Eine Entscheidung für die Selbstentfaltung
Früher stand unumstößlich fest: Ein Zahnarzt lässt sich in eigener Praxis nieder. Der Weg in die Freiberuflichkeit war vorgezeichnet. Punkt. Als das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) 2007 in Kraft trat, änderte sich die Lage. Zahnärztinnen und Zahnärzte haben seitdem die Wahl: ihr eigener Chef zu sein oder als Angestellte zu arbeiten.
Doch obwohl der Gesetzgeber es selbstständig Schaffenden nicht unbedingt leicht macht – Stichworte Bürokratie und Gesetzesflut – entscheiden sich zwei Drittel der angehenden Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner nach wie vor für die Niederlassung; die zu beobachtenden Rückgänge sind Experten zufolge eher demografisch bedingt.
Studien des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) bestätigen die Entwicklung: Die Freiberuflichkeit sei von der Notwendigkeit zu einer bewussten Wahl geworden, auch der Weg dorthin gestalte sich zunehmend diverser. Aber warum findet der Nachwuchs die Selbstständigkeit immer noch attraktiv? Was sind für junge Absolventen die Vorteile des Unternehmerdaseins?
Zwei Seiten der Selbstverwirklichung
Dem Ja zur Niederlassung liegen laut IDZ in den meisten Fällen sowohl ideelle als auch materielle Ziele und Vorstellungen zugrunde: Patientinnen und Patienten zu versorgen und somit ihr Wohlergehen und ihre Gesundheit sicherzustellen ist die eine Seite der Medaille, ein gutes Einkommen damit zu erzielen, die andere. Dazu kommt die Möglichkeit, seine Praxis so zu führen, wie man es selbst für richtig hält. Mit anderen Worten: Die Niederlassung macht es möglich, im Beruf Sinnhaftigkeit und Selbstbestimmung zu finden. Ein Wunsch, der für viele Berufseinsteiger (neben einem guten Gehalt) ganz oben steht.
Zudem kann man in der Einzelpraxis und in der Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) leichter ein stabiles Vertrauensverhältnis zum Patienten aufbauen als in großen Strukturen wie MVZ, in denen Personal und Patienten ständig wechseln. Zugleich bietet die Freiberuflichkeit auch finanziell mehr Raum, weil Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber natürlich mehr verdienen als angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte, wie auch das Zahnärzte-Praxis-Panel (ZäPP) zeigt.
Was nicht zu unterschätzen ist: Praxisinhaberinnen und -inhaber sind in hohem Maß flexibel. Denn klar kann ich als angestellte Zahnärztin / angestellter Zahnarzt auf Teilzeit gehen, wenn ich vorübergehend oder dauerhaft weniger arbeiten kann oder will. Doch das kann ich als Chefin oder Chef auch – und habe noch dazu das Zepter in der Hand.
Und falls man merkt, dass einem die Arbeit über den Kopf wächst, kann man als Betreiber einer Einzelpraxis zwecks Entlastung zusätzlich einen Zahnarzt anstellen. In einer BAG lässt sich sogar die Arbeitszeit flexibel auf die Inhaber aufteilen. Genauso geht natürlich das Gegenteil: Wer vorübergehend mehr Einkommen erzielen will, kann seine Arbeitszeit ausdehnen, und zwar viel leichter als in dem starren Rahmen eines Anstellungsverhältnisses.
In einem ökonomischen Modell würde man sich diese Situation als Nutzenmaximierung vorstellen, bei der Inhaberinnen und Inhaber ein für sie optimales Verhältnis zwischen Einkommen und Freizeit austarieren können – mit mehr Wahlfreiheit als ein angestellter Zahnarzt. Beide Möglichkeiten – mehr Freiheit und weniger Einkommen versus weniger Freiheit und mehr Einkommen – lassen sich mit den ZäPP-Daten belegen. Auffällig sind die großen Unterschiede bei den Arbeitszeiten: Am oberen Ende arbeiten 20 Prozent der Inhaberinnen und Inhaber 50 Stunden und mehr pro Woche, am unteren Ende 20 Prozent in Teilzeit weniger als 38 Wochenstunden.
Da in jeder Praxis fixe Kosten entstehen, die längere Öffnungszeiten besser auffangen können, ist die Teilzeittätigkeit von Inhabern in BAGs noch einfacher zu handhaben als in Einzelpraxen: Hier sind 30 Prozent der Inhaberinnen und Inhaber mit 38 oder weniger Wochenstunden dabei.
In der BAG sind die Inhaber im Schnitt auch etwas jünger als in der Einzelpraxis. Offensichtlich ist der Einstieg in eine BAG gerade für jüngere Zahnärzte eine gute Möglichkeit, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Ein genauerer Blick auf die in Teilzeit arbeitenden Inhaber bestätigt diese Vermutung: Zwar handelt es sich oftmals um Zahnärzte über 60 Jahre, die zum Ende ihrer Karriere etwas kürzertreten wollen, aber es finden sich hier auch viele Zahnärzte um 40 Jahre, die wahrscheinlich aus familiären Gründen weniger arbeiten.
Warum die kleine Praxis gut für die Versorgung ist
Würde die heutige Versorgung vollständig von MVZ getragen, ginge die Zahl der Praxisstandorte von derzeit über 38.000 auf rund 14.000 zurück – ein Minus um rund zwei Drittel! Das liegt daran, dass mit MVZ eine starke Konzentrationstendenz verbunden ist: So arbeiten in einem MVZ im Durchschnitt 4,6 Behandelnde, während es in inhabergeführten Praxen nur 1,6 sind. In Investoren-MVZ (iMVZ) sind es sogar 4,9 Behandler je Standort, so dass der Effekt noch stärker wäre.
Eine solche Konzentration der Versorgung würde zu erheblich weiteren Wegen für die Patienten und einer dramatischen Unterversorgung in der Fläche führen. Hinzu kommt, dass sich MVZ eher in Städten und einkommensstarken Gebieten ansiedeln, während Einzelpraxen sich weitgehend bevölkerungsproportional, also auch in der Fläche gründen. Dies ist nicht überraschend, denn neben den persönlichen Motiven der Inhaberinnen und Inhaber spricht auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht viel dafür, sich in weniger dicht besiedelten Gegenden niederzulassen: Nicht nur der Einnahmenüberschuss, auch die Umsatzrendite* ist auf dem Land höher als in der Stadt.
Quelle: ZäPP
* Die Umsatzrendite ist ein Effizienzmaß, das den Gewinn dem Umsatz gegenüberstellt. Je höher der Wert, desto höher der Gewinn pro Euro Umsatz und desto höher die Effizienz des jeweiligen Unternehmens.
Übrigens bieten inhabergeführte Praxen auch für Angestellte ein arbeitnehmerfreundlicheres Modell als MVZ: So ist der Anteil des Praxispersonals, das in Teilzeit arbeitet, laut Statistischem Bundesamt in Einzelpraxen (41 Prozent) oder BAGs (38 Prozent) deutlich höher als in MVZ (31 Prozent).
Und wie sieht es mit den Risiken aus? Bei jeder Unternehmensgründung besteht schließlich grundsätzlich die Möglichkeit zu scheitern, im schlimmsten Fall pleite zu gehen. Für Zahnarztpraxen wird dieses Risiko jedoch allgemein überschätzt. So sinken die jährlich eröffneten Insolvenzverfahren für niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte seit 20 Jahren kontinuierlich und liegen mittlerweile im niedrigen zweistelligen Bereich – angesichts von knapp 40.000 Praxen liegt der Anteil bei unter 0,1 Prozent jährlich.
Einen sicheren Arbeitsplatz hat man auch als Chef
Selbst wenn man die Kostenstrukturdaten der 10 Prozent Praxen mit dem geringsten Einnahmen-Überschuss betrachtet, ist deren Gewinn in nahezu allen Jahren stabil beziehungsweise wachsend – sogar nach Inflationsbereinigung. Der eigene Arbeitsplatz ist also auch als Chef sehr sicher, zumal niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte meistens bereits direkt nach der Praxisgründung sehr gut verdienen: Nach ZäPP liegt das Einkommen der Inhaberinnen und Inhaber unter 40 Jahren auf einem ähnlichen Niveau wie der Durchschnitt der anderen Altersgruppen.
Wer sich heute als Zahnärztin oder Zahnarzt niederlässt, macht das also nicht mehr aus Mangel an Alternativen, sondern trifft aktiv eine Entscheidung für die individuelle Selbstentfaltung, gute Arbeitsbedingungen und ein gesichertes Einkommen auf hohem Niveau.