Per Drohbrief zur Kündigung
In keinem anderen Land der Welt sind Kapitallebens- und Rentenversicherungen so beliebt wie in Deutschland. Die überaus weite Verbreitung dieser Anlagevehikel (rein statistisch besitzen alle 80 Millionen Deutsche eine Police) geht zurück auf eine für die Versicherer äußerst günstige Gesetzgebung: Die Unternehmen können mit den eingenommenen Prämien praktisch machen, was sie wollen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen.
Sie können den Prämienanteil für die Versicherung des Todesfalls großzügig bemessen, ohne den Kunden über dessen Höhe überhaupt aufklären zu müssen. Sie können sich aus dem Prämientopf frei bedienen, um ihre „Kosten“ zu decken.
Stille Reserven
Stille Reserven in Milliardenhöhe – zumeist verbaut in überaus wertvollen Immobilien oder angelegt in Beteiligungen an anderen Unternehmen – können auf alle Ewigkeit bestehen bleiben. Es gibt keinen gesetzlichen Zwang, dieses Vermögen irgendwann zu Gunsten der Versicherten wieder auflösen zu müssen. Was Lebensversicherungen an substanziellem Aktien- und Immobilienbesitz in ihren Bilanzen ausweisen, haben überwiegend die Versicherten mit ihren Prämien bezahlt. Doch sie haben keinen Anspruch darauf, diese Vermögenswerte jemals wieder zu sehen.
Die Versicherungswirtschaft hat deshalb ein großes Interesse daran, diese für sie paradiesischen Zustände immer weiter auszubauen, zumindest aber zu erhalten. Deshalb züchtete sie sich hierfür eine nicht zuletzt dank üppiger Provisionen hoch motivierte Vertreterschar heran. Fachliches Wissen oder gar eine fundierte Ausbildung für eine hoch komplexe Materie wird im Gegensatz zu vielen anderen zivilisierten Staaten in Deutschland nicht verlangt. Kein Wunder daher, dass die Versicherungsvertreter in erster Linie mit Charme und Psychotricks neue Kunden ködern. Eine gediegene Aufklärung über das hoch komplexe Produkt „Kapitallebensversicherung“ würde auch eher abschreckend wirken.
Abschreckung und Frustration empfinden viele Policeninhaber leider viel zu spät. So wird gut die Hälfte aller abgeschlossenen Policen im Laufe der zumeist sehr langen Laufzeit vorzeitig gekündigt – zum finanziellen Schaden der Versicherten, aber zum großen Renditenutzen für die Versicherungen. Denn der abtrünnige Kunde bekommt in aller Regel nur die Garantieverzinsung auf den Sparanteil seiner Prämieneinzahlungen zurückerstattet.
Der aber liegt, keiner sagt es dem Kunden genau, zumeist zwischen 60 und 80 Prozent der Prämiensumme. So fließt selbst nach zwölf und mehr Jahren nicht einmal das eingezahlte Geld an der Policenabbrecher zurück. Denn an den „Überschüssen“, die sein Sparkapital erwirtschaftet hat, wird er überwiegend nicht beteiligt. So macht in der Finanzwelt das Spottbonmot die Runde, dass man besser die Aktien einer Lebensversicherung kaufen sollte als deren Policen.
Versteckte Kosten
Wer erst binnen Jahresfrist eine Police abschlossen hat und recht schnell zu der Einsicht gelangte, dass sinkende Renditen, die zumeist nicht berücksichtigte Inflation bei der Langfristrendite, lange Bindungsfristen und sehr hohe, zumeist versteckte Kosten keinen Finanzsegen fürs Alter versprechen, kann auch beim Versäumen der 14-tägigen Rücktrittsfrist noch schadlos aussteigen – sofern nicht mehr als ein Jahr verstrichen ist. Das fanden die Verbraucherschutzverbände in Kooperation mit dem Bund der Versicherten heraus.
Schadlos gekündigt
Nach Paragraf 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes müssen nämlich die Versicherer den Interessenten vor Vertragsabschluss schriftlich auch über die Nachteile der angestrebten Police informieren. Das aber tut kein einziges Versicherungsunternehmen in Deutschland, fand der Bund der Versicherten heraus. Denn dann müsste dem Kunden gesagt werden, dass der Versicherer selber die Kosten festlegen kann, die er von den Prämien abzieht und dass er nicht verpflichtet ist, stille Reserven jemals zu Gunsten der Überschussbeteiligung aufzulösen.
Damit liegt, so fand der Bund der Versicherten heraus, nach geltendem europäischen Recht eine „ungenügende Verbraucherinformation“ vor. In diesem Fall ist auch noch ein Jahr nach Policenabschluss eine für den Kunden schadlose Kündigung erlaubt.
Zu Klagen und damit zu rechtskräftigen Urteilen lässt es die Assekuranz nicht kommen. Denn die Gefahr, dass zu Gunsten eines Policenabbrechers geurteilt wird, ist für sie recht groß. Mit rechtskräftigen Urteilen zu Ungunsten der Versicherungen wären aber Präzedenzfälle besiegelt. Das will die Branche auf jeden Fall vermeiden. Und so vermeidet sie auch, gegen Kündigungen innerhalb eines Jahres Einspruch einzulegen und letztlich zu klagen.
Dass der Versicherte über diesen Sachverhalt voll im Bilde ist, sollte er in seinem Kündigungsschreiben dokumentieren. Der Vorschlag der Verbraucherschützer für einen Muster-Kündigungsbrief läuft auf einen Drohbrief (siehe Kasten) hinaus.