Diskussionsrunde beim GKV-Spitzenverband

Auf der Suche nach sinnvollen Reformen

sth
Politik
„Fass ohne Boden? Ein gesunder Sozialstaat muss bezahlbar bleiben“ lautete der Titel einer Diskussionsveranstaltung, zu der der GKV-Spitzenverband gestern in Berlin geladen hatte.

Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hielt zur Eröffnung des Abends einen kurzen Impulsvortrag. Der Sozialstaat sehe sich zurzeit vielen populistischen Angriffen ausgesetzt, hielt er bei der Diskussionsveranstaltung „GKV-Live“ zunächst fest. „Es heißt oft: Der Sozialstaat ist zu teuer. Aber der Sozialstaat ist nicht das Problem“, so der Ökonom. „Gesundheit und eine gute soziale Absicherung sind wichtige Wirtschaftsfaktoren, denn nur wer gesund ist, kann gute Leistungen bringen.“

Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland müsse man sich allerdings klar darüber sein: „Wir werden einen immer größeren Teil unserer Wirtschaftsleistung in die Sozialsysteme stecken müssen – das ist eine Realität. Deshalb heißt es jetzt abzuwägen: Was wollen und was können wir uns als Gesellschaft leisten? Wie können wir die Daseinsvorsorge verbessern, ohne dass die Kosten explodieren?“

„Wir brauchen eine andere Risikomentalität“

Fratzscher warnte davor, die jüngeren Generationen immer stärker finanziell zu belasten. Er plädierte stattdessen dafür, das geplante Sondervermögen Infrastruktur klug zu investieren und es nicht zu sehr in die Finanzierung von Wahlversprechen zu stecken.

„Die Frage muss lauten, wie Deutschland durch die Sondervermögen zukunftsfähig werden und für mehr Investitionen durch Unternehmen sorgen kann, die dann Einnahmen für den Staat generieren“, argumentierte er. Hier brauche es eine gute Balance. Der DIW-Chef mahnte außerdem: „Wir brauchen eine andere Risikomentalität in Deutschland. Wir müssen bereit sein, Neues auszuprobieren und dann auch flexibel genug sein, um nachzujustieren.“

„Der Sozialstaat ist nicht das Problem“

Im Anschluss drehte sich die Diskussion auf dem Podium um das Thema des Abends: Wie der Sozialstaat zukünftig bezahlbar bleibt. Hier gingen die Meinungen weit auseinander. Dr. Dierk Hirschel, Chefökonom der Gewerkschaft Verdi, sagte, dass Deutschland in den vergangenen 20 Jahren keine Kostenexplosion des Sozialstaats erlebt habe.

Der Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt sei in diesem Zeitraum konstant geblieben. Auch er wies darauf hin, dass man in den kommenden Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung „mehr Geld in die Hand nehmen“ müsse, um die Sozialsysteme zu sichern und die Akzeptanz für sie zu erhalten.

An der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands werde das aus seiner Sicht nicht scheitern, sagte er mit Verweis auf die Tatsache, dass Deutschland nach wie vor Exportweltmeister sei. „Man kann also nicht davon sprechen, dass dieses Land nicht mehr international wettbewerbsfähig ist“, so Hirschel. Die deutsche Wirtschaft stagniere nicht wegen zu hoher Sozialausgaben oder Unternehmenssteuern, sondern aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der einhergehenden Inflation, die zum größten Kaufkraftverlust der Nachkriegsgeschichte geführt habe.

„Brauchen wir so viele Niedergelassene?“

Aus Sicht von Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, ist das Problem der anhaltende Stillstand in der Gesundheitspolitik: „Ich habe den Eindruck, dass man seit zehn Jahren nicht mehr darüber spricht, wie man Gesundheitsversorgung besser gestalten kann, sondern nur darüber, wie man mehr Geld ausgeben kann.“

Sie forderte neue und besser durchdachte Strukturen. Im OECD-Vergleich liege Deutschland in allen Bereichen – ob bei den Pflegekräften oder Ärztinnen und Ärzten – überall deutlich über dem Durchschnitt. Mit dem Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand sinke die Zahl der Beschäftigten. „Dann müssen wir uns Gedanken machen: Ist es sinnvoll, so viel stationär zu machen? Kann man nicht mehr ambulant behandeln? Brauchen wir vielleicht auch nicht mehr so viele niedergelassene Ärzte? Wie kann man die Patientensteuerung verbessern?“ Um diese Themen gehe es momentan nur am Rande. „Wenn wir nicht jetzt mit mutigen Veränderungen beginnen, haben wir in zehn Jahren ein Riesenproblem.“

Trigema-Geschäftsführerin Bonita Grupp sagte, dass Unternehmen auch eine Verantwortung tragen, um die Gesundheit ihrer Angestellten zu stärken. Bei Trigema gebe es entsprechende Angebote und Initiativen. Die Diskussion um die Kosten für den Sozialstaat betreffend sagte die Unternehmerin: „Der Sozialstaat ist für uns nicht das Problem. Für unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit spielt der konsequente Abbau von Bürokratie eine viel wichtigere Rolle.“

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