Jochen Fanghänel ist verstorben
Am 1. September 2024 verstarb unser hochverehrter Lehrer, Mentor und Freund, Prof. Dr. med. Jochen Fanghänel, im Alter von 85 Jahren. Er forschte und lehrte seit 1977 in Greifswald und von 1982 bis 2005 leitete er das Institut für Anatomie der Universität Greifswald als Direktor.
Jochen Fanghänel wurde am 3. April 1939 in Frankenberg in Sachsen geboren. Da sein Vater als Jurist zu den Akademikern zählte, durfte er in der ehemaligen DDR nicht sofort studieren. So erlernte Fanghänel zunächst den Beruf des Eisenbahners. Bald erkannte sein Vorgesetzter das große Potenzial des jungen Mannes und ermöglichte eine Delegation zum Medizinstudium. Von 1958 bis 1964 studierte Fanghänel Medizin und später auch Zahnmedizin in Rostock.
Ab 1964 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Anatomischen Institut Rostock, das von Prof. Dr. Dr. Gert-Horst Schumacher (1925-2017) geleitet wurde. Schumacher förderte und forderte den jungen Wissenschaftler, weckte die Begeisterung für die kraniofaziale Anatomie.
Nach seiner Promotion widmete er sich verstärkt Fragen bezüglich Wachstums- und Anpassungsvorgängen des Schädels. Ab 1971 leitete er als Oberarzt eine entsprechende Arbeitsgruppe in der Rostocker Anatomie. Gemeinsam mit dem Rostocker Mathematiker Dietrich Timm entwickelte er mathematische Wachstumsfunktionen. 1974 habilitierte sich Jochen Fanghänel mit einer tierexperimentellen Arbeit über den Einfluss der Statik auf das postnatale Schädelwachstum und wurde zum ordentlichen Dozenten ernannt. Noch in Rostock begann er experimentelle Untersuchungen auf dem Gebiet der Teratologie (Lehre der Fehlbildungen).
1977 wurde er als Professor nach Greifswald berufen und leitete von 1982 bis 2005 als Direktor das Institut für Anatomie der Universität Greifswald. Dort suchte Fanghänel früh den Kontakt zur Zahnmedizin. Es ergab sich eine für die folgenden Jahre prägende intensive Zusammenarbeit einschließlich gemeinsamer Vorlesungen in der Zahnmedizin unter dem damaligen Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie, Prof. Sigfried Hensel. Für ihn bildeten Zahnmedizin und Medizin eine unabdingbare Einheit.
Die bereits in Rostock etablierten Forschungen zur Teratologie und zum Wachstum des Schädels wurden in Greifswald weitergeführt. Prof. Fanghänel war Autor und Mitautor zahlreicher Bücher, Monografien und Lehrbücher. Mehrere hundert Zeitschriftenbeiträge und unzählige wissenschaftliche Vorträge zeugen von seinem unermüdlichen Arbeitseifer.
Noch vor der politischen Wende in der DDR unterhielt er enge wissenschaftliche Beziehungen zur Arbeitsgruppe des Göttinger Kieferorthopäden Prof. Dr. Dietmar Kubein-Meesenburg. Aus dieser Zusammenarbeit entstanden bahnbrechende Untersuchungen zum Verständnis des menschlichen Kiefergelenks, aber auch anderer Gelenke; eine funktions- und marktreife Endoprothese des Kniegelenks wurde entwickelt.
Mit der Berufung von Prof. Dr. Dr. Georg Meyer, langjähriger Direktor des ZZMK der Universitätsmedizin Greifswald, wurde diese Zusammenarbeit weiter vertieft. Während seiner Dienstzeit richtete er zahlreiche nationale und internationale Fachsymposien und Kongresse, insbesondere zur Teratologie und Oralanatomie, in der Greifswalder Anatomie, und häufig auch im ZZMK aus. Der kollegiale wissenschaftliche Austausch war ihm immer eine Herzensangelegenheit.
Aufgrund seines großen Engagements wurde er Gründungspräsident der Deutschen Teratologischen Gesellschaft, war Ratsmitglied der Europäischen Teratologischen Gesellschaft und langjähriger Vorsitzender der Gesellschaft für Anatomie der DDR (1979-1989). Sein Engagement für die internationale Zusammenarbeit wurde durch die Ernennung zum Ehrenmitglied der Anatomischen Gesellschaften Bulgariens, Rumäniens und der Tschechoslowakei gewürdigt.
1990 erhielt Prof. Fanghänel die Ehrenmedaille der Amerikanischen und Kanadischen Gesellschaft für Anatomie. Von 1998 bis 2002 war er Mitglied des Vorstandes der Anatomischen Gesellschaft. 1998 richtete er zusammen mit seinen Mitarbeitern die 93. Versammlung der Anatomischen Gesellschaft im frisch rekonstruierten Greifswalder Anatomischen Institut aus.
Fanghänel war publizierend sehr aktiv tätig. In enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dr. Gert-Horst Schumacher betreute er von 1977 bis 1991 den Anatomischen Anzeiger, das wissenschaftliche Organ der Anatomischen Gesellschaft. Später gehörte zu er den Herausgebern der in Annals of Anatomy umbenannten Zeitschrift. Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 2005 hat Fanghänel sich die Liebe zu seinem Beruf bewahrt. In der Poliklinik für Kieferorthopädie (ehemaliger Direktor Prof. Dr. Tomasz Gedrange) etablierte er den Bereich für orale Anatomie. Es folgte eine arbeitsintensive Phase mit zahlreichen Publikationen, erfolgreichen Promotionen und Symposien.
Ab 2009 setze er seine wissenschaftliche Tätigkeit über zehn Jahre an der Poliklinik für Kieferorthopädie der Universitätsmedizin Regensburg bei Prof. Dr. Dr. Peter Proff fort. Neben regelmäßigen Vorlesungen im postgradualen kieferorthopädischen Curriculum der Landeszahnärztekammer Bayern betreute er zahlreiche Promotionen und wissenschaftliche Projekte.
2019 kehrte Prof. Fanghänel an die Greifswalder Poliklinik für Kieferorthopädie zurück und war dort bis kurz vor seinem Tod aktiv. So organisierte er gemeinsam mit uns noch im Frühjahr dieses Jahres ein Symposium zum Thema „Wachstum und Entwicklung“ in der Poliklinik für Kieferorthopädie. Die Veröffentlichung der Fachbeiträge dieser Tagung, die er noch erleben durfte, beschließt sein großes Lebenswerk.
Seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, Doktoranden, Habilitanden, Schüler und Freunde danken ihm für alles und werden sein Andenken in Ehren halten.
Prof. Dr. Karl-Friedrich Krey PD Dr. Anja Ratzmann
Geschäftsführender Direktor ZZMK Greifswald Stellv. Direktorin der Polklinik für
Direktor Poliklinik für Kieferorthopädie, UMG Kieferorthopädie, UMG