Fahren Sie mit Ihren Azubis in die Antarktis!

Das Marktforschungsunternehmen Gallup zeigt alljährlich, wie es um die Motivation der Angestellten steht und wie sich das auf die Produktivität der Unternehmen auswirkt. Das neueste Ergebnis: Die meisten Mitarbeiter machen nur Dienst nach Vorschrift – Schuld daran sind die Chefs. Unternehmensberaterin Regina Först empfiehlt: Stellen Sie sich auf die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeiter ein – auch Reisepläne gehören dazu.

Die aktuelle Gallup-Studie zeigt, dass schlechte Führung der Hauptgrund ist, warum 85 Prozent der Mitarbeiter bereits innerlich gekündigt haben. Wie können Praxisinhaber dem entgegenwirken?

Regina Först: Die meisten Chefs zeichnen sich in der Regel durch ein enormes Fachwissen aus und – leider – eine mangelnde Sozialkompetenz. Die Gallup-Studie bringt das auf den Punkt. Mitarbeiter fühlen sich meist nicht wertgeschätzt und an ihr Unternehmen emotional kaum gebunden. Die Folge ist: weniger Eigeninitiative, weniger Leistungsbereitschaft und weniger Verantwortungsbewusstsein. Jeder Dritte unzufriedene Mitarbeiter geht mittlerweile regelmäßig auf Jobsuche. Gerade bei einer kleinen Belegschaft kann die hohe Fluktuation negative Auswirkungen haben. 

Viele Führungskräfte müssen deshalb wirklich umdenken. Die junge Generation zwingt sie geradezu dazu! Die nach 1980 Geborenen sind schon lange nicht mehr mit einem schicken Diensthandy oder einem neuen Firmenwagen zufriedenzustellen. Viele wollen stattdessen lieber nur vier Tage die Woche arbeiten, oder ein halbes Jahr in Neuseeland verbringen. Auf diese Bedürfnisse sollten und müssen sich Führungskräfte einstellen. 

Heißt das nicht im Umkehrschluss, der Mitarbeiter tanzt dem Chef auf der Nase herum?

Nein, der Chef soll keinen „Kuschelkurs“ einschlagen. Klarheit in der Führung ist extrem wichtig. Die Wertschätzung, der Ton und die Entwicklung der Mitarbeiter stehen dabei im Vordergrund. Wenn ich als Führungskraft dies erkenne und umsetze, dann binde ich die Mitarbeiter emotional an meine Praxis.

Es geht überhaupt nicht darum, Mitarbeitern nach dem Mund zu reden oder ihnen alle Wünsche zu erfüllen. Die meisten, vor allem die Azubis, brauchen regelmäßige Ansagen – die sollten dann aber immer klar und deutlich formuliert sein, zum Beispiel: „Ich weiß, dass Sie das besser können. Das haben Sie in den letzten Wochen doch zigmal bewiesen. Wo ist heute nur Ihre Konzentration?!“ 

Diese Klarheit in der Führung ist enorm wichtig. Ich bin ein absoluter Gegner von Antiautorität. Vielmehr kommt es auf Ihre innere Haltung an: Sie als Führungskraft dürfen den Mitarbeiter nicht nur als reine Arbeitskraft betrachten, sondern als Menschen mit Bedürfnissen. 

Aber sind die Forderungen der jungen Generation, etwa kürzere Arbeitszeiten, überhaupt umsetzbar? Das hat doch organisatorische Konsequenzen ...

Das stimmt. Aber vieles lässt sich tatsächlich erstaunlich gut organisieren. Vor Kurzem habe ich mit einigen Kollegen ein neues Konzept für eine Zahnarztpraxis in der Nähe von Stuttgart erarbeitet, die ich seit einigen Jahren begleite: Hier haben nicht nur die Mitarbeiter ihre Bedürfnisse nach flexiblerer Freizeit formuliert, sondern auch die Patienten ihr Bedürfnis nach längeren Öffnungszeiten. In der Praxis arbeiten zwar drei Behandler, aber nicht gerade viele Mitarbeiterinnen. Dennoch haben wir es geschafft, ein System mit drei Schichten pro Tag einzuführen, so dass die Patienten nun schon morgens um sieben und noch um 20 Uhr in die Praxis kommen können. Natürlich geht dies nicht in einer Praxis mit einem Behandler und zwei Mitarbeiterinnen. Aber sobald in einer Praxis zwei Behandler arbeiten, kann man gut ein Schichtsystem etablieren, das dann auch den Bedürfnissen der jungen Mitarbeiter entgegenkommt.

Eine andere Zahnarztpraxis in Dresden hat sich sogar dafür entschieden, am Montag zu schließen. Sie haben festgestellt, dass an diesem Tag nur wenige Patienten kommen. So konnte der Praxischef dem Wunsch seiner Mitarbeiter nach einem langen Wochenende gerecht werden. Man muss nicht immer gleich mehr Gehalt bezahlen, um Mitarbeiter an sich und die Praxis zu binden. Oft lassen sich ganz andere Lösungen finden. 

Für viele Praxisinhaber ist es bestimmt erstmal ein Schock, wenn die langjährige Mitarbeiterin plötzlich den Wunsch äußert, nur noch vier Tage die Woche arbeiten zu wollen.

Das stimmt natürlich. Hier ist der Ton entscheidend. Wenn ein Mitarbeiter mir gegenüber den Wunsch äußert, für ein halbes Jahr ein Sabbatical in Neuseeland machen zu wollen, dann sollte ich nicht als erstes sagen „Spinnen Sie eigentlich! Wie haben Sie sich das denn vorgestellt, wie ich das organisieren soll?!“ Vielmehr wäre es sinnvoll zu erwidern: „Ihren Wunsch kann ich gut nachvollziehen. Aber das müssen wir gemeinsam im Team gut planen. Außerdem muss ich mit meinem Steuerberater darüber sprechen.“ Eine Lösung könnte dann beispielsweise sein – diesen Fall hatte ich tatsächlich vor Kurzem –, dass der Mitarbeiter zwei Jahre lang seinen Urlaub anspart und anschließend eine längere Auszeit nimmt. Oder dass erst gemeinsam ein Ersatz gefunden werden muss. Positiv ist: Wenn Sie als Chef, trotz kleinem Team, versuchen, dem Mitarbeiter seinen Wunsch zu ermöglichen, dann bauen Sie damit eine große emotionale Bindung auf.

Das heißt – überspitzt formuliert – der Praxisinhaber sollte den Freiheitsdrang der Mitarbeiter fördern, um sie an die Praxis zu binden?

Im Endeffekt ja. Freiheit und Sicherheit haben für die meisten Mitarbeiter einen extrem hohen Stellenwert. Und tatsächlich haben wir sogar festgestellt, dass die meisten Mitarbeiter dies gar nicht einfordern – selbst wenn sie es tun könnten. 

Es ist wie beim IKEA-Konzept: Die Kunden können jeden Artikel ein halbes Jahr lang umtauschen. Einfach so. Doch kaum ein Kunde baut sein Sofa nach fünf Monaten wieder ab. Noch irrwitziger geht der Versandhandel Lands‘end vor. Dort hat der Kunde eine lebenslange Umtauschgarantie. Ich kann heute also ohne Probleme die Kinderschuhe meines 15-jährigen Sohnes zurückschicken. Aber auch hier gilt: Die Kunden schicken die Sachen nicht zurück! 

Übertragen auf unsere Mitarbeiter heißt das: Ich gebe ihnen die Freiheit und die Sicherheit, ihren Urlaub zwei Jahre lang anzusparen, um sich dann eine sechsmonatige Auszeit zu nehmen. Viele Mitarbeiter schätzen diese Freiheit, fühlen sich und ihre Bedürfnisse wertgeschätzt – nehmen das Angebot aber nicht unbedingt in Anspruch. 

Eine Besonderheit sind die Azubis. Früher galt der Beruf der ZFA als Traumjob, heute möchten viele nur noch irgendeine Ausbildung machen, völlig egal in welchem Job. Wie kann man jene Azubis motivieren und an sich binden, die nun wirklich nicht mit voller Inbrunst bei der Sache sind?

Ich finde, dass die meisten jungen Menschen leider völlig frustriert, desillusioniert und demotiviert aus der Schule kommen. Die Persönlichkeit wird in der Schule weder gefördert noch gefordert. Das war früher schon so und ist heute immer noch so. Und das hat nichts mit unseren Lehrern zu tun, sondern mit unserem System. 

Aber zurück zum Thema: Nun kommen diese völlig frustrierten, desillusionierten und demotivierten jungen Leute in die Zahnarztpraxis – nicht weil, sie total Bock darauf haben, sondern nur, um irgendeinen Ausbildungsplatz zu haben. Das ist tatsächlich ein Desaster. Praxisinhaber müssen hier klar ihre Rolle sehen: nämlich diesen jungen Menschen ein zweites Elternhaus zu bieten. 

Auszubildende sind unglaublich bedürftig. Sie brauchen Fürsorge und gelegentlich einen Tritt in den Hintern. Sie brauchen Klarheit und brauchen vor allem erst einmal die Begeisterung für den Beruf. Woher sollen sie die denn auch haben? Es ist meine Aufgabe, bei meinen Azubis das Feuer zu entzünden! Ich bin diejenige, die ihnen vermitteln muss, warum dieser Beruf so toll ist. 

Ein Beispiel: Eine mir bekannte Praxismanagerin macht dies sehr gut, wie ich finde. Sie geht jedes Jahr mit den neuen Azubis erstmal einen Tag in den Freizeitpark, um sich besser kennenzulernen. Dort erzählt sie, was der Job beinhaltet, wie viel Spaß er machen kann, welche Verdienst- und Weiterbildungsmöglichkeiten es gibt und was das Team von den Azubis erwartet. Solch eine Auseinandersetzung finde ich tatsächlich super! 

Denn die meisten Azubis bekommen in der Praxis doch erst einmal einen Schock. Sie kommen aus der Schule, wo sie auch mal die eine oder andere Stunde schwänzen konnten, in ein Arbeitsleben von 9 bis 17 Uhr, noch dazu in ein Team, das sie nicht kennen. Genau dort muss ich die Azubis abholen! Ich muss ihnen erzählen, wie toll es hier ist, dass es normal ist, vielleicht auch traurig zu sein, oder sich wie in einer Gefangenschaft sich zu fühlen. Denn seien wir ehrlich: All diese Erfahrungen kennen wir doch selbst! Und wenn ich diese Erfahrungen teile, fühlen sich meine Azubis auch emotional gebunden. Nichts ist schlimmer, als einem neuen Azubi einen Kittel anzuziehen und ihn in die Ecke zu stellen, damit er zugucken kann – meiner Ansicht nach!

Dennoch läuft es wahrscheinlich in einem Großteil der Praxen genau so. 

Vermutlich ja. Deshalb lassen Sie mich von folgendem Beispiel berichten: Der Hotelier Bodo Janssen aus Ostfriesland konnte seinen Umsatz verdoppeln, nachdem er zuvor festgestellt hatte, wie schlecht er sein Team eigentlich führte. Durch eine Mitarbeiterumfrage ist ihm bewusst geworden, dass er als Führungskraft unglaublich viele Fehler gemacht hatte und seinen Mitarbeitern nicht wertschätzend gegenübergetreten war. Nach diesem Schock ging er ins Kloster. Zurück kam er mit einer neuen Haltung und einer neuen Strategie. Zum Beispiel hat Janssen mit seinen Azubis, um sie emotional und langfristig an sein Unternehmen zu binden, ein Training absolviert, um mit ihnen anschließend den Kilimandscharo zu besteigen. Mit den Auszubildenden! Das muss man sich mal vorstellen! Da ist doch logisch, dass die auch nach der Ausbildung in seiner Firma bleiben! Meine Tochter macht gerade ein Praktikum bei ihm, daher weiß ich, dass sie aktuell die neuen Azubis darauf vorbereiten, in die Arktis zu gehen. Wow!

Auch hier sieht man: Es kommt auf die Haltung an. Sehe ich meine Azubis als Mitarbeiter, die ich möglichst lange an mein Unternehmen binden möchte – oder lediglich als billige Arbeitskraft? Dann darf ich mich aber auch nicht wundern.

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