KBV zur aktuellen Pandemie-Lage

Maskenpflicht wiegt Bürger in falscher Sicherheit

silv
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) übte heute in iener Pressekonferenz deutlich Kritik an der bundesweit geltenden Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften und warnt vor einer Ausweitung auf die Arztpraxen.

„Die wenigsten Patienten kommen mit korrektem und zum ersten Mal benutztem Mund-Nasen-Schutz in die Arztpraxis, ein Großteil erscheint mit selbstgemachten Masken“, sagt Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV.

Maskenpflicht ist derzeit sinnfrei

„Eine Maskenpflicht ohne ausreichend verfügbare Masken halten wir für sinnfrei“, sagte Hofmeister. Er rechnet vor: „Im Normalbetrieb verzeichnen alle Arztpraxen 1,8 Millionen Patienten am Tag. Man bräuchte rund zehn Millionen Schutzmasken in der Woche.“ Übers Jahr gerechnet wären dies Milliarden. Dem gegenüber stünden 40.000 aktuell SARS-CoV-2-infizierte Menschen.

Medizinisches Personal hat Priorität

Laut KBV-Chef Dr. Andreas Gassen und Hofmeister hat medizinisches Personal Priorität: „Was wir brauchen, ist Schutzausrüstung für diejenigen, die Patienten behandeln, die infektiös sind.“ Erst wenn das sichergestellt sei, könne man sich Gedanken über Masken für alle machen. „So lange es sich um Woll- und Seidenschals handelt, die im Einsatz sind, wird eine Maskenpflicht nicht helfen“, kritisierte Hofmeister heute im Rahmen einer Online-Pressekonferenz.

Das unkorrekte Tragen weckt eine vermeintliche Sicherheit

Er präferiert OP-Masken, die es allerdings nicht in ausreichendem Maße gibt. „OP-Masken wären die einzig richtigen, jeder bräuchte am Tag allerdings mehrere davon“, so Hofmeister. Er ist überzeugt: „Das richtige Tragen von Masken kann helfen, eine Eindämmung zu erreichen.“ Das unkorrekte Tragen hingegen wecke eine „vermeintliche Sicherheit". In den vergangenen Tagen hat er in Berlin zum Beispiel Trägerinnen gesehen, die aus dem Bus stiegen und ihre Maske in der Handtasche verstauten – um sie irgendwann neuerlich einzusetzen. „Dann haben wir eine Ansammlung von Viren.“ Die Menschen wähnen sich laut Hofmeister in Sicherheit und waschen ihre Hände dann vielleicht nicht mehr so sorgfältig wie bisher. „Das und Abstand halten ist aber weiterhin die einzige Möglichkeit, das Virus einzudämmen“, so Hofmeister.

Die aktuelle Versorgungslage mit Schutzausrüstung in den Praxen sei von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, die KVen geben derzeit alles, was sie an Schutzmaterial erhalten, sofort weiter. Es sei völlig undenkbar, dass Praxen sicherstellen könnten, dass auch die Patienten Schutzausrüstung vor Ort bekommen. „Die Patienten sind dafür verantwortlich, sie müssen selbst für ihre Masken sorgen.“

Massentests ergeben nur eine Momentaufnahme

Auch Massentests sehen die beiden obersten Ärzte der KBV kritisch. „Millionenweise die Bürger zu testen ergibt immer nur eine Momentaufnahme“, machte Gassen deutlich. "Es zeigt, dass an diesem Tag kein Virennachweis gelingt – das heißt allerdings nicht, dass die Patienten nicht infiziert sind oder waren. Wir haben den Eindruck, dass die Massentests eher politisch motiviert sind. Uns ist nicht völlig klar, was man damit erreichen will.“ Derzeit werden bundesweit rund 820.000 Test pro Woche vorgenommen, eine „gigantische Zahl“. Gassen: „Seit Anfang März sind rund zwei Millionen Tests vorgenommen worden.“

Zeitnah zurück in die Regelversorgung

Erneut appellierten die beiden Mediziner, im Falle einer ernsten Erkrankung wie zum Beispiel Herzinfarkt oder Schlaganfall unbedingt ins Krankenhaus zu gehen. Viele Patienten meiden seit Beginn der Pandemie im Ernstfall aus Angst vor einer möglichen COVID-19-Ansteckung die Krankenhäuser und Arztpraxen.

„Wir müssen zeitnah zurück in die Regelversorgung“, fordert Gassen, „die Menschen sind unverändert krank, sie waren es vor COVID und sie werden es auch nachher sein. Allein an Hypertonie leiden zum Beispiel bundesweit 1,9 Millionen Menschen. Und die deutschen Onkologen haben sich kürzlich deutlich geäußert, dass sie befürchten, dass wir in der zweiten Jahreshälfte ansteigende Sterbezahlen wegen zu spät erkannter Krebsfälle haben werden.“ Gassen fordert: „Wir brauchen deshalb einen intelligenten Ausstieg aus dem Krisenmodus." Die KBV unterstützt das Konzept von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der Krankenhäuser planbare OPs schnell wiederaufnehmen will.

Obduktionen sind wichtig, um mehr über COVID-19 zu lernen

Nach wie vor sei das Coronavirus weitgehend rätselhaft: „Wir haben derzeit zu wenig handfeste Fakten, arbeiten viel mit Statistiken. Jeden Tag wächst die Erkenntnis, aber es ist noch reichlich Material zu sichten.“ Er betonte die Bedeutung der Obduktionen: „Pathologen sind derzeit gefordert, sie können wichtige Erkenntnisse beisteuern. Die Frage ist: Woran sterben die Menschen, sterben sie an oder mit COVID? Viele betroffene Patienten leiden an vielen Vorerkrankungen, die nicht nur die Lunge betreffen. Obduktionen sind wichtig, um mehr über die Erkrankung zu lernen und Schutzkonzepte zu entwickeln. Die Ergebnisse der Obduktionen sollen demnächst an der TU Aachen zentral erfasst werden, wir versprechen uns davon deutliche Erkenntnisgewinne.“

Mittlerweile sind 40 Prozent der Intensivbetten frei

„Die Reproduktionszahl liegt seit einigen Wochen unter eins, das zeigt, dass die Epidemie begrenzt werden konnte“, erläutert Gassen.  Positiv zu verzeichnen sei auch, dass Deutschland im internationalen Vergleich in den Zeiten der Pandemie „ganz gut“ aussehe. „Wir haben ein deutlich geringeres und kontrollierteres Infektionsgeschehen als andere Länder“, so Gassen, „parallel dazu sind derzeit mittlerweile 40 Prozent der Intensivbetten frei.“ Sein Fazit: „Das Gesundheitssystem ist nicht überlastet, war es nie und es ist auch nicht zu erwarten.“

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