Deutscher Zahnärztetag in Hamburg
Neustart in Präsenz
- Der Deutsche Zahnärztetag stand unter dem Motto „DGMKG meets DGZMK – Wie viel Medizin steckt in der Zahnmedizin“ und fand vom 14. bis 17. Juni statt. Rund 1.600 MKG-Chirurgen und Zahnärzte hatten sich auf den Weg nach Hamburg gemacht, um mehr über die Verbindung der Fachdisziplinen unter dem Begriff der „oralen Medizin“ zu erfahren. zm/br
- Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer, wies in seiner Begrüßung auf die zahlreichen Schnittmengen von Medizin und Zahnmedizin hin. Er betonte die besonderen Herausforderungen in der Alterszahnmedizin, die sich aus der aktuell veröffentlichten Pflegestatistik ergeben: „Immer älter, immer multimorbider und immer seltener in der Pflegeeinrichtung. Nur noch einer von sechs Pflegebedürftigen ist in einer Einrichtung – das fordert uns in ganz besonderer und eben auch medizinischer Weise“. zm/br
- „Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften DGZMK und DGMKG stehen für eine qualitätsorientierte Zahnmedizin – wir haben entsprechende Leitlinien auf höchstem Niveau“, sagte Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang in seiner Begrüßungsrede, stellte aber mit Blick auf das neue Finanzstabilisierungsgesetz die Frage in den Raum, ob diese Qualität in der Versorgung tatsächlich umsetzbar ist. zm/nl
- Prof. Dr. mult. Dominik Groß (Aachen) eröffnet das wissenschaftliche Hauptprogramm am Freitag mit der Fragestellung „Wie viel Medizin steckt in der Zahnmedizin?“ aus professionsethischer Sicht. Wie viel Medizin wirklich in der Zahnmedizin steckt, wird an der Vielzahl von Beispielen deutlich: Angefangen von der möglichen Früherkennung nichtoraler Krankheiten durch die zahnärztlich Behandelnden, über die Gabe von Antibiotika und Analgetika bis hin zur Behandlung von PatientInnen mit Angststörungen, komplizierten Schwangerschaften, geplanter oder erfolgter Bisphosphonat-Therapie oder Bestrahlung, Suchterkrankungen, schlafbezogenen Atmungsstörungen und Notfall-Situationen in der Zahnarztpraxis. Allerdings stehen inhaltliche Schnittflächen der Approbationsordnungen sowie die bestehenden Versorgungsstrukturen derzeit (noch) einer Konvergenz zahnärztlicher und ärztlicher Tätigkeiten entgegen. Auch in der in der Phase der Berufsausübung gebe es Kooperations- und Kommunikationsdefizite der beiden Fächer. Grund dafür sei die traditionelle Trennung der Disziplinen – es fehlen vielfach formale Rahmenbedingungen zwischen Zahnmedizinern und Medizinern. Aus ethischer Perspektive sei deshalb eine Verbesserung der Schnittstellen erstrebenswert. zm/nl
- Prof. Dr. Dr. Torsten Reichert (Regensburg) erklärte in seinem Vortrag „Mundschleimhauterkrankungen – Konsequenzen für Medizin und Zahnmedizin“, dass diese ein Paradebeispiel für die enge Vernetzung des zahnmedizinischen Alltags mit der Medizin sind. Es sei die verantwortungsvolle Aufgabe der Zahnärzteschaft, Mundschleimhauterkrankungen als Erste zu erkennen und zu diagnostizieren. Anhand einer praxisrelevanten Einteilung (originäre Veränderungen der Mundschleimhaut mit und ohne Krankheitswert; orale potenziell maligne Veränderungen; Erkrankungen der Haut mit oralen Manifestationen; Mundschleimhautveränderungen bei systemischen Erkrankungen) zeigte Reichert multiple klinische Beispiele. Insbesondere das Spektrum oraler Symptome bei Systemerkrankungen verdeutlicht die herausragende Relevanz der Mundhöhle für die Früherkennung und die Vernetzung von Zahn- und Humanmedizin. zm/nl
- Prof. Dr. Diana Wolff (Heidelberg) berichtete über die dramatische Situation an deutschen Universitätskliniken in Bezug auf zahnmedizinische ITN-Behandlungen. Der Bedarf sei enorm und wachse weiterhin. Das betreffe vor allem Kinder und Jugendliche mit schweren Allgemeinerkrankungen, Menschen aller Altersgruppen mit Behinderungen oder Unterstützungsbedarf sowie geriatrische PatientInnen mit Pflegebedarf. Meist sind PatientInnen mit Bedarf einer zahnmedizinischen ITN-Behandlung allgemeinmedizinisch hochkomplex und haben einen maximalen Schweregrad der Grunderkrankungen – mit steigender Tendenz. Gleichzeitig ist die Versorgungslücke dramatisch. Allein an der Uni Heidelberg gebe es aktuell eine Warteliste für zahnmedizinische ITN-Behandlungen bis Juni 2024. An anderen Kliniken zeige sich ein ähnliches Bild. PatientInnen müssten weite Wege für Behandlungen auf sich nehmen, denn an vielen Einrichtungen herrsche Aufnahmestopp. Der Dreh- und Angelpunkt sei die unzureichende Vergütung der Behandlung. zm/nl
- v.l.: PD Dr. Caroline Sekundo und Prof. Dr. Cornelia Frese (Heidelberg) erhielten den Millerpreis 2023 der DGZMK für ihre Forschungsarbeit „Mundgesundheit von Hochbetagten und Hundertjährigen“. Der Preis wird jährlich verliehen und ist mit 10.000 Euro dotiert. Im Fokus der Arbeit standen die Faktoren, die für eine gute Mundgesundheit im hohen Alter verantwortlich sind. Insgesamt 64 Prozent der Untersuchten waren noch (teilweise) bezahnt. Die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität nahm mit dem Zahnverlust ab. Bei allen Hochbetagten zeigte sich ein leichter Anstieg der Karieserfahrung, während der Sanierungsgrad abnahm. Die parodontalen und periimplantären Erkrankungen zeigten sich im hohen Alter etwas weniger schwer. Gleichzeitig war aber das Bewusstsein für den Mundhygienebedarf gering. Dies spiegelt auch die mangelnde Unterstützung bei der Zahnpflege wider: nur 13 Prozent der 100-Jährigen gaben an, hierbei Hilfe zu bekommen. Die Untersuchung des oralen Mikrobioms zeigte, dass der Verlust der eigenen Zähne mit einer geringeren mikrobiellen Diversität korrelierte. Auch hatten die Probandinnen und Probanden größtenteils eine eingeschränkte Speichelqualität und -quantität. Der Speichel-pH lag zumeist im sauren Bereich, was wiederrum mit einer niedrigeren Diversität im Mikrobiom korrelierte. Die Ergebnisse senden aber auch eine positive Botschaft: Mundgesund bis 100 ist möglich! zm/nl
- Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer und Prof. Dr. Ina Nitschke (Berlin) gaben ein umfassendes Update zur Seniorenzahnmedizin. Aktuell gibt es fünf Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland – mit stark steigender Tendenz. Der Großteil wird ambulant betreut, während es stationär nur 16 Prozent sind. Der überwiegende Anteil der Pflegebedürftigen wird von Angehörigen versorgt. Zu den Herausforderungen aus zahnmedizinischer Sicht gehört unter anderem, dass das unterstützende Umfeld oft zahnmedizinisch nicht involviert ist. Pflegefachkräfte führen meistens keine Mund- und Prothesenhygiene durch. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der Menschen mit Pflegestufe beschwerdeorientiert ist, was bedeutet, dass sie nur noch bei akuten Problemen in der Praxis vorstellig werden. Die Praxen verlieren diese PatientInnen aus der Kontinuität der Inanspruchnahme. Nitschke erklärt, dass der Grund dafür das geriatrische Paradoxon ist: eine subjektiv positivere Wahrnehmung durch die PatientInnen. Ziel sollte die kontinuierliche Begleitung sein. Es gilt also für die Praxen, ein System zu etablieren, PatientInnen zu filtern, die länger als ein Jahr nicht vorstellig geworden sind. Diese Menschen sollten seniorengerecht wieder zu einem Kontrolltermin eingeladen werden. Abschließend stellten Benz und Nitschke verschiedene Konzepte aufsuchender Zahnmedizin vor. Manche Praxen besuchen Pflegebedürftige mit kleinen mobilen Behandlungseinheiten, um den Betagten den Transport in die Praxis zu ersparen. Andere Praxen betreiben einen hohen Aufwand, indem sie ein komplettes Equipment mit in Pflegeheim nehmen um eine umfassende Behandlung in der Einrichtung vornehmen zu können. Manche sind auch im Besitz eines voll ausgestatteten Transporters, in dem vor der Einrichtung behandelt werden kann. zm/nl
- Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Präsident der Zahnärztekammer Hamburg, eröffnete am Samstag den Zukunftskongress der Bundeszahnärztekammer mit seinem Vortrag „Wo die glücklichen ZahnärztInnen arbeiten“. Von Laffert trug Faktoren zusammen, die allgemein für die Berufszufriedenheit beziehungsweise -unzufriedenheit entscheidend sind. Dazu zählt zunächst die Umgebung des Arbeitsplatzes, die hierarchische Position, die objektiv und subjektiv wahrgenommenen Freiheitsgrade bei zahnärztlichen Behandlungsentscheidungen sowie Stress durch Pendeln. Das Fazit aus den Studien lautet: mehr Selbstbestimmung macht zufriedener. Im Berufsleben stehen die Pole der Verausgabung (Anforderungen und Verpflichtungen) und Belohnung einander gegenüber. Idealerweise überwiegt dabei die Belohnung (Arbeitsplatzsicherheit Einkommen/Gehalt, Anerkennung). Befragungsergebnisse des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) zeigen allerdings, dass die Zufriedenheit im Zahnmedizin-Studium verhältnismäßig gering ist und hier die Belastung überwiegt, wohingegen in der Assistenzzeit die Zufriedenheit deutlich ansteigt und überwiegt. Viele ZahnärztInnen sind nach wie vor bereit, auf hohem Niveau für eine eigene Praxis zu investieren - insbesondere im Hinblick auf den Wunsch nach Selbstständigkeit/Freiberuflichkeit, Kontakt mit Menschen und der Möglichkeit, einen Heilberuf auszuüben. Dem gegenüber stehen die negativen Faktoren einer staatlichen Reglementierung sowie der Umfang der Verwaltungsarbeiten. Von Laffert zitiert den großen Berufe-Check der FAZ, dessen Fazit lautete „Der Beruf des Zahnarztes macht einfach glücklich“. Was ist es aber, das Zahnärztinnen und Zahnärzte so zufrieden macht? Hauptkriterium scheint die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu sein. Interessanterweise nennen die befragten ZahnärztInnen dies sowohl als häufigstes Kriterium für eine Anstellung (feste Arbeitszeiten) als auch für die Niederlassung (Flexibilität als eigener Chef als Möglichkeit für eine ausgewogene Work-Life-Balance). Die Berufszufriedenheit der Zahnärztinnen steigt nicht nur mit dem Einkommen, sondern auch mit der Kinderzahl. Ausschlaggebend für Unzufriedenheit im Beruf ist unter anderem schlechtes Arbeitsklima, die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Überlastung, Pendeln. Zahlen der ApoBank zeigen, dass das Alter von ZahnärztInnen, die sich niederlassen, tendenziell steigt: Bei Männern liegt es bei 35,7 und bei Frauen bei 37,7 Jahren. Die Kosten einer Neugründung liegen bei durchschnittlich 567.000 Euro und Frauen neigen scheinbar eher zur Gründung einer Einzelpraxis, während Männer eher zu einer Gemeinschaftspraxis tendieren. Von Laffert fasste zusammen: Glückliche ZahnärztInnen arbeiten selbstständig. Sie sind frei in der Zeiteinteilung, kennen sich mit Abrechnung aus, lassen sich ihre Leistung adäquat bezahlen und bauen sich ihr eigenes Team. Selbstständigkeit heißt selbst gestalten, selbst entscheiden und besser verdienen als im Angestelltenverhältnis. zm/nl
- Nach drei Jahren Onlineveranstaltung: Endlich ist wieder ein persönlicher Austausch vor Ort möglich. Das Get-together nach der Eröffnung des Deutschen Zahnärztetages. zm/nl
- Die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen bestimmen in zunehmendem Maß die Arbeit in den Praxen und die zahnmedizinische Versorgung. Nicht nur die Medizin, auch die Zahnmedizin ist in den letzten Jahren verstärkt mit von Finanzinvestoren betriebenen Praxisketten konfrontiert worden. Welche Auswirkungen versorgungsfremde Kapitalgeber auf die freiberufliche Zahnmedizin haben, diskutierten Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Michael Müller, Erster Vorsitzender vom Verband Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM e.V.) und Michael Thorwarth, Geschäftsführer DEIN DENTAL GMBH, einer vom Finanzinvestor Nordic Capital finanzierten Dentalkette. Während sich die zahnärztlichen Standespolitiker kritisch zum Engagement von Finanzinvestoren in der Zahnmedizin äußerten, nahmen Müller und Thorwarth erwartungsgemäß die Gegenposition ein und es entwickelte sich ein überaus lebendiger Austausch der Argumente. Müller stellte heraus, dass aus seiner Sicht keine weitere Regulierung der MVZ-Tätigkeit nötig sei. Hendges widersprach und sah in den aktuellen gesetzlichen Regelungen „viel zu viele Spielräume“. Das berge Gefahren für die Versorgung, beispielsweise wenn eine Kette mit hohem regionalen Versorgungsanteil plötzlich insolvent wird und von heute auf morgen vom Markt verschwindet. Im Übrigen nähmen iMVZ nicht an der Versorgung ländlicher Regionen und vulnerabler Patientengruppen teil. Michael Thorwardt sah einen ungebrochenen Trend zu Großstrukturen, die die Effizienz der Leistungserbringung erhöhten. Deshalb hält er Diskussionen über Inhaberstrukturen für falsch - vielmehr solle man über die Versorgung und Effizienz reden. Von Laffert ging darauf ein und betonte, gerade die iMVZ hätten ein Problem mit teurer Überversorgung und verwies auf einen TV-Bericht, in dem der Umsatzdruck in einem Finanzinvestoren-MVZ thematisiert wurde. Das sei nicht die Zahnmedizin, die man wolle, so von Laffert. zm/br
- Das Konzept der verkürzten Zahnreihe funktioniert: Die multizentrisch durchgeführte RaSDA-Studie (randomized shortened dental arch) konnte binnen der 15-jährigen Studiendauer klinisch hoch relevante Ergebnisse zur Parodontalgesundheit, zum Entstehen von CMD-Beschwerden, dem Zahnverlust sowie der Prognose der prothetischen Versorgung liefern. Die Patienten wurden randomisiert nach dem Konzept der verkürzten Zahnreihe oder mit einer Geschiebeprothese zum Molarenersatz behandelt. Entsprechend der Einschlusskriterien, erfolgte bei einzelnen Patienten keine prothetische Therapie, während andere auf stärker reduzierten Restzahnbeständen bis hin zu nur 4 Restzähnen (beide Eckzähne und je einem Prämolar rechts und links) umfassend mit festsitzendem oder kombiniertem Zahnersatzes versorgt worden sind. Im Rahmen eines Symposiums auf dem Deutschen Zahnärztetag konnten die Professoren Walter (Dresden), Reißmann (Freiburg) und Luthardt (Ulm) als Vertreter aus dem RaSDA Studienteam die Ergebnisse bewerten. Zusammenfassend kann geschlussfolgert werden, dass der Präferenz der Patienten zugunsten einer der beiden Therapiealternativen „Verkürzte Zahnreihe“ beziehungsweise „Molarenersatz“ wenn immer möglich entsprochen werden soll. Patienten mit bereits erfolgten Zahnverlust haben ein erhöhtes Risiko für weiteren Zahnverlust. Ungeachtet dessen kann die Mehrzahl der Patienten über mehr als zehn Jahre erfolgreich mit dem jeweiligen Konzept behandelt werden. Bei Patienten, welche zu Therapiebeginn keine Zeichen einer Craniomandibulären Dysfunktion aufweisen, besteht kein Risiko des Entstehens Craniomandibulärer Dysfunktion, wenn keine Molaren ersetzt werden. zm/br
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Am Samstag ist in Hamburg der Deutsche Zahnärztetag zu Ende gegangen. Wir zeigen einige Impressionen vom bedeutendsten zahnärztlichen Fortbildungskongress, der nach 2019 erstmals wieder in Präsenz stattfand.
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