Umfrage der TK

Unzufriedenheit mit Gesundheitssystem wächst

ao
Politik
Fast jeder Dritte (30 Prozent) ist aktuell mit dem deutschen Gesundheitssystem unzufrieden. 2021 gab dies lediglich jeder Zehnte an. Auch die Unzufriedenheit mit dem Angebot an Facharztpraxen hat zugenommen – vor allem lange Wartezeiten auf Arzttermine führen zu Frust. Das ergab eine repräsentative Befragung im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK).

Wie nehmen Menschen in Deutschland das Gesundheitssystem wahr und für wie reformbedürftig halten sie es? Wie bewerten sie das Angebot an Haus- und Facharztpraxen? Diese Fragen stellte das Forschungsinstituts Forsa im Auftrag der TK bundesweit 2.052 Menschen ab 18 Jahren.

Die Ergebnisse der Umfrage stellten der TK-Vorstandsvorsitzende Dr. Jens Baas und der TK-Befragungsexperte Peter Wendt am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Berlin vor. Welche Folgen Probleme im Gesundheitssystem in Zeiten von zunehmendem Populismus für die Demokratie haben können, erläuterte Prof. Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler an der Universität Kassel.

Der Erhebung zufolge erhält das Gesundheitssystem vor allem bei kränkeren Menschen schlechte Noten. So sind 47 Prozent der Befragten mit einem weniger guten oder schlechten Gesundheitszustand mit dem Gesundheitssystem nicht zufrieden. Bei Befragten mit einem sehr guten oder guten Gesundheitszustand gaben dies lediglich 25 Prozent an.

Mehrheit sieht Reformbedarf

Laut der Befragung hält die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Reformen im deutschen Gesundheitssystem für notwendig. 73 Prozent sehen stellenweise Reformbedarf; 21 Prozent möchten, dass das Gesundheitswesen grundlegend reformiert wird. 2021 wünschten dies lediglich zehn Prozent. Nur sechs Prozent sehen derzeit keinen Reformbedarf – im Jahr 2021 sagten das noch 20 Prozent. Fast alle Befragten (94 Prozent) befürchten, dass die Beiträge zur Krankenversicherung weiter steigen. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) rechnet damit, dass Leistungen eingeschränkt werden.

Laut der Befragung hat die Zufriedenheit mit dem Angebot an Facharztpraxen nachgelassen. So gaben 38 Prozent der Befragten an, dass sie damit weniger zufrieden oder unzufrieden sind; 2017 waren es noch 27 Prozent. Bei Menschen, die in kleinen Orten mit weniger als 20.000 Einwohnern leben, ist sogar fast jeder Zweite (48 Prozent) mit dem Angebot an Facharztpraxen unzufrieden. Als Grund dafür gaben 62 Prozent der Befragten Wartezeiten auf Facharzttermine an. 2017 waren es noch 50 Prozent.

Hausarztversorgung schneidet besser ab

Die Hausarztversorgung wird positiver bewertet. Mit dem Angebot an Hausarztpraxen sind laut der Befragung lediglich knapp jeder Fünfte (18 Prozent) nicht zufrieden. 47 Prozent sind damit vollkommen oder sehr zufrieden, 34 Prozent zufrieden.

Die Befragung zeigt laut TK zudem, dass die Menschen in Deutschland offen für Neues sind. So finden es 89 Prozent der Befragten sehr gut oder gut, wenn Pflegekräfte oder medizinisches Fachpersonal bestimmte Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten übernehmen. Auch die geplante Krankenhausreform stößt bei den Menschen auf Zustimmung: 72 Prozent der Befragten befürworten die Spezialisierung der Kliniklandschaft.

Offen für Digitalisierung

Insbesondere die Digitalisierung sehen viele als Chance: 81 Prozent der Befragten buchen bereits Arzttermine online oder möchten dies in Zukunft tun. Zudem würden 77 Prozent ihre Krankengeschichte digital in einem Anamnesebogen vor einem Arzttermin erfassen. 75 Prozent möchten die elektronischen Patientenakte (ePA) nutzen. 68 Prozent haben bereits eine Videosprechstunde genutzt oder möchten dies tun.

TK-Chef Baas hält die Ergebnisse der Befragung für wenig überraschend. Das deutsche Gesundheitssystem sei eines der teuersten, liefere aber nur mittelmäßige Qualität. Einerseits stiegen die Beiträge immer weiter, andererseits klagten viele Patienten über lange Wartezeiten auf Arzttermine. „Dass die Unzufriedenheit mit dem deutschen Gesundheitssystem wächst, muss uns Sorgen machen“, kommentierte er die Ergebnisse der Befragung. „Wir müssen darauf hinarbeiten, das System besser zu machen.“

Baas warnte, dass die Beiträge für die Gesetzliche Krankenversicherung Ende des Jahrzehnts auf 20 Prozent steigen könnten, wenn nicht gegengesteuert werde. Die neue Bundesregierung muss die Beitragsspirale stoppen“, machte er deutlich. Dringend nötig seien eine Reihe von Sofortmaßnahmen. Dazu gehörten ein Ausgabenmoratorium und ein höherer Herstellerrabatt auf neue Arzneimittel. Der Bund müsse seiner Pflicht zur Finanzierung der Beiträge für Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger nachkommen, und auch die Krankenhaus-Reform müsse staatlich finanziert werden.

Patienten besser steuern

Baas forderte zudem eine bessere Steuerung der Patienten durch das Gesundheitssystem. So könne eine digitale Ersteinschätzung des medizinischen Bedarfs helfen, gesundheitliche Probleme schnell einzuordnen und herauszufinden, „wer wo hin muss“. Auch Hausärzten komme bei der Steuerung eine zentrale Rolle zu. „Mehr Ärzte insgesamt sind hingegen nicht die Lösung“, sagte Baas. Er empfahl, durch Anreize dafür zu sorgen, dass sich mehr Mediziner in unterversorgten Gebieten niederlassen. Die neue Bundesregierung forderte der TK-Chef auf, das Gesundheitssystem neu aufzustellen. „Wir brauchen eine kausale Therapie des deutschen Gesundheitssystems; auch, wenn das erstmal weh tut“, machte Baas deutlich.

„Demokratie lebt von Vertrauen“, erläuterte der Politikwissenschaftler Schroeder. Ein funktionierendes Gesundheitssystem sei eine tragende Säule unseres Sozialstaats und damit enorm wichtig für das Vertrauen in die Demokratie. „Wer Missstände im Gesundheitswesen zu lange ignoriert, spielt dem Populismus in die Hände“, warnte der Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Demokratieforschung.

Zugang zur Versorgung für alle wichtig

Schroeder kritisierte, dass das Gesundheitssystem im Wahlkampf ein „absoluter Nebenschauplatz“ gewesen sei. Das müsse sich ändern. „Ein leistungsfähiges Gesundheitssystem für alle ist das beste Medikament gegen Politikverdrossenheit und Populismus“, sagte Schroeder. Für eine stabile Demokratie sei es enorm wichtig, dass der medizinische Fortschritt allen zur Verfügung stehe und dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zu einer guten Versorgung hätten. „Der Gesundheitssektor sollte in der neuen Legislaturperiode eine wichtige Rolle spielen“, forderte Schroeder.

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