Neues Mittel gegen Hepatitis
Mit dem seit Anfang des Jahres zugelassenen Wirkstoff Sofosbuvir gibt es diesen Weg - doch um ein Haar hätte das höchste Gremium des deutschen Gesundheitswesens eine Behandlung Schwerkranker mit dem neuen Präparat per Beschluss erschwert. Was sind die Probleme im Ringen um Millionenumsätze und die Lebenschancen der Patienten?
Im luftigen Sitzungssaal des Gemeinsamen Bundesausschusses im Berliner Tiergarten sind die Positionen klar am Donnerstag verteilt: Rechts vom durchsetzungsstarken, unparteiischen Ausschusschef Josef Hecken pochen die Vertreter der Krankenkassen darauf, dass die Chancen durch das neue Mittel Sofosbuvir nicht klar bewiesen seien. "Insofern gibt es keine dramatischen Effekte", sagt die Arzneiexpertin des GKV-Spitzenverbands, Antje Haas.
Alte Medikamente: viele und schwerwiegende Nebenwirkungen
Links von Ausschusschef Hecken sind bei den Ärzte- und Klinikvertretern die Gegenpositionen versammelt. Bei Streit können die Stimmen der unparteiischen Ausschusschefs entscheiden - und Hecken selbst macht deutlich, worauf es ihm ankommt: Angesichts der Vielzahl von Nebenwirkungen der alten Medikamente mit zum Teil sehr schwerwiegendem Charakter will er zugunsten des neuen Mittels votieren.
So geschieht es: Je nach Virentyp und vorangegangener Therapien stimmt der Ausschuss mit sieben zu sechs dafür, dem neuen Präparat Sofosbuvir etwas mehr Zusatznutzen gegenüber den älteren Mitteln zu bescheinigen als dies die Kassen ursprünglich wollten.
Sofosbuvir: deutlich bessere Heilungschancen
Über Jahrzehnte galt Deutschland als Paradies für die Pharmaindustrie - die Firmen konnten die Preise frei festsetzen, die Umsätze waren gewaltig. Nun kommt ein neues Mitteln auf den Markt, nach dem lange gesucht wurde. Denn Hepatitis C kann Leberzirrhose und -krebs auslösen. Nach Ansicht der pharmakritischen Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft verbessert Sofosbuvir die Heilungschancen deutlich, die Dauer der Therapie sinkt zudem beträchtlich.
Trotzdem passiert das Präparat nur mit Mühe die offiziellen Prüfverfahren. Sind die Daumenschrauben gegen die Pharmabranche heute zu fest gezogen? Michael Manns, Direktor der Klinik für Gastroenterologie der Medizinischen Hochschule Hannover, ist einer der führenden Experten seines Fachs. Er begrüßt die Entscheidung des Bundesausschusses. "Ich finde schon, dass das Medikament einen quantifizierbaren Zusatznutzen hat."
Studien mit alten Arzneien: ein ethisches Dilemma
Das Kernproblem sei gewesen, dass dies schlichtweg nicht nach bestem Standard bewiesen habe werden können. Denn dazu hätte man Patienten gezielt mit den älteren Mitteln behandeln und die Ergebnisse mit der Sofosbuvir-Therapie vergleichen müssen. "Wer als Patient ist bereit, in eine Studie zu gehen mit der Gefahr, sich einer einjährigen Tortur auszusetzen bei geringeren Erfolgschancen?" Das sei eine ethische Frage.
Die Nervosität der Krankenkassen hat wohl auch finanzielle Gründe. Für eine 24-wöchige Therapie mit dem neuen Mittel fallen heute Kosten von rund 120.000 Euro an. Das Ausschussvotum ist nun Basis für Verhandlungen der Kassen mit dem Hersteller über den künftigen Erstattungspreis - nur was wirklich mehr bringt soll laut Gesetzvorgabe auch mehr kosten. Es geht um bis zu 200.000 Patienten, bei denen eine chronische Hepatitis-C-Infektion einen fortgeschrittenen Verlauf genommen hat. Weitere neue Mittel sind angekündigt - ähnliche Debatten stehen ins Haus.
Verfügbar und fair im Preis
In der Koalition ist man erleichtert. "Sofosbuvir ist ein enormer Segen für sehr viele Hepatitis C-Infizierten", sagt CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn. Hersteller und Kassen-Verband dürften bei ihren Verhandlungen nicht zu hoch pokern. "Denn das Medikament muss für deutsche Patienten verfügbar bleiben, der Hersteller sollte aber auch beim Preis fair bleiben."
Hecken sieht trotzdem den Gesetzgeber gefordert. Denn ein teures, überzeugendes Mittel wie Sofosbuvir habe seine Forschungskosten schon wieder hereingespielt bis die Verhandlungen über den späteren Preis abgeschlossen seien. Etwas verklausuliert fordert Hecken in der Sitzung im Berliner Tiergarten den Gesetzgeber zur Überlegung auf, ob der ausgehandelte Preis in Zukunft nicht rückwirkend gelten könnte. Der Pharmabranche dürfte das gar nicht gefallen.
von Basil Wegener, dpa