Besser Deiche bauen als hoffen, dass die Flut Vernunft annimmt
Sehr verehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege, es war ein beachtliches Bild, das die Protestveranstaltung des Bündnisses für Gesundheit am Brandenburger Tor am 12. November abgab: Mehr als 15 000 Heilberufler protestierten gegen die Notstandsgesetzgebung von Rot-Grün und legten den Finger in die Wunden des Systems. Und es war ein jämmerlicher Rahmen, den die Anhörung im Bundestag zur Notstandsgesetzgebung präsentierte: Für den gesamten Bereich wurden in gerade einmal zwei Stunden und 15 Minuten 35 Sachverständige angehört.
Summa summarum ist es schon erstaunlich, wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nun alle Beteiligten im Gesundheitswesen mit Nullrunden und Nullsummenspielchen knebelt und fesselt. Hier ist kein freiheitliches Gesundheitswesen mehr gewollt, sondern der knallharte Weg in eine Staatsmedizin.
Natürlich ist es mehr als angebracht, massiv Kritik zu üben. Für unseren Berufsstand ist jedoch genauso wichtig, mit klugen Strategien vorzugehen und uns zu wappnen für den Zeitpunkt, wenn liberalere Strukturen, auch im Hinblick auf die Entwicklungen in Europa, letztendlich nicht mehr aufzuhalten sein werden. Mit einer ausschließlich auf Konfrontation fixierten Rechthaberei werden wir unserem Ziel, einem liberalisierten Gesundheitsmarkt, keinen Nanometer näherkommen. Wir müssen nicht nur reden, sondern auch handeln.
Dazu bedarf es – trotz unseres Widerstandes gegen die derzeitige Gesundheitspolitik – einer permanenten Dialogbereitschaft auf Basis unserer fachlichen Kompetenz sowie unserer konstruktiven Vorschläge für einen Umbau des Systems.
Die diesjährige Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer hat dazu wichtige Weichen gestellt und Impulse aufgezeigt. Es hat sich bewährt, dass die BZÄK seinerzeit namhafte Wissenschaftler in Form des „Consiliums“ als Politikberater mit ins Boot geholt hat. Mit ihrem Sachverstand tragen sie dazu bei, dass der Berufsstand in allen ihn betreffenden Fragen mit Kompetenz und Fachlichkeit ausgestattet wird, um glaubhaft in der Öffentlichkeit für die zahnärztlichen Belange einzutreten.
Unser Blick geht nach vorn, und in Hamburg haben wir Felder besetzt und künftige Handlungsrahmen abgesteckt. Unsere Konzepte werden wir weiter entwickeln und optimieren:
• Das gilt erstens für das Modellprojekt Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der befundorientierten Festzuschüsse. Hier sind wir gefordert, die Öffentlichkeit mit klugen Argumenten davon zu überzeugen, das Konzept ist logisch nachvollziehbar, sozial, solidarisch und Kosten steuernd.
• Das gilt zweitens für die Abwehr von Bestrebungen der Politik, Zwangsfortbildung und Rezertifizierung einsetzen zu wollen. Getreu der Maxime, dass der Berufsstand all das, was er selbst gestalten kann, auch selbst gestalten muss, haben wir hier bereits Konzepte entwickelt, die auf Freiwilligkeit beruhen und jegliche staatliche Zwänge im Vorfeld überflüssig machen.
• Das gilt drittens für die Abwehr aktueller Bestrebungen der Politik, mittels Instrumentarien, wie der Einbindung der Freien Berufe in die Gewerbesteuer oder der fünfprozentigen Abschmelzung beim Zahnersatz, neue Hürden aufzubauen. Mit intelligenten Argumenten und eventuellen Widerstandsmaßnahmen auf mehreren Ebenen werden wir die Abstrusität dieser Pläne offen legen und ihnen zu widerstehen versuchen.
• Das gilt viertens auch für den weiten Bereich der Prävention im Alter, ein Handlungsfeld, dass unsere Berufsausübung der Zukunft stark prägen wird. Wir stellen uns rechtzeitig darauf ein, indem wir professionell Programme weiterentwickeln und das Bewusstsein in der Kollegenschaft und draußen schärfen.
Zusammengefasst geht es darum, die Dinge transparent zu machen, also Gutes zu tun und auch in der Öffentlichkeit darüber zu reden. Um mit den Worten des Schriftstellers Hans Kasper zu sprechen: „Es ist besser, Deiche zu bauen als darauf zu hoffen, dass die Flut allmählich Vernunft annimmt.“
In diesem Sinne sind alle Kollegen gemeinsam aufgefordert, aktiv zu werden.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer