Unterschiede zwischen Neandertalern und paläolithischen Menschen

Zahnschmelzveränderungen: Indikator für Stress in der Kindheit

nl
Zahnmedizin
Anhand von hypoplastischen Veränderungen des Zahnschmelzes können Unterschiede zwischen Neandertalern und paläolithischen Menschen im Hinblick auf Stress in der Kindheit abgeleitet werden.

Neueste Studienergebnisse haben den Zahnschmelz von Neandertaler-Kindern, die vor 400.000 bis 40.000 Jahren lebten, und Kindern, die im Jungpaläolithikum vor 50.000 bis 12.000 Jahren lebten, untersucht.

Anhand von hypoplastischen Veränderungen des Schmelzes, bedingt durch „physiologisch anstrengende Perioden, wie zum Beispiel Zeiten von Krankheit, Infektionen, Unterernährung, Nährstoffmangel oder Traumata“, konnten die Forschenden Rückschlüsse auf belastende Phasen in der Kindheit ziehen [Limmer et al., 2024]. So stellten sie fest, dass beide Gruppen möglicherweise ähnlichem Kindheitsstress ausgesetzt waren, allerdings in unterschiedlichen Entwicklungsstadien.

Die Forschenden analysierten den Zahnschmelz von 423 Neandertalerzähnen (von 74 Homo neanderthalensis-Individuen) und 444 oberpaläolithischen Menschen (von 102 Homo sapiens-Individuen). Sie untersuchten den Stress im frühen Leben dieser Individuen, indem sie „lokalisierte Bereiche mit verringerter Schmelzdicke, die aus Wachstumsstörungen während der Kronenbildung resultieren“identifizierten. In früheren Studien konnte gezeigt werden, dass diese mit Stressfaktoren in der Kindheit in Verbindung gebracht werden können.

Ergebnisse spiegeln Unterschiede in der Kinderbetreuung wider

Während bei den Menschen des oberen Paläolithikums vorwiegend die Schneidezähne Schmelzdefekte aufweisen, waren bei den Neandertalern eher die Eckzähne und Prämolaren betroffen. Daraus konnten die Autoren schließen, dass die Gesamtwahrscheinlichkeit von Zahnschmelzdefekten bei den Zähnen des Neandertalers und des modernen Menschen aus dem Jungpaläolithikum ähnlich war, aber die Entwicklungsstadien, in denen diese Defekte wahrscheinlich auftraten, bei beiden Arten unterschiedlich waren.

Bei den Menschen des oberen Paläolithikums traten Zahnschmelzdefekte eher in dem Alter auf, in dem die Entwöhnung (Abstillen) schätzungsweise stattfand – zwischen einem und drei Jahren. „Während des Entwöhnungsprozesses muss der steigende Energiebedarf eines heranwachsenden Säuglings durch die Ergänzung der Muttermilch mit Nahrungsmitteln gedeckt werden, die die benötigten Nährstoffe liefern; andernfalls kann eine unzureichende Ernährung zu Unterernährung, chronischen Verdauungsproblemen und einem erhöhten Krankheitsrisiko führen, was wiederum zu hohem metabolischem Stress, Wachstumsstörungen und damit zu Spitzenwerten bei der Zahnschmelzhypoplasie führen kann.“

Hatten die Neandertaler schlechtere Stressbewältigungsstrategien?

Bei den Neandertalern begannen die Zahnschmelzdefekte in der erwarteten Entwöhnungszeit (im Alter von etwa einem Jahr), bevor sie in der Zeit nach der Entwöhnung (zwischen zwei und vier Jahren) ihren Höhepunkt erreichten und dann wieder abnahmen. Die Autoren vermuten, dass diese Ergebnisse Unterschiede in der Kinderbetreuung und anderen Verhaltensstrategien zwischen den beiden Arten widerspiegeln könnten. Sie widerlegen auch, dass das Leben der Neandertaler im Allgemeinen deutlich stressiger war. Es traten in beiden Gruppen auch lineare Schmelzveränderungen auf. Die Autoren vermuten, dass diese Phasen von unspezifischen Stress zuzuordnen sind.

Sie stellen die Hypothese auf, dass der Stress, dem paläolithische Kinder während der Entwöhnung ausgesetzt waren, durch den steigenden Energiebedarf verursacht worden war, der das Risiko einer Unterernährung erhöhte. Sie vermuten aber, dass die Menschen des oberen Paläolithikums bessere Strategien zur Abmilderung des Stresses hatten, was zu einem langfristigen Überlebensvorteil des modernen Menschen gegenüber den Neandertalern beigetragen haben könnte.

Limmer LS, Santon M, McGrath K, Harvati K, El Zaatari S. Differences in childhood stress between Neanderthals and early modern humans as reflected by dental enamel growth disruptions. Sci Rep. 2024 May 23;14(1):11293. doi: 10.1038/s41598-024-61321-x.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.