Seltene Differentialdiagnose einer Osteolyse im Bereich des Unterkiefers

Einfache Knochenzyste im Bereich des Unterkiefers

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Kasuistik

Ein 19-jähriger Junge wurde uns zur Abklärung einer unklaren Osteolyse im Bereich des linken Kieferwinkels überwiesen. Auf dem Orthopantomogramm ist die annähernd ovale und insbesondere im basalen Anteil scharf begrenzte Osteolyse apikal und distal des Zahnes 47 erkennbar (Abb. 1). Sie reicht bis zur Unterkieferbasis und auffällig ist, dass der Kanal des Nervus alveolaris inferior ohne Verdrängungszeichen durch den Befund verläuft. Die Osteolyse wurde ein halbes Jahr vorher zufällig bei Beschwerden im Bereich des Weisheitszahnes der Gegenseite entdeckt. Auch damals zeigte sich annähernd die gleiche Ausdehnung, wobei die Osteolyse hier bis in die apikale Region des später entfernten Zahnes 48 reichte (Abb. 2). Acht Jahre zuvor gab es auf dem damals durchgeführten Röntgenbild noch keinen Hinweis auf einen pathologischen Befund in der rechten Kieferwinkelregion (Abb. 3). Der Patient hatte zu keinem Zeitpunkt Beschwerden im Bereich des rechten Kieferwinkels oder Störungen des durch den Prozess ziehenden N. alveolaris inferior. Die enorale Inspektion und Palpation waren ebenfalls unauffällig und der Zahn 47 war vital. Bei der alio loco durchgeführten Entfernung des Zahnes 48 zeigten sich keine pathologischen Befunde in regio 48.

Zur Abklärung der Osteotomie wurde die Außenfläche des Unterkiefers über eine marginale Schnittführung dargestellt und ein Knochendeckel entnommen. Darunter befand sich eine leere Knochenhöhle. Die Höhle wurde vorsichtig ausgetastet und kürettiert. Der Knochendeckel, der die äußere Begrenzung des knöchernen Hohlraums bildete, wurde zur histologischen Untersuchung eingesendet. Im histologischen Bild zeigte sich, dass der Hohlraum von einer dünnen Bindegewebsschicht ohne Epithel ausgekleidet war (Abb. 4). Dieser Befund entspricht einer so genannten einfachen Knochenzyste oder Knochenkavität.

Diskussion

Die einfache Knochenzyste ist eine seltene, meist solitär vorkommende Pseudozyste des Knochens, die typischerweise im jugendlichen Alter vorkommt [Reichart und Philipsen, 2004; Kaugars und Cale, 1987; Hansen et al., 1974]. Sie ähnelt den solitären Knochenzysten an den proximalen Metaphysen der langen Röhrenknochen bei Kindern und Jugendlichen [Neukam und Becker, 2000; Reichart und Philipsen, 2004]. Im Kieferbereich ist die Läsion in den weitaus meisten Fällen im Unterkiefer lokalisiert [Reichart und Philipsen, 2004]. Da die Zyste, wie auch im vorliegenden Fall meist symptomlos ist, handelt es sich oft um einen radiologischen Zufallsbefund. Nur sehr selten führt die einfache Knochenzyste zu Schmerzen oder zur Auftreibung der Knochenstrukturen [Neville et al., 2002]. Im Röntgenbild erkennt man in der Regel eine scharf begrenzte Osteolysezone, in die die Zahnwurzeln hineinragen können [Saito et al., 1992; Ehrenfeld und Prein, 2002]. Typisch ist, dass die beteiligten Zähne vital bleiben, und sowohl die benachbarten Zähne als auch der N. alveolaris inferior nicht verdrängt werden. Alle genannten Kriterien waren auch bei dem hier vorgestellten Patienten vorhanden.

Typisch für die einfache Knochenzyste ist, dass sich bei Exploration lediglich ein Hohlraum zeigt, der vollkommen leer ist oder mit wenig seröser Flüssigkeit oder Blut gefüllt sein kann [Reichart und Philipsen, 2004; Neville et al., 2002]. Histologisch findet sich kein Epithel, was die Läsion als Pseudozyste charakterisiert. Aus diesem Grund wurde auch der Begriff „Einfache Knochenkavität” statt „Einfache Knochenzyste” vorgeschlagen [Reichart und Philipsen, 2004]. Die Pathogenese der einfachen Knochenzyste ist immer noch unklar. Favorisiert wurde lange Zeit die Theorie der unvollständigen knöchernen Heilung nach traumatisch bedingter intramedullärer Blutung [Neville et al., 2002; Shear, 1992; Feinberg et al., 1984]. Diese Erklärung hatte auch zu dem früher bekannten Namen der „Traumatischen Knochenzyste” geführt. Letztlich gibt es keine eindeutigen Beweise für diese Theorie.

Da die einfache Knochenzyste nur sehr selten im fortgeschrittenen Alter entdeckt wird, nimmt man an, dass sie eine große Selbstheilungstendenz besitzt [Reichart und Philipsen, 2004]. Trotzdem sollte nach Entdeckung einer vergleichbaren Osteolyse schon zum Ausschluss eines anderen, eventuell malignen, pathologischen Prozesses eine chirurgische Exploration erfolgen. Zur Gewinnung des auskleidenden Gewebes für die histologische Untersuchung wird empfohlen, den Hohlraum vorsichtig zu kürettieren [Neville et al., 2002]. Damit wird gleichzeitig auch eine Einblutung in die Kavität provoziert. Bei größeren Kavitäten werden auch die stabilisierende Eigenblutfüllung oder eine Spongiosaplastik diskutiert [Reichart und Philipsen, 2004]. Obwohl auch über das Auftreten von Rezidiven berichtet wurde, kommt es in den meisten Fällen zur knöchernen Ausheilung der Knochenkavität [Neville et al., 2002].

(Die Röntgenbilder wurden freundlicherweise von Dr. L. König aus Pfungstadt zur Verfügung gestellt).

Prof. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Universität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 Regensburg

PD Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 2, 55131 Mainz

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