Mehr Gehör für die Selbstverwaltung gefordert
An der Podiumsdiskussion beteiligten sich der Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexperte Dr. Georg Kippels (CDU), Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und Mitglied im Verwaltungsrat der IKK classic sowie Ralf Reinstädtler, Verwaltungsratsvorsitzender der IKK Südwest und Vorstandsmitglied der IG Metall. Die Moderation übernahm die Journalistin Julia Klann. Prof. Armin Grau, Gesundheitsexperte der Grünen, hatte sich entschuldigt; genauso wie der SPD-Gesundheitsexperte Dr. Christos Pantazis. Die Diskussion stand ganz im Zeichen des kurz zuvor veröffentlichten Koalitionsvertrags.
Bei der Begrüßung betonte Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender der IKK, dass bei der Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung dringend gehandelt werden müsse. Die Einnahmen seien gut, aber die Ausgaben viel höher. „Wir brauchen ein Ausgabenmoratorium“, forderte er. Die Politik müsse einen Beitrag dazu leisten, dass die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) die Beiträge nicht immer weiter erhöhen müsse.
Allein mehr Geld ins System zu pumpen, könne nicht die Lösung sein. Wichtig seien eine bessere Versorgung und die Überwindung der Sektorengrenzen. Dabei müsse das Primärarztsystem im Vordergrund stehen. Müller appellierte an die neue Bundesregierung, die Notfallreform und das Pflegereformgesetz zügig abzuschließen und Anstrengungen in der Primärprävention zu verstärken. Er sei froh, wenn „wir mit einem neuen Minister wieder reden können. Man muss miteinander reden“, machte Müller deutlich.
Der CDU-Gesundheitsexperte Kippels beschrieb ebenfalls nicht die Einnahmen, sondern die Ausgaben als drängendes Problem der GKV. „Die Strukturveränderungen, die wir brauchen, bestehen in einer ressourcenschonenden Verwendung der Leistungen“, sagte er. Dabei gehe es aber nicht um Leistungskürzungen.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete plädierte für eine bessere Steuerung der Patienten; diese lasse bislang Effizienz vermissen. Der Kontakt zwischen Leistungserbringern und Patienten müsse besser koordiniert werden.
Mehr Eigenverantwortung statt „All-inklusive-Mentalität“
Von den Patienten forderte Kippels mehr Eigenverantwortung; derzeit herrsche eine Art „All-inklusive-Mentalität“. Eigenverantwortung fange in der Schule an, nicht erst auf dem OP-Tisch. Dabei gehe es beispielsweise um Wissen über gesundheitliche Risiken etwa durch Ernährung und mangelnde Bewegung. Die Menschen dürften nicht warten, bis sie krank werden. Wichtig sei eine zielgerichtete Vorsorge. „Das müssen wir kollektiv organisieren“, forderte der CDU-Politiker.
Ralf Reinstädtler, Verwaltungsratsvorsitzender der IKK Südwest und Vorstandsmitglied der IG Metall, prognostizierte in Zukunft wegen der demografischen Entwicklung noch deutlichere Ausgabensteigerungen der GKV. „Wir geben nicht klug Mittel aus“, kritisierte er. Das System sei so schlecht aufgestellt, dass es viele Möglichkeiten gebe, Ausgaben zu reduzieren. Beispielsweise seien Patienten durchaus bereit, für eine gute Versorgung längere Wege zum nächsten Krankenhaus auf sich zu nehmen. Die Durchlässigkeit zwischen ambulant und stationär müsse verbessert werden. Zudem forderte Reinstädtler eine bessere Steuerung der Patienten, um lange Wartezeiten auf Arzttermine zu vermeiden.
Zur im Koalitionsvertrag geplanten Kommission, die sich um die Finanzsituation der GKV kümmern soll, sagte Reinstädtler: „In dieser Arbeitsgemeinschaft sollte man mal größer denken, nicht nur kurzfristige Lösungen entwickeln.“ Er kritisierte, dass die Selbstverwaltung im Koalitionsvertrag nicht positiv beschrieben sei. „Politik sollte mehr auf uns hören“, forderte Reinstädtler. „Wir sind eher die, die Gas geben.“
„Mehr Entscheidungsspielräume und ein Stück mehr Mut“
Dass die Sozialpartnerschaft nicht genügend Wertschätzung erfahre, kritisierte auch Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und Mitglied im Verwaltungsrat der IKK classic. „Ich wünsche mir mehr Entscheidungsspielräume und ein Stück mehr Mut“, betonte er. Alles sei „durchreguliert“, das habe ihn in den vergangenen 20 Jahren „sehr frustriert“.
Die Selbstverwaltung sei für ihn „Gesetz“, bekannte Kippels. Alle Akteure müssten sich an einen Tisch setzen und innovative Ansätze finden; dabei spiele die Selbstverwaltung eine große Rolle. Er rief die Kassenvertreter dazu auf, in die geplante Kommission Vorschläge einzubringen. Das werde in jedem Fall passieren, stellte Dittrich klar. „Es wäre schön, wenn die Vorschläge dann auch umgesetzt würden“, ergänzte er.
„Situation ist toxisch"
Es gehe nicht um mehr Geld, sondern um eine Entlastung der Beitragszahler von versicherungsfremden Leistungen, betonte IKK-Geschäftsführer Jürgen Hohnl zum Abschluss der Diskussion. Dass die Aufgabe, für stabile Beiträge zu sorgen, laut Koalitionsvertrag nun an eine Kommission ausgelagert werde, sehe er skeptisch. Die Situation sei toxisch und von der Politik gemacht; die Rücklagen der Kassen seien abgeschmolzen. „Das Angebot der Selbstverwaltung, Vorschläge einzubringen, ist da“, machte Hohnl deutlich.