Viele Ärztinnen und Ärzte gehen über ihre Grenzen hinaus
Die Rahmenbedingungen ärztlicher Arbeit in Krankenhäusern werden immer schwieriger. Der Alltag der angestellten Ärztinnen und Ärzte wird von Überlastung, Personalmangel und hoher Bürokratielast geprägt, wie aus der neuen Mitgliederbefragung MB-Monitor 2024 des Marburger Bundes hervorgeht.
Befragt wurden dazu rund 9.600 Personen. Mehr als ein Viertel der angestellten Ärztinnen und Ärzte (28 Prozent) denkt darüber nach, die ärztliche Tätigkeit in der Patientenversorgung ganz aufzugeben.
Fast die Hälfte der Befragten fühlt sich häufig überlastet
Knapp die Hälfte der Befragten (49 Prozent) fühlt sich häufig überlastet, elf Prozent geben sogar an, ständig über ihre Grenzen zu gehen. Bei 38 Prozent hält sich der Stress in Grenzen und nur zwei Prozent empfinden bei ihrer Arbeit keinen Stress. Ein größer werdender Teil von ihnen denke über einen Berufswechsel nach, heißt es in dem Monitor.
Auf die Frage „Erwägen Sie, Ihre ärztliche Tätigkeit in der Patientenversorgung ganz aufzugeben?“ antworteten 28 Prozent mit „ja“, 56 Prozent mit „nein“ und 16 Prozent mit „weiß nicht". Im Jahr 2022 hatte der Anteil derer, die einen Berufswechsel in Erwägung ziehen, bei 25 Prozent gelegen.
Teilzeit als letztes Mittel der Wahl
Gegenüber der letzten Mitgliederbefragung vor zwei Jahren ist der Teilzeitanteil erneut gestiegen, so ein weiteres Ergebnis des Monitors. Und zwar von 31 Prozent im Jahr 2022 auf 36 Prozent im Jahr 2024. Bei der Mitgliederbefragung im Jahr 2013 hatte er nur 15 Prozent betragen. Knapp zwei Drittel der befragten Ärzte reduzierten ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit um bis zu zehn Stunden.
Die reduzierte Wochenarbeitszeit entspreche aber nicht der tatsächlichen: Hinzu kämen noch Überstunden und Bereitschaftsdienste. Durch Teilzeit stellten ärztliche Beschäftigte also oft nur sicher, dass sie wenigstens einen Tag in der Woche gesichert frei haben, stellt der Monitor heraus.
Gewalt im beruflichen Umfeld
Erstmals hat der MB-Monitor in einem Schwerpunkt der Untersuchung nach Gewalterfahrungen im beruflichen Kontext gefragt – bezogen auf verbale wie körperliche Gewalt. Zwölf Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Kliniken sind demnach häufig mit Beschimpfungen, Beleidigungen und anderen Formen verbaler Gewalt im beruflichen Umfeld konfrontiert. Und bei einem Drittel kommen solche verbalen Gewalterfahrungen manchmal vor.
Körperliche Gewalt im beruflichen Umfeld, beispielsweise in Form von Schlägen oder Tritten, erleben zehn Prozent der Ärztinnen und Ärzte gegen sich oder andere Mitarbeitende „manchmal“ und zwei Prozent „häufig“. 41 Prozent berichten über eine Gewaltzunahme in den vergangenen fünf Jahren.
Für Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, sind diese Ergebnisse zu den Gewalterfahrungen ein Alarmsignal. Ärzte stünden ohnehin täglich unter enormem Druck, erklärte sie. Lange Arbeitszeiten, hohe Verantwortung und der ständige Kontakt mit schwerkranken Patienten führten immanent zu einer relevanten psychischen und physischen Belastung.
Johna: „Uns ist klar, dass bei manchen Patienten Aggressionen Teil des medizinischen Problems sind. Diese Fälle sind aber deutlich zu unterscheiden von einer Vielzahl von inakzeptablen Anfeindungen und Übergriffen, beispielsweise durch Angehörige.“
Verbale oder körperliche Gewalt geht meist von Patienten oder Angehörigen aus, wie im MB-Monitor dazu weiter ausgeführt wird. Die Vorfälle würden hauptsächlich in Notaufnahmen oder auf den Stationen passieren. Schutzmaßnahmen vor Gewalt am Arbeitsplatz, zum Beispiel Sicherheitspersonal und spezifische Schulungen wie Deeskalations-Trainings, müssen an vielen Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen erst noch etabliert werden.
Ein wesentlicher Grund für die hohe Belastungssituation liegt laut der Befragung in der unzureichenden Personalausstattung. 59 Prozent der Befragten beurteilen die ärztliche Personalbesetzung in ihrer Einrichtung als „eher schlecht“ (43 Prozent) oder „schlecht“ (16 Prozent). Laut der Befragung sehen sie 37 Prozent als „eher gut“ an und nur fünf Prozent als „sehr gut“. Die Personalsituation werde mancherorts noch durch Stellenabbau im ärztlichen Dienst verschärft, heißt es weiter. Ein großes Ärgernis für viele Mitglieder bleibe die IT-Ausstattung an ihrem Arbeitsplatz. Die Digitalisierung scheine nur langsam voranzukommen.
Nach Angaben des Marburger Bundes ist die vom Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME) durchgeführte Online-Umfrage ist die größte Ärzte-Befragung in Deutschland. Am MB-Monitor 2024 beteiligten sich in der Zeit vom 27. September bis zum 27. Oktober 2024 bundesweit 9.649 angestellte Ärztinnen und Ärzte aus allen Bereichen des Gesundheitswesens. Rund 90 Prozent der Befragten arbeiten in Akutkrankenhäusern und Reha-Kliniken, acht Prozent in ambulanten Einrichtungen.