Studie in Großbritannien

Arme Kinder haben mehr Zahnextraktionen unter Vollnarkose

mg
Gesellschaft
Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Gebieten in Großbritannien haben ein dreimal so hohes Hospitalisierungsrisiko für Extraktionen wie Kinder, die in wohlhabenderen Gebieten leben.

In einer retrospektiven Kohortenstudie analysierten Forschende die elektronischen Gesundheitsakten (EHRs) der Primärversorgung und von Krankenhäusern von Kindern, die jemals bei einem Allgemeinmediziner (GMP) im Integrated Care Board im Nordosten Londons (NEL) registriert waren. Die Stichprobe umfasste 608.278 Kinder im Alter von 5 bis 16 Jahren, die zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2017 geboren wurden. Die ausgewerteten Krankenhausdaten umfassten alle klinischen Ereignisse bis zum 1. November 2022.

Von Interesse war das Vorhandensein von mindestens einer Zahnextraktion unter Vollnarkose (Dental extraction under general anaesthetic, kurz DGA), die als Indikator für schwere Karies und mangelnden Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung gedeutet wurde. Als Variablen wurden in die Auswertung das Geburtsjahr und der Verwaltungsbezirk des GMP einbezogen. Die ethnische Zugehörigkeit (wie in der Krankenakte festgehalten) wurde ebenfalls erfasst. Außerdem flossen in die Auswertung Daten zur Einkommensverteilung nach dem Income Deprivation Affecting Children Index (IDACI) ein, der London in Gebiete mit einer durchschnittlichen Bevölkerung von 1.500 Personen oder 650 Haushalten einteilt und den Anteil der Kinder unter 16 Jahren in Haushalten mit niedrigem Einkommen für diese Gebiete beschreibt.

Die DGA-Inzidenz sinkt mit dem Alter zum Zeitpunkt des Eingriffs

Ergebnisse: Insgesamt hatten 3.034 von 608.278 Kindern mindestens eine Zahnextraktion unter Vollnarkose, davon 5,5 Prozent mindestens zwei. Dies variierte je nach lokaler Verwaltungsregion, ethnischer Herkunft und Benachteiligung auf Gebietsebene stark. Kinder, die in Gebieten mit dem niedrigsten sozioökonomischen Status lebten, hatten im Mittel eine 3-mal höhere Wahrscheinlichkeit für eine solche DGA als Kinder aus Gebieten mit einem hohen Status. Im Extremfall – Kinder mit niedrigstem Status verglichen mit denen aus dem priviligiertesten Gebiet – vervierfachte sich die Wahrscheinlichkeit.

Weitere Studienergebnisse: Die DGA-Inzidenz nahm mit dem Alter zum Zeitpunkt des Eingriffs ab. Waren es 212,1 pro 100.000 Kinder bei den Fünfjährigen, sank die Quote auf 56,1 pro 100.000 Kinder bei den 16-Jährigen. Auch die Betrachtung der ethnischen Gruppen zeigten große Ungleichheiten: Die Autoren weisen aus, dass erhöhte Werte bei weißen Briten irischer Abstammung (Odds Ratio, OR: 1,96; Konfidenzintervall 95 Prozent, Spreizung 1,17 bis 3,29), Briten asiatischer Abstammung (1,23; 1,01 bis 1,50)sowie solchen aus Bangladesch (1,49; 1,30 bis 1,70) und Pakistan (1,41; 1,21 bis 1,65) wahrscheinlicher waren als bei Briten chinesischer Abstammung (0,48; 0,27 bis 0,60), indischer Abstammung (0,65; 0,53 bis 0,81) beziehungsweise mit einem Migrationshintergrund aus Schwarzafrika (0,79; 0,66 bis 0,93).

Diese Studie ist die erste, die Ungleichheiten bei den Zahnextraktionen von Kindern unter Vollnarkose genau analysiert, erklären die Autoren. „Leider zeigen unsere Ergebnisse breite sozioökonomische und ethnische Ungleichheiten im Zusammenhang mit dem Zugang zu Zahnpflege“, erklärt Co-Autorin Vanessa Muirhead. Erstautorin Nicola Firman ergänzt, sie sehe „einen dringenden Bedarf an einem gerechten Zugang zu präventiven allgemeinen zahnärztlichen Dienstleistungen und Interventionen.“

Nicola Firman, Carol Dezateux, Vanessa Muirhead, „Inequalities in children’s tooth decay requiring dental extraction under general anaesthetic: a longitudinal study using linked electronic health records“, BMJ Public Health Jul 2024, 2 (1) e000622; DOI: 10.1136/bmjph-2023-000622

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