäuren zu achten. In der Regel werden zu wenig Omega-3- (wie in Seefisch oder Algenöl enthalten) und zu viele Omega-6-Fettsäuren (wie aus Sonnenblumenöl oder Tierfleisch) konsumiert. Die derzeitigen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung geben da eine wirklich gute Orientierung: eine Fleisch-reduzierte (oder auch vegetarische) Vollwertkost mit vielen Ballaststoffen und Mikronährstoffen. Da Vitamin D nicht zwangsläufig mit der Ernährung zugeführt wird, sollte auch hier auf einen guten Wert geachtet werden.

Welche Rolle kommt den Zahnarztpraxen bei der Aufklärung zu?

Wenn die Praxen wollen, eine sehr große! Wenn Zahnarztpraxen die etablierten Strukturen der Prophylaxe zur Förderung der fluoridierenden Biofilmkontrolle um Lebensstilfaktoren wie Ernährungsberatung ergänzen, können sie in der Prävention noch mehr zur Mund- und Allgemeingesundheit beitragen. Ihre Therapieergebnisse werden nachhaltiger und die Patientinnen und Patienten profitierten auch von mehr Allgemeingesundheit, beispielsweise in Form von Gewichtsabnahme oder Blutdrucksenkung.

Zudem sehen die Zahnarztpraxen ihre Patientinnen und Patienten regelmäßig, was für eine kontinuierliche Beratung eines Lebensstilfaktors wie Ernährung extrem hilfreich ist.

Und wie können Zahnärztinnen und Zahnärzte die Aufklärung am besten in ihren Praxisablauf integrieren?

Das kann sowohl „Chefinnen- oder Chefsache“ sein als auch vom gesamten Prophylaxeteam durchgeführt werden. Bezüglich der Abrechnung sind in der BEMA in der Kinderzahnheilkunde (FU/IP-Leistungen), in der Parodontitistherapie (ATG) und in der Therapie von vulnerablen Gruppen mit Pflegegrad (Ä174a/b) Inhalte zur Ernährungsberatung beschrieben. Für „gesunde“ Erwachsene beziehungsweise Patientinnen und Patienten mit Karies und Gingivitis ergibt sich eine Versorgungslücke in Bezug auf die Beratung zu einer mundgesunden Ernährung. Im Positionspapier der BZÄK sind Vorschläge für Analogpositionen genannt, mit denen Ernährungsberatung beispielsweise im Rahmen der Prophylaxe vergütet werden kann.

Eine der Hauptempfehlungen des Papiers ist die Reduktion von Zucker – mit welchen Argumenten könnten Zahnärzte dies ihren Patienten klarmachen?

Eine schnelle und nachvollziehbare Argumentation kann über die Frage erfolgen, wie andere Primaten und wildlebende Tiere eigentlich ihre Mundgesundheit ohne Mundhygiene gewährleisten. Nach einer kurzen Denkpause ist man da schnell beim Thema Ernährung und dem viel zu hohen Zuckerkonsum. Hilfreich ist es auch, sich die Vor- und Nachteile von Zucker einmal zu vergegenwärtigen: Für ein kurzes Glückserlebnis stehen (beim derzeit hohen regelmäßigen Konsum) diverse Mund- und Allgemein­erkrankungen. Es lohnt sich einfach nicht. Allerdings kann das Vermeiden von Zucker bei zuckergewöhnten Menschen Entzugssymptome hervorrufen, die aber nach ein bis zwei Monaten nachlassen. Darauf sollte man hinweisen.

Was wäre in Richtung Gesundheitspolitik zu fordern?

Wenn wir in der Bevölkerung wirklich mehr Gesundheit und geringere Gesundheitskosten wollen, dann müssen wir verhältnispräventive Maßnahmen umsetzen. Es kann nicht sein, dass wir in der Praxis über Gesundheit aufklären, der Patient außerhalb der Praxis aber sofort auf Werbung für Zuckerkonsum stößt. Die Bewerbung von ungesunden Stoffen stehen ja den Gesundheitsausgaben diametral entgegen. Die Forderungen des Bürgerrates und der Deutschen Allianz für nicht-übertragbare Erkrankungen (DANK) sind sehr klar: eine Zuckersteuer, eine Entsteuerung von gesunden Lebensmitteln (wie Obst und Gemüse) und eine gesunde, kostenfreie Verpflegung in Kitas und Schulen.

Zudem sollten wir endlich damit aufhören zuzulassen, dass die Kleinsten unserer Gesellschaft mit Werbung für Süßigkeiten bombardiert werden. Spätestens den Kindern gegenüber haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung für ihre aktuelle und spätere Gesundheit.

Das Gespräch führte Gabriele Prchala.

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