Pflegereport des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO)

Große regionale Unterschiede bei der Pflegebedürftigkeit

pr
Politik
In Deutschlands existieren große regionale Unterschiede in der Pflegeprävalenz. Den höchsten Anteil an Pflegebedürftigen gab es 2023 in Kreisen in Ostdeutschland, Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland.

Im Bundesdurchschnitt betrug der Anstieg der Pflegebedürftigkeit zwischen 2017 und 2023 insgesamt 57 Prozent. Das geht aus dem neuen Pflegereport 2024 hervor, den das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (WIdO) gestern vorgestellt hatte. Der über 300 Seiten umfassende Report wurde auf Basis von Routinedaten der Kranken- und Pflegekassen erstellt. Er zeigt innerhalb Deutschlands erhebliche regionale Unterschiede bei der Entwicklung der Pflegeprävalenz. Untersucht wurden die Zeiträume zwischen 2017 und 2023: Im Fünftel aller Kreise mit dem geringsten Anstieg nahm demnach der Anteil an Pflegebedürftigen in einer Spanne von 37,1 bis 56,2 Prozent zu. Im Fünftel mit der stärksten Zunahme wurde eine Steigerung um 80,7 bis zu 143,8 Prozent verzeichnet, heißt es in dem Report.

Den höchsten Anteil an Pflegebedürftigen gab es laut dem Bericht 2023 vorwiegend in Kreisen in Ostdeutschland, Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland: Hier waren zwischen 9,1 und 17,1 Prozent der Versicherten der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) pflegebedürftig. In wenigen Regionen, vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, gab es Raten von weniger als 5,7 Prozent. Der Bundesdurchschnitt lag 2023 bei 7 Prozent Pflegebedürftigen.

Jedoch belegt die Analyse, dass die Entwicklung der Pflegeprävalenzen nicht allein durch die Alterung der Gesellschaft erklärt werden kann. In nur zwei von insgesamt 400 Kreisen und kreisfreien Städten entsprach die beobachtete Pflegeprävalenz 2023 der demografisch zu erwartenden, wie der Report aufführt. In zwei weiteren Kreisen wurde das Prognoseniveau unterschritten und in allen anderen 396 Landkreisen lag die Anzahl an Pflegebedürftigen über dem Wert, der demografisch erwartbar gewesen wäre. Bei einer reinen Fortschreibung der Alterung bundesweit wäre nur ein Anstieg um 21 Prozent zu erwarten gewesen und nicht die beobachteten 57 Prozent, führen die Autorinnen und Autoren des Reports an.

Das Leitbild von Caring Communities

Um Menschen in der Sozialen Pflegeversicherung auch künftig so lange wie möglich gut in der gewohnten Umgebung versorgt zu bekommen, brachte Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, das Leitbild von Caring Communities mit in die Diskussion. Das Leitbild der Caring Communities, das auch auf den 7. Altenbericht der Bundesregierung „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune“ zurückgeht, stellt integrierte sozialräumliche Planung, innovative Wohnformen, den effizienten Einsatz professioneller Pflege und den Aufbau von unterstützenden Netzwerken vor Ort in den Mittelpunkt. Diese bestehen aus An- und Zugehörigen, Ehrenamtlichen sowie aus professionellen Akteuren der Gesundheits- und Pflegeversorgung. Reimann: „Gerade vor dem Hintergrund des Aufweichens traditioneller Familienstrukturen sind lokale Netzwerke wesentlich. Darin spielen auch Freiwillige eine entscheidende Rolle, um durch niedrigschwellige Unterstützung die Teilhabe am Leben und den Erhalt sozialer Kontakte zu fördern.“

Der Pflege-Report des WIdO weist neben den Voraussetzungen einer datenbasierten sozialräumlich orientierten Planung und einem Strukturaufbau vor Ort auch auf das Potential der Babyboomer für ehrenamtliches Engagement nach Eintritt in den Ruhestand hin. Um die Bereitschaft unter den Babyboomern zur Übernahme von Sorgeaufgaben im Rahmen von Caring Communities zu ermitteln, hat die AOK eine repräsentative forsa-Umfrage in Auftrag gegeben. Dabei wurden 2.000 Personen befragt, darunter 1.000 aus der Generation der Babyboomer. Dabei gaben 64 Prozent der Babyboomer an, sich grundsätzlich vorstellen zu können, ehrenamtliche Tätigkeiten zur Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen im Alltag in organisierten Netzwerken zu übernehmen. 43 Prozent der Babyboomer engagieren sich bereits ehrenamtlich in verschiedenen Bereichen, jeder Fünfte (22 Prozent) davon unterstützt heute schon alte, kranke, pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung im Alltag. Zu den Tätigkeiten gehören etwa Spaziergänge, Vorlesen, Unterstützung bei Behördengängen und Arztbesuchen, beim Kochen oder Putzen.

Auch bei der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen zeigen sich demnach erhebliche regionale Unterschiede. So wurden im Fünftel der Kreise mit den höchsten Raten, primär im westlichen Teil Deutschlands, von 65,6 Prozent und mehr Pflegebedürftigen ausschließlich Geldleistungen in Anspruch genommen. Die Rate in den Kreisen mit den niedrigsten Werten, hier vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein, lag demnach hingegen bei maximal 51,4 Prozent. In weiten Teilen Ostdeutschlands dominierten dem Bericht zufolge dagegen Sach- und Kombinationsleistungen mit einer Inanspruchnahme zwischen 24,3 und 40,9 Prozent. In einem Großteil der Kreise in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland hätten höchstens 15,6 Prozent diese Leistungen genutzt, so der Bericht weiter.

Die Autoren haben auch die Ursachen für die erheblichen regionalen Unterschiede analysiert: Vor allem das durchschnittliche Alter, der Demenzanteil, das Vorhandensein einer Pflegeperson sowie raumstrukturelle Aspekte in einem Landkreis könnten die Disparitäten erklären. So steige etwa die Inanspruchnahme von Sach- und Kombinationsleistungen bei höherem Durchschnittsalter, mehr Demenzerkrankten und in ländlichen Regionen. Bei einer Verringerung derselben Einflussfaktoren sei hingegen eine signifikante Zunahme bei der Inanspruchnahme von Pflegegeld feststellbar.

Vor der Presse erklärte Susann Behrendt, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege am WIdO und Mitherausgeberin des Pflege-Reports: „Die Ergebnisse zeigen, wie heterogen das Thema Pflege in Deutschland ist. Für eine systematische und passgenaue Pflegeinfrastrukturplanung vor Ort müssen also auch die Ausprägungen der Variablen zur Inanspruchnahme verschiedener Leistungen auf kommunaler Ebene berücksichtigt werden – allein die demografische Entwicklung als empirische Grundlage reicht nicht aus.“ Weiter betont sie, dass die Zusammenhänge und Muster noch genauer erforscht werden müssten, auch um bei der Gestaltung der pflegerischen Versorgungsstrukturen vor Ort noch gezielter vorzugehen.

Der Report: Antje Schwinger, Adelheid Kuhlmey, Stefan Greß, Jürgen Klauber, Klaus Jacobs und Susann Behrendt (Hrsg.),Pflege-Report 2024. Ankunft der Babyboomer: Herausforderungen für die Pflege

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