„Wir sind nicht der Kostentreiber im Gesundheitswesen!“
„97 Prozent dieser Versorgung findet in ambulanten Praxen statt“, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. „Und deshalb heißt Investition in Infrastruktur auch Investition in Praxen! Und diese Praxen brauchen Investitionen dringend. Der Investitionsstau im ambulanten Bereich beläuft sich aktuell auf 1,8 Milliarden Euro.“ Zur Sicherung der Versorgung brauche es zusätzliche Mittel, mahnte der KBV-Chef. „Wir brauchen eine Finanzierung der digitalen Infrastruktur, die Ausfinanzierung der Leistungsinanspruchnahme durch ALG-2-Empfänger und die Entlastung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von versicherungsfremden Leistungen.“ Nicht zuletzt angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der der Bund gesamtgesellschaftliche und Infrastrukturaufgaben über die Sozialkassen querfinanziere, warnte Gassen: „Diese Zweckentfremdung von Geldern, die eigentlich in die Patientenversorgung gehören, muss aufhören!“
Nur 16 Prozent der GKV-Ausgaben fließen in ambulante Versorgung
Vor dem Hintergrund der jüngsten Forderungen des AOK-Bundesverbandes, die Entbudgetierung von Kinder- und Jugend- sowie Hausärzten zurückzunehmen und gleichzeitig Terminangebote der Praxen auszuweiten, stellte Gassen klar: „Die Ausgaben für die ambulante ärztliche Behandlung machen gerade einmal 16 Prozent der jährlichen Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen aus. Wir sind nicht der Kostentreiber im Gesundheitswesen!“ Niemand habe also einen Grund, sich über das Preis-Leistungsverhältnis im ambulanten Bereich zu beschweren – außer die Praxen selbst. Denn gemessen an ihrem Beitrag zur Versorgung – neun von zehn Behandlungsfällen werden in Praxen versorgt – koste dieser Beitrag die Solidargemeinschaft nur einen Bruchteil. „Wenn dann die Erwartung ist, dass Ärztinnen und Ärzte noch mehr leisten sollen und das am besten ohne jedwede Gegenleistung, dann ist es an der Zeit, den Spieß umzudrehen. Die Devise muss dann heißen: weniger Geld – weniger Termine“, so Gassen.
„Es braucht stabile Rahmenbedingungen und weniger Einmischungen“
Der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister forderte von der künftigen Bundesregierung echte Bereitschaft zum sachlichen Dialog und zum Zuhören sowie weniger Sprunghaftigkeit und mehr Verlässlichkeit im Handeln. „Dazu gehören die Gewährleistung stabiler Rahmenbedingungen und weniger Einmischungen in den Alltag der Praxen. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger politisches Mikromanagement, denn wir sind Angehörige eines Freien Berufes“, konstatierte Hofmeister. „Unsere Praxen gehören uns. Sie sind keine staatliche Verfügungsmasse“, so der KBV-Vize. Er betonte, dass die Vertragsärzte und -psychotherapeuten sonst frei in all ihren medizinisch-fachlichen wie unternehmerischen Entscheidungen seien.
Hofmeister begrüßte, dass die Ampel-Koalition noch die hausärztliche Entbudgetierung auf den Weg gebracht hat. Zugleich wies er darauf hin: „Entbudgetierung bedeutet kein ,zusätzliches‘ Honorar, wie es die Krankenkassen behaupten! Es bedeutet schlichtweg, dass die in den Praxen erbrachten Leistungen nach entsprechend sachlich-rechnerischer Prüfung endlich vollständig ohne Zwangsrabatt bezahlt werden. Nicht mehr und nicht weniger.“ Allerdings liege der Teufel im Detail, weil die praktischen Probleme, die die Umsetzung des Gesetzestextes aufwerfe, nicht beseitigt worden seien. Die KBV werde nun in enger Abstimmung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) im Bewertungsausschuss verhandeln. „Dabei geht es um teilweise sehr technische Feinheiten, die aber wichtig sind“, erklärte Hofmeister.
„Gute Medizin braucht gute Rahmenbedingungen“
KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner rief die kommende Bundesregierung dazu auf, die ambulante Versorgung endlich als tragendes Element des Gesundheitswesens zu begreifen. „Das geplante Sondervermögen für die Infrastruktur muss deshalb mit einem Praxiszukunftsgesetz einhergehen“, so Steiner. Die Digitalisierung müsse den Praxen endlich als Unterstützung dienen – und nicht als Hindernis. „Der weitere Digitalisierungsprozess in der ambulanten Versorgung muss durch gezielte Anreize statt Sanktionen vorangetrieben werden.“ Zugleich forderte Steiner erneut das längst überfällige Bürokratieentlastungsgesetz. Ein solches müsse vor allem sinnlosen Abrechnungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch die Einführung von Bagatellgrenzen ein Ende setzen, damit die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sich wieder dem widmen können, was ihre originäre Aufgabe ist: „Patienten zu behandeln und Menschen zu heilen.“
Vor diesem Hintergrund machte Steiner auch klar, dass es in Zeiten von Fachkräftemangel und Praxensterben ein „Weiter so“ nicht geben könne. „Die Zeit ist um für ein Fortsetzen der vergangenen Jahre, in denen die Selbstverwaltung und die Praxen gleichermaßen zurückgedrängt wurden“, sagte Steiner. Gute Medizin brauche gute Rahmenbedingungen. Entscheidend sei der Nutzen für die Versorgung, an dem sich Projekte wie die elektronische Patientenakte (ePA) messen lassen müssen. Nach dem bisherigen Verlauf in den ePA-Testregionen zeigte sich Steiner skeptisch, was den bundesweiten Roll-out betrifft: „Erst wenn sich die ePA im Praxisbetrieb bewährt hat und alle Sicherheitslücken geschlossen sind, kann sie bundesweit starten.“