Unglaubwürdig
Rainer Vollmer
Gesundheitspolitischer Parlamentskorrespondent Berlin
Auch heute noch hat das alte Christenwort „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“ seine Bedeutung. Genau so kurz und bündig kann auch der Unterschied zwischen Deutschland, Indien und Indonesien dargestellt werden: In Parlament und Regierung wird mehr Vertrauen gesetzt. Nämlich in Indien und Indonesien! Und: Das Gesundheitswesen liegt in Deutschland immer noch höher im Ansehen als die Regierung. Das ergab dieser Tage eine weltweite Gallup-Umfrage im Auftrag des Weltwirtschaftsforums Davos.
Die Umfrage wurde noch vor den Bundestagswahlen gehalten. Nach den Wahlen wäre das Ergebnis für die neue alte Bundesregierung noch verheerender ausgefallen. Denn: Die Wahl wurde durch nachweislich falsche Behauptungen gewonnen. Was der alte Bundeskanzler wider besseren Wissens vor der Wahl versprach, hat der neue nach der Wahl nicht gehalten. So hat der Kanzler Wahlbetrug, Täuschung und Irreführung des Wählers begangen, als er am 26. Juli im Fernsehsender n-tv behauptete: „Steuererhöhungen sind in der jetzigen Situation ökonomisch unsinnig und deswegen ziehen wir sie auch nicht in Betracht.“ Nun, jeder weiß, was nach der Wahl an Steuererhöhungen geplant wird.
Des Kanzlers Regierungssprecher verkündete 2001 nach Zahlung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller von 205 Millionen Euro, dass es bis Ende 2003 keine politischen Eingriffe bei patentgeschützten Arzneimitteln (Me-To-Präparate) geben werde. Jetzt wird doch eingegriffen. Vor dem Jahr 2003. Das mag aus Sicht der Gesundheitspolitiker von SPD und Grünen gerechtfertigt sein. Der Glaubwürdigkeit ist das mehr als abträglich.
Die Bundesgesundheitsministerin hat vor der Wahl behauptet, das Krankenkassen-Defizit im ersten Halbjahr von 1,5 Milliarden Euro sei bis Jahresende durch Mehreinnahmen wieder gedeckt. Jetzt legt sie ein Kostenstopp-Gesetz vor mit der Erklärung, das Defizit steige bis auf 2,4 Milliarden Euro. Was ist richtig? Und des Kanzlers Kabinett hat Gesetze zum Gesundheitswesen und zur Rente im Parlament eingebracht, die weder fachlich noch sachlich Probleme lösen. Die semantischen Purzelbäume entlarven.
Zur Rentenpolitik: Der Beitragssatz der Rentenversicherungsträger müsste eigentlich bei 19,9 Prozent liegen. Zum zweiten Male innerhalb von 1,5 Jahren wird aber die Schwankungsreserve abgebaut, um notwendige Beitragssatzanhebungen zu verhindern. Gleichzeitig soll ganz aktuell mehr Geld in die Rentenversicherung fließen, indem die Beitragsbemessungsgrenze um 13,33 Prozent auf 5 100 Euro im Monat angehoben wird. Das ist ein einmaliger Vorgang. Der Zahnarzt muss es für seine Mitarbeiter zahlen.
Ministerin Ulla Schmidt kommentiert das „Kostenstopp-Gesetz in der Rentenversicherung“ (was wird da gestoppt?): Die höheren Beiträge seien ein Zeichen der Solidarität der Bezieher von höheren Einkommen. Welch ein Blödsinn: Die nächste Generation, der man ohnehin schon zu viel aufgebürdet hat, muss nun noch mehr in die Rentenversicherung einzahlen, um die jetzt erworbenen neuen Rentenanwartschaften erfüllen zu können.
Lohnzusatzkosten: Einst war die rot-grüne Koalition angetreten, die Lohnzusatzkosten auf unter 40 Prozent abzusenken. Das Versprechen hat sie nicht gehalten, sondern die Kosten weiter hoch geschraubt. Ab Januar 2003 liegen sie bei über 42 Prozent. Da macht es Sinn, wenn einige der Grünen-Abgeordneten aufschreien. Aber mit einem Salto, der – anatomisch unmöglich – vorwärts und gleichzeitig rückwärts gerichtet ist. Sie wollen einer Erhöhung der Rentenbeitragssätze und damit der Lohnnebenkosten zustimmen, wenn die Lohnnebenkosten dauerhaft gesenkt werden. Na, ist das Politik?
Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.