Interview mit Prof. Dr. Thiess Büttner zum Schuldenpaket

„Die Bereitschaft für Reformen könnte nachlassen“

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Als Vorsitzender des Beirats des Stabilitätsrats gehört es zu den Aufgaben von Thiess Büttner, auf solide Haushalte auf Bundes- und Länderebene hinzuwirken. Wie der Volkswirt zum kürzlich verabschiedeten Schuldenpaket steht und ob das deutsche Gesundheitssystem aus seiner Sicht davon profitieren wird, verrät er im Interview.

Herr Prof. Büttner, Aufgabe des unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats ist es, das Staatsdefizit zu überwachen. Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zum kürzlich beschlossenen Sondervermögen Infrastruktur?

Prof. Dr. Thiess Büttner: Das sehe ich eher kritisch. Ich bin nicht überzeugt, dass die Erosion der Infrastruktur in Deutschland auf einen grundsätzlichen Geldmangel zurückgeht.

Woran liegt es stattdessen?

Ich denke, dass primär das Management der Infrastruktur ungenügend ist. Wenn Bund oder Länder etwas bauen, gibt es keine ausreichende betriebswirtschaftliche Finanzplanung, in deren Rahmen beispielsweise über Abschreibungen Geld für die Instandhaltung zurückgelegt wird. Stattdessen wird die Infrastruktur auf Kante gefahren, bis sie nicht mehr funktioniert.

Wenn man aber Geld in die Infrastruktur pumpt, ohne eine Ursachendiskussion über deren schleichenden Verfall zu führen, und außerdem keinen langfristigen Plan für ihren Erhalt hat, stehen wir bald wieder vor maroden Straßen, Brücken und Schulen.

Auch Gesundheitseinrichtungen gehören zur öffentlichen Infrastruktur. Wie könnten Mittel aus dem Sondervermögen hier sinnvoll eingesetzt werden?

Das Kernproblem bei der Nutzung des Sondervermögens ist, dass mit diesen Mitteln Wachstum und eine dauerhaft höhere Wirtschaftsleistung erzeugt werden müssen, damit es gelingt, die europäischen Haushaltsvorgaben einzuhalten und die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung wieder zurückzuführen. Das erfordert zusätzliche Investitionen in Bereichen, die große Wachstumsimpulse freisetzen. Den Gesundheitsbereich sehe ich da nicht an erster Stelle.

Wie bewerten Sie denn den Zustand des deutschen Gesundheitssystems? 

Deutschland hat innerhalb der EU bekanntlich die höchsten Gesundheitsausgaben, liegt aber, was die konkreten Leistungen angeht, eher im Mittelfeld. Das ist ein Hinweis auf bestehende Ineffizienzen. Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege hat vergangenes Jahr darauf hingewiesen, dass der Ressourceneinsatz in der Gesundheitsversorgung nicht stimmig ist. Er weist darauf hin, dass sehr viel Arbeitseinsatz erfolgt, aber nicht unbedingt an den richtigen Stellen. In der stationären Versorgung existiert beispielsweise ein Nebeneinander von Überversorgung und Fehlversorgung. Über mengenorientierte Fallpauschalen werden Überkapazitäten finanziert. Möglicherweise werden also Gesundheitsleistungen erbracht, die nicht unbedingt der Gesundheit nützen, aber dem jeweiligen Leistungserbringer Geld bringen. Deutschland hat zwar im Vergleich immer noch ein gutes Gesundheitssystem, es verschwinden jedoch zu viele Mittel aufgrund solcher Fehlanreize – und das manifestiert sich unter anderem in hohen Beitragssätzen und gravierenden Problemen in der Finanzierung.

Wenn Sie mit „ja“ oder „nein“ antworten müssten: Wird das deutsche Gesundheitssystem vom Sondervermögen Infrastruktur profitieren?

Ich fürchte, nein.

Warum nicht?

Bleiben wir im Krankenhausbereich, auf den sich die Hauptreformanstrengungen in der Gesundheitspolitik zurzeit konzentrieren. Mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz hat man bereits beschlossen, die Modernisierung der Krankenhausstrukturen anzugehen und hat dafür einen Transformationsfonds mit einem Volumen von bis zu 50 Milliarden Euro vorgesehen. Wenn nun Geld hierfür aus dem Sondervermögen Infrastruktur kommt und nicht aus den vorgesehenen Quellen, wird lediglich eine Finanzierungslast verschoben, aber kein neuer Impuls geschaffen. Und dafür ist das Sondervermögen eigentlich gedacht: Es soll für zusätzliche Investitionen, die in den jährlichen Haushaltsplanungen nicht sowieso vorgesehen sind, eingesetzt werden und dabei Wachstumskräfte freisetzen.

Unter welchen Umständen hätten sie „ja“ gesagt?

Natürlich hoffe ich als Volkswirt, dass das Schuldenpaket dazu führt, dass ein Modernisierungsschub Deutschland erfasst. Davon würde sicherlich auch das Gesundheitssystem profitieren – etwa bei der Digitalisierung. Aus meiner Sicht erfordert das aber nicht nur Geld, sondern Strukturreformen. Vielfach wird befürchtet, dass nun – wo die Finanznot durch die zusätzlichen Kreditmittel gelindert ist – die Bereitschaft für Reformen nachlässt. Zur Krankenhausreform ist es doch auch vor dem Hintergrund gekommen, dass wir gravierende Beitragssatzsteigerungen bei der Krankenversicherung sehen. Im politischen Berlin ist deshalb vielleicht das Gefühl aufgekommen, dass es so nicht weitergehen kann und wir an die Strukturen ran müssen. An Probleme, die sehr alt sind. Man könnte argumentieren: Enge finanzielle Situationen scheinen politische Reformen anzustoßen, die uns wirklich nach vorne bringen.

Was sollte die nächste Bundesregierung unternehmen, um echte, nachhaltige Verbesserungen im Gesundheitssystem zu erreichen? 

Ich hoffe, dass die Reformvorschläge, die vom Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege formuliert wurden, aufgenommen werden. Dazu gehört neben der Krankenhausreform eine stärkere Ambulantisierung und eine Restrukturierung der Notfallversorgung. Ineffiziente Überstrukturen, die sehr kostspielig sind und Arbeitskräfte unnötig binden, sollten abgebaut werden. Ansonsten wünsche ich mir, was eine Standardforderung der Ökonomie ist: dass der Wettbewerb im Gesundheitssystem gestärkt wird.

Wie könnte das gelingen?

Wir haben im Beirat beim Bundesfinanzministerium vor Jahren vorgeschlagen, stärker mit Versorgungsmanagement-Tarifen zu arbeiten. Dabei werden die Krankenversicherungen aktiver und handeln mit den Leistungserbringern Leistungsbündel für ihre Versicherten aus. Letztere entscheiden sich dann für ein Produkt, das zu ihren Bedürfnissen passt. Auf diese Weise wäre ein echter Wettbewerb der Krankenkassen untereinander möglich, der sowohl über Qualität als auch über den Zusatzbeitrag geführt wird. Ziel der Tarife ist es, dass gute Gesundheitsleistungen zu niedrigen Kosten bereitgestellt werden.

Wie schätzen Sie die Bereitschaft zur Veränderung ein?

Ein grundsätzliches Problem, das ich nicht nur bei der Gesundheit sehe, ist, dass in Deutschland sehr viele Interessengruppen bedient werden. Das führt zu Kompromisslösungen, die diese Interessen bedienen, die Effizienz und den Wettbewerb aber verhindern. So werden Strukturen erhalten, die eigentlich nicht erhaltenswert sind. Ich glaube, wir sind jetzt in Deutschland in einer Situation, wo wir nicht immer einfach nur das politische Gleichgewicht weiterführen können, sondern wo wir ernsthafte Reformen brauchen.

Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun?

Man müsste deregulieren und alle Gesetze und Regelungen auf den Prüfstand stellen. Vielleicht sollte das Kanzleramt eine Deregulierungs­arbeitsgruppe einsetzen und versuchen systematisch Gesetze und Vorschriften einzusammeln.

Wie sorgt man dafür, dass dieser Reformprozess sozialverträglich bleibt?

Gerade im Sozialbereich geht die Schere zwischen Leistungen und Kosten immer weiter auseinander, es wird immer weniger zu immer höheren Kosten geholfen. Insbesondere führt das unabgestimmte Nebeneinander von Leistungsgesetzen dazu, dass regelrechte Armutsfallen entstehen. Es ist vielfach gerade im Interesse der Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, dass die Regelungen vereinfacht werden.

Das Gespräch führte Susanne Theisen.

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