Postgraduates als Kritiker der Wissenschaft
Im Folgenden sollen am Beispiel des postgraduierten Studiums Parodontologie/Implantologie im Department of Periodontology der Tufts University School of Dental Medicine in Boston einige Lehrinhalte und Ziele vorgestellt und die Besonderheiten des Studiums erläutert werden
Ausbildungsziel: American Board Exam
Das Curriculum des postgraduierten Studiums ist darauf ausgelegt, die Studenten auf das „American Board Exam“ vorzubereiten. Diese Prüfung kann nach Abschluss der dreijährigen Fortbildung abgelegt werden und gilt als Qualitätsstatut der American Academy of Periodontology (AAP), des Dachverbands für Parodontologie. Bestandteil des ersten Teils des Board Exams in der Parodontologie sind Anatomie, Medizin, Pharmakologie, Immunologie, Zellbiologie, Pathologie, Histologie, Mikrobiologie, Implantologie und natürlich im Wesentlichen die Parodontologie. Entsprechend den Vorgaben der AAP belegt der postgraduierte Student alle diese Fächer im Laufe seiner dreijährigen Weiterbildung und legt als Vorbereitung auf das Board Exam schon während des Studiums mindestens eine Prüfung je Fach ab.
Die Anforderungen der einzelnen Universitäten zu dieser Prüfung sind unterschiedlich. Allerdings lässt sich aus der Anzahl der Studenten, die sich dieser Prüfung stellen, ersehen, wie erfolgreich die Hochschule bei der Motivation und Vorbereitung ihrer Studenten auf das Board Exam gewesen ist. Dieser Teil des Postgraduierten- Studiums ähnelt in seiner Struktur dem klinischen Studienabschnitt vor dem Staatsexamen in Deutschland, wobei dem Postdoc- Studenten natürlich Lehrinhalte in einem detaillierteren und größeren Umfang vermittelt und abverlangt werden.
Im zweiten Teil des Board Exams werden dem Bewerber klinische Patientenfälle vorgestellt. Es wird von ihm verlangt, zu Ätiologie, Diagnose, Therapie und Prognose Stellung zu nehmen und seine Entscheidungen auf eine beweisgestützte Grundlage zu stellen. Mittels Grundlagenvorlesungen, regelmäßig stattfindender Fallpräsentationen von verschiedenen Abteilungen, Behandlungsplanbesprechungen sowie der obligaten Betreuung in der Klinik bereitet ein gutes Postgraduierten-Programm seine Studenten drei Jahre lang auf diese zweiteilige, sehr anspruchsvolle Prüfung vor, die zentral und universitätsunabhängig abgehalten wird.
Die wirkliche Qualität des Postgraduierten- Programms erschließt sich daraus, wieviele ihrer Alumni den Weg der Dachverbandszertifizierung einschlagen und auch bestehen. In ganz Amerika stellen sich und bestehen weniger als ein Viertel der Graduierten aller postgraduierten Programme in der Parodontologie der Dachverbandszertifikation.
Eine wissenschaftliche Karriere lässt sich in den USA nur mit bestandener Dachverbandszertifikation anstreben. In manchen Ländern, zum Beispiel Ägypten, wird die amerikanische Dachverbandszertifikation aufgrund ihres Schwierigkeitsgrads dem akademischen Titel eines Professors gleichgesetzt. Die Zertifikation zum Parodontologen/ Implantologen erhält der Postdoc jedoch unabhängig davon, ob er nach dem Abschluss des dreijährigen Studiengangs am American Board Exam teilnimmt oder dieses besteht.
Ebenfalls unabhängig von der Zertifikation zum Parodontologen sind die in vielen postgraduierten Studiengängen obligaten „Master of Science“-Projekte. Vielmehr soll diese Forschungsarbeit den Studierenden mit selbständiger wissenschaftlicher Tätigkeit vertraut machen; sie ist einer der drei Grundpfeiler, auf denen ein Postgraduierten- Studium aufgebaut ist.
Wissenschaft, Lehre und Praxis
Der Zahnarzt, der sich für eine Spezialisierung in der Parodontologie in den Vereinigten Staaten interessiert, muss sich grundsätzlich für eine von zwei verschiedenen Richtungen entscheiden. Zum einen gibt es Postgraduierten-Programme, die auf die Ausbildung von Wissenschaftlern und Forschern sowie künftigen Lehrern auf praktischer Grundlage spezialisiert sind, zum anderen gibt es Programme, deren Ziel die Ausbildung von Praktikern und künftigen Lehrern auf wissenschaftlich-forschender Grundlage ist.
Die jeweilige Orientierung der Hochschule spiegelt sich im Curriculum sowohl durch den Umfang an Behandlungszeit und der oft stark unterschiedlichen Anzahl durchgeführter Behandlungsmaßnahmen je Student (zum Beispiel Anzahl der Implantationen pro Student) als auch in der Qualität der Forschungsarbeiten wider.
Ein wesentliches Merkmal der postgraduierten Ausbildung ist jedoch, dass in jedem Fall alle Behandlungen nur unter Aufsicht und Anleitung der Aufsicht habenden Spezialisten durchgeführt werden, wobei das in den Vorlesungen und Seminaren erworbene Fachwissen kritisch hinterfragt wird. Aber auch in den Vorlesungen und Seminaren wird der Student zu einem Kritiker der Wissenschaft erzogen, der sein Fachwissen gezielt einzusetzen lernt, um die Patientenbehandlung, neue Studien, Produkte oder Techniken auf ihre Aussagekraft, Effektivität, Langlebigkeit, Vorhersehbarkeit sowie ihren Erfolg einzuschätzen. Zudem wird vom Postdoc seitens seiner Universität erwartet, dass er nach dem Abschluss sein erworbenes Wissen als Ausbilder weitergibt und dadurch dem Namen seiner ehemaligen
Universität Ehre macht. Ein Beispiel für die Kombination von Lehre, Wissenschaft und Praxis sind die regelmäßig stattfindenden Präsentationen über Therapieplanung oder eigens durchgeführte Behandlungen. In Tufts werden diese klinischen Präsentationen innerhalb der Abteilung oder vor verschiedenen Abteilungen von bis zu 60 Personen gehalten. Dabei werden perfekte intraorale Bilder der Therapie ebenso vorausgesetzt wie das ausführliche Zitieren von wissenschaftlicher Literatur.
Das Zusammenwirken der verschiedenen Fachrichtungen macht diese wöchentlichen Veranstaltungen nicht nur zu einem konstruktiven Wetteifern um evidenzbasierte Präsentationen, sondern zu einem Wettkampf zwischen den einzelnen Abteilungen um die beste, am wenigsten angreifbare Präsentation. Dabei wird der Postdoc durch die Vielzahl an Präsentationen, die er halten muss, gleichzeitig auf seine spätere Lehrtätigkeit vorbereitet. Jegliche klinische Entscheidung, sei es die Schnittführung oder die Wahl eines Nahtmaterials, der Recallabstand oder die Antibiose, hat auf einer beweisgestützten Grundlage zu beruhen. Die Theorie der klinischen Entscheidungsfindung wird in den Literaturseminaren gelehrt.
Im ersten Jahr besucht der Studierende ein solches Seminar pro Woche, im zweiten oder dritten Jahr bis zu drei, wobei gründlichste Vorbereitung natürlich Voraussetzung für die aktive Teilnahme an der kritischen Analyse der Artikel und der jeweils variierenden übergeordneten Thematik ist.
Leistungsbereitschaft
Das Resultat der konkurrierenden Hochschulen ist eine ständige Stimulation der Lehre, der umfangreiche Bewerbungsprozess führt zu einer Selektion von motivierten und leistungsbereiten Studenten. Die Wochenstundenzahl für das jeweilige Fachgebiet variiert in den postgraduierten Programmen. Mit mindestens 60 Wochenstunden liegen die Prothetiker innerhalb des Universitätsbetriebs in Tufts an der Spitze. Weniger zeitintensiv, dafür deutlich stressiger, ist in Tufts die Kinderzahnheilkunde. Wöchentliche Prüfungen über die durchgenommene Literatur, die Anforderung der zu erbringenden Leistungen an den jungen Patienten, ein klinisches Forschungsprojekt sowie die obligatorischen Präsentationen bringen die Studenten regelmäßig an ihr Belastungslimit. Nicht ohne Grund ist der Programmleiter der Kinderzahnheilkunde, Dr. George E. White, Herausgeber des „Journal of Clinical Pediatric Dentistry“ geworden.
Die Endodontologen scheinen zwar keinem überdurchschnittlichen Stresspensum ausgesetzt zu sein, trotzdem bestechen sie durch ihre klinische Präzision, wie sich in den Fallvorstellungen der Abteilung bestätigt, wo Röntgenbilder gezeigt werden, auf denen mehrere apikale Ramifikationen einzeln und punktgenau bis zum röntgenologischen Apex abgefüllt sind. Die großartige Erfolgsrate ihrer Wurzelspitzenresektionen mit mikrochirurgischem Instrumentarium bei bis zu 40facher Vergrößerung sorgt regelmäßig für Auseinandersetzungen über Erhalt oder Extraktion von Zähnen zwischen den Endodontologen und den eher implantatorientierten Prothetikern und Parodontologen.
Faszination Parodontologie
Edward P. Allen, der jährlich im Juli für das Journal of Prosthetic Dentistry die Parodontologieliteratur zusammenfasst, sagte kürzlich in einer Vorlesung, dass die Vielfältigkeit der Parodontologie von heute phantastisch sei, da sie dem Kliniker die Chance eröffne, sich in einem Teilgebiet der Parodontologie zu spezialisieren und sich dadurch zu perfektionieren. Es ist tatsächlich so, dass viele Spezialisten in den USA den Weg der Subspezialisierung einschlagen, da einzelne übergeordnete Fachgebiete, wie die Parodontologie zu umfangreich geworden sind, als dass alle Bereiche praktisch und theoretisch in gleicher Qualität abgedeckt werden könnten. Der perfektionistische Ansatz spiegelt sich an den führenden Hochschulen in den USA im Bereich der Lehre, Wissenschaft und Forschung wider, und sorgt dafür, dass jeder Tag für die Lehrenden und Lernenden eine neue Herausforderung wird.
DMD, Dr. med. dent. Daniel Engler-HammDepartment of PeriodontologyTufts University School of Dental MedicineOne Kneeland Street, Boston 02111 MA USA
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Name
Tufts University
Harvard University
University of North Carolina
University of Texas
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Struktur
Privat
Privat
Staatlich
Staatlich
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Ort
Boston
Boston
Chapel Hill
San Antonio
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Nicht US-Bürger werden angenommen
Ja
Ja
Ja
Ja
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Länge des Studiums/Jahre
3
3 - 4
3
3
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Studiengebühren in Tausend Dollar/Jahr
32
38
17
12
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Anzahl der Abteilungs-mitglieder, die „board certified“ sind
11
8
12
9
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Master vorausgesetzt
Freiwillig
Ja
Ja
Ja
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Verhältnis der Angenommenen zu Bewerbern
1:14
1:5
1:16
1:15
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„Board 1“ wird vor dem Abschluss vorausgesetzt
Ja
Nein
Nein
Ja
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Ausrichtung
Praxis
Forschung
Ausgeglichen
Praxis
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Anzahl der Chirurgien pro Student in drei Jahren (ohne Implantate)
300
Keine Auskunft erteilt
165
200
\n
Anzahl gesetzter Implantate pro Student in drei Jahren
100
Keine Auskunft erteilt
62
90
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