Per Axelsson ist tot
In der Zahnmedizin gilt Per Axelsson als einer dieser visionären Wegbereiter, der den entscheidenden Anstoß für die flächendeckende Einführung professioneller zahnärztlicher Prävention gegeben hat. Seit den Arbeiten von Willoughby Dayton Miller – 1890 erschien sein Buch „The Microorganisms of the Human Mouth“ - war der Mechanismus der Kariesentstehung in der Zahnmedizin bekannt.
Er gab den Anstoß für die flächendeckende zahnärztliche Prävention
Miller hatte richtig erkannt, dass es die über den Bakterienstoffwechsel entstandenen Säuren waren, die die Zahnsubstanz zerstörten. Doch brauchte es Jahrzehnte, bis sich Millers Hypothese durchsetzen konnte. Dazu trugen wichtige Experimente in den 1950er und 1960er Jahren bei. Orland et al. (1954) konnten zeigen, dass unter keimfreien Bedingungen aufgezogene Ratten absolut kariesfrei blieben, selbst wenn sie zuckerreich ernährt wurden.
Umgekehrt entwickelten konventionell aufgezogene Ratten (mit „normaler“ Mundflora) bei gleicher zuckerreicher Ernährung Karies. Diese Experimente wurden später am Hamstermodell und auch am Menschen wiederholt und bestätigten, dass zur Kariesentstehung Mikroorganismen und Substrat gleichzeitig vorliegen mussten.
Mit diesen Erkenntnissen zur Kariesätiologie geriet die Mundhygiene in den Fokus der Forschung. In einer Untersuchung von Löe et al. (1965) entwickelten freiwillige Probanden, die sich die Zähne nicht putzten, innerhalb von drei Wochen Plaque und Gingivitis. Bei Wiederaufnahme der Mundhygienemaßnahmen und Entfernung der Plaque normalisierte sich die Gingiva. Mit der Provokation einer Gingivitis durch Plaque am Zahnfleischrand wurde klar, dass bakterielle Zahnbeläge nicht nur Karies erzeugen konnten, sondern auch für parodontale Probleme verantwortlich sein mussten.
In einer bereits 1961 vorgestellten Studie von Lövdal et al. konnten die Autoren zeigen, dass sich durch eine Kombination aus häuslicher und professioneller Mundhygiene - sorgfältige Anleitung zum Zähneputzen, Interdentalpflege mit Zahnhölzchen sowie zusätzlich supra- und subgingivales Scaling - der parodontale Zustand verbessern als auch die Zahnverluste senken ließen. Hierfür wurden über 800 Beschäftigte einer norwegischen Fabrik über fünf Jahre hinweg zwei- bis viermal jährlich zur Motivation, professionellen Zahnreinigung und Dokumentation ihres Mundgesundheitszustandes einbestellt.
Die Bekämpfung der Plaque stand im Zentrum seiner Studien
In den späten 1960er Jahren setzte sich die Überzeugung durch, dass die bakterielle Plaque die Hauptursache für die Entstehung von Karies und Parodontitis darstellt. Um Erkrankungen zu verhindern galt es vor allem, die Plaque zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund begann Per Axelsson, der 1960 sein zahnmedizinisches Studium an der Universität Stockholm beendet und 1961 eine Zahnarztpraxis in Karlstad eröffnet hatte, Anfang der 1970er Jahre seine bekannt gewordenen Studien.
Er arbeitete von 1970 bis 1975 neben seiner Tätigkeit in der eigenen Praxis an der Abteilung Parodontologie der Universität Göteborg unter Prof. Dr. Jan Lindhe und entwickelte gemeinsam mit ihm ein individuelles Prophylaxeprogramm, für das in den Jahren 1971 und 1972 über 550 Probanden rekrutiert wurden. 375 Probanden kamen in die Testgruppe und erhielten bedarfsorientiert umfangreiche Mundhygieneinstruktionen für die häusliche Mundhygiene und eine professionelle mechanische Zahnreinigung mit fluoridhaltiger Zahnpasta.
Seine Langzeituntersuchungen liefen 30 Jahre
In den ersten zwei Jahren wurden die Patienten alle zwei Monate, vom dritten bis sechsten Jahr alle drei Monate und danach bis zum 30. Jahr in bedarfsorientierten Intervallen von drei bis zwölf Monaten einbestellt. Jährlich dokumentiert wurden die Parameter Kariesbefall, Gingivitis (BoP) und Sondierungstiefe (PPD). Umfassende Befunderhebungen fanden nach 3, 6, 15 und 30 Jahren statt und dokumentierten zusätzlich die Parameter Plaque, sondierte Attachmenthöhe (PAL) und Parodontalstatus (CPITN-Code).
2004 wurden die 30-Jahres-Ergebnisse veröffentlicht. Neben den festgestellten rundum positiven Ergebnissen des Prophylaxeprogramms war insbesondere die starke Bindung der Patienten an das Prophylaxeprogramm bemerkenswert: Von 375 Teilnehmern waren nach 30 Jahren immer noch 257 Patienten in der Studie, 49 waren verstorben, 61 umgezogen und nur 8 hatten das Interesse an der Oralprophylaxe verloren.
Die Probanden profitierten von der professionellen Mundhygiene
Die Effekte des Prophylaxeprogramms waren jedoch nicht erst in der Langzeitbetrachtung zu sehen. Bereits wenige Jahre nach dem Start zeigte sich, dass die Teilnehmer der Testgruppe von der professionellen Mundhygiene profitierten und einen besseren Mundgesundheitszustand entwickelten als die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die keine professionelle Hilfe erhielten.
Noch heute leben wir von den Gedanken Axelssons!
Auszug aus dem Nachruf von Prof. Dr. Thomas Kocher, DG PARO, Leiter der Abteilung Parodontologie, ZZMK Greifswald Abteilung Parodontologie, 17475 Greifswald
Das Prophylaxeprogramm zeigte eine so deutliche Wirkung, dass nach sechs Jahren schließlich die Kontrollgruppe aus ethischen Erwägungen heraus aufgelöst wurde – Axelsson hielt es ethisch nicht mehr für vertretbar, die Patienten der Kontrollgruppe im Dienste der Wissenschaft weiterhin auf die Nicht-Vorsorge zu verpflichten.
Axelssons Prophylaxeprogramm ist der Vorläufer der PZR
Die Auflösung der Kontrollgruppe sollte jedoch noch für Diskussionen sorgen. Als Jahrzehnte später das von Axelsson und Lindhe einst entworfene Prophylaxeprogramm modifiziert als Professionelle Zahnreinigung (PZR) flächendeckend in deutschen Zahnarztpraxen Einzug gehalten hatte, prüfte der MDK, Verläufer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS), für seine Webseite „IGelMonitor“ die Wirksamkeit der PZR anhand wissenschaftlicher Evidenzkriterien. Die Studien von Axelsson und Lindhe wurden aus der Betrachtung der Evidenz ausgeschlossen, da man nur Untersuchungen des nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin (EbM) aussagekräftigsten RCT-Standards berücksichtigen wollte.
RCTs fordern aber zwingend den Vergleich von Test- und Kontrollgruppen. Der Verweis auf die Auflösung der Kontrollgruppe aus ethischen Gründen half nicht. Dass ärztlich ethisches Verhalten zum Ausschluss aus der Evidenzbewertung führte, erboste seinerzeit viele Zahnärzte ganz besonders. Bis heute bewertet daher der MDS den Nutzen der PZR für Erwachsene ohne Parodontitis als „unklar“ – der Streit zwischen den Nutzenbewertern und der Zahnärzteschaft schwelt weiter.
Prophylaxe war plötzlich konkret in der Zahnarztpraxis umsetzbar
Ungeachtet dessen haben die von Axelsson initiierten Studien einen Paradigmenwechsel von der kurativen zur präventiv orientierten Zahnmedizin eingeleitet. Professionelle Vorsorge gehört heute zu den selbstverständlichen Leistungen einer Zahnarztpraxis und genießt eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.
Die enorme Strahlkraft der Arbeiten von Axelsson auf die Zahnmedizin beruhte auch darauf, einen Weg aufzuzeigen, wie Prophylaxe nicht nur unter den „Laborbedingungen“ einer Studie, sondern konkret in der Zahnarztpraxis umsetzbar ist. Axelsson und Lindhe hatten mit ihrem Prophylaxeprogramm ein strukturiertes, in der Praxis gut umsetzbares Ablaufprotokoll entwickelt, das schließlich zum Vorbild für die heutige PZR wurde. Heute profitieren Millionen Menschen in aller Welt davon.
Stationen im Leben von Per Axelsson
Professor für präventive Zahnheilkunde an der Universität Göteburg, Schweden.
Leiter der Abteilung für präventive Zahnheilkunde am "Public Dental Health Center", Provinz Värmland, und der "Dental Hygiene School" in Karlstad, Schweden ( Lehrer für Kariologie, Parodontologie, Mikrobiologie und prventive Zahnheilkunde).
Internationale Forschungsprojekte in Brasilien, China, Ägypten, Deutschland, Polen etc.
Privatpraxis in Karlstadt (hauptsächlich Prophylaxe, Parodontologie, Kronen und Brücken).
1978 Gastwissenschaftler am "Institute of Oral Biology Research and Department of Community Dentistry", Universität Washington, Seattle, Washington, USA.
1992 Gastprofessor in Südafrika.