Überraschende Forschungsergebnisse bei Atemwegserkrankungen
Ein Themengebiet, das auch dieses Jahr in Berlin heftig diskutiert wurde, wird hier bewusst ausgespart: Die zytostatische Therapie von Tumoren der Atmungsorgane. In diesem Gebiet beobachtet man derzeit eine gewisse Aufbruchstimmung, vor allem was neue, biologische, antineoplastisch wirksame Substanzen betrifft. Da es sich jedoch lohnt, einzelne Durchbrüche separat zu würdigen, wird hier auf die Darstellung dieses Gebiets verzichtet.
COPD-Patienten zum Fach- oder Hausarzt
Patienten mit chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen, wie chronischobstruktiver Bronchitis oder Emphysem (COPD), leiden stark unter der Einschränkung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit und damit ihrer Lebensqualität. Kliniker um Birgit Mohr von der Charité Berlin versuchten nun herauszufinden, ob die Patienten besser beim Hausarzt oder beim Pneumologen aufgehoben sind. Sie untersuchten dazu 136 Patienten, von denen sich 77 in fachärztlicher Behandlung befanden. Überraschenderweise zeigte sich, dass in der Mehrzahl der untersuchten Parameter die hausärztlich betreuten Patienten besser dastanden. Dazu gehörten im leichten und mittelschweren Stadium der COPD die körperliche Funktionsfähigkeit, Vitalität, allgemeine Gesundheit sowie die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Lediglich bei den Dimensionen der physischen und emotionalen Rollenfunktion schnitten die fachärztlich betreuten Patienten besser ab. Das Fazit der Berliner Kliniker: Bei der COPD führt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Haus- und Facharzt zur besten Betreuung der Patienten. Wahrscheinlich empfiehlt sich folgender Weg; Die Absicherung der Diagnose und die Einleitung der Therapie sollte zunächst beim Facharzt liegen, die Führung der Patienten dann aber wieder dem Hausarzt übergeben werden.
Behandlungsbeginn beim kleinzelligen Bronchial-Ca
Patienten mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom haben eine geringe Lebenserwartung. Der Verlauf der Erkrankung ist durch aggressives Wachstum des Malignoms, ein initial gutes Ansprechen auf die zytostatische Therapie und eine frühe Rezidivbildung gekennzeichnet. Derzeit wird allgemein akzeptiert, dass ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn nach der Diagnose die Überlebenschance der Patienten so weit als möglich verbessert und daher anzustreben sei. Allerdings wird durch die sehr eingreifende Therapie die Lebensqualität der Patienten deutlich verschlechtert. Daher schien es wichtig herauszufinden, ob der frühestmögliche Therapiebeginn wirklich die Überlebenschance der Patienten verbessert – also die Einschränkungen der Lebensqualität aufwiegt. Dazu wurde von Sebastian Micke und Kollegen von der Universitätsklinik Mainz die Tumordatenbank der dortigen III. Medizinischen Klinik ausgewertet. 128 Patienten wurden nach möglichst vielen Variablen in vergleichbaren Paaren verglichen, wobei das einzig unterscheidende Kriterium ein Therapiebeginn vor oder nach dem siebten Tag nach Diagnosestellung sein sollte.
Auch in dieser Studie fand sich ein überraschendes Ergebnis: Die Überlebenschance der spät auf Zytostatika oder Bestrahlung eingestellten Patienten war deutlich höher als die der früh therapierten (388 versus 289 Tage im Mittel). Die drei Monate längere Überlebenschance in besserer Lebensqualität der nicht sofort therapierten Patienten spricht also für eine eher palliativ an der Symptomatik ausgerichtete Behandlung.
Luftbefeuchter zur Prävention gefährlich
Viele Patienten leiden speziell in Räumen mit Zentralheizung oder mit Klimaanlagen unter der trockenen Luft und schaffen sich Luftbefeuchter an. Sie sind in der Regel davon überzeugt, dass sie damit eine gesundheitlich vernünftige Investition tätigen. Diese Ansicht, die auch in der Fachwelt verbreitet ist, wird jedoch durch eine Untersuchung von Dietrich Müller-Wening und Kollegen von der Zusamklinik der LVA Schwaben und von der Klinik Löwenstein in Zusmarshausen im bayerischen Schwaben widerlegt. Sie gingen der Ursache von fiebrigen Atemwegserkrankungen bei zwölf Patienten nach. Alle benutzten Kaltvernebler auf Ultraschallbasis, die aus dem Befeuchterwasser die darin wachsenden Bakterien, Hefepilze, Schimmelpilze und Parasiten in die Atemluft verbreiteten. Bei elf von zwölf Patienten konnten Antikörper gegen die jeweilige Keimbesiedelung der eigenen Luftbefeuchter gefunden werden. Das Fazit der schwäbischen Pneumologen: Bei Patienten mit rezidivierendem Fieber, Husten und Atemnot sollte an eine befeuchterassoziierte Erkrankung gedacht werden. Einen Fachausdruck gibt es für diese Krankheit schon: Zimmerspringbrunnenalveolitis.
Inhalative Steroide bei Asthma in der Diskussion
In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit Asthma bronchiale nicht nur bronchodilatative Medikamente, sondern auch entzündungshemmende Substanzen, am besten inhalative Steroide als Dauerbehandlung indiziert sind. Aber auch bei Asthmapatienten klafft ein gravierender Unterschied zwischen der Studiensituation und der täglichen Therapie über Jahre. Offensichtlich werden die Steroide in der Langzeittherapie nicht regelmäßig eingenommen oder sie verlieren ihre Wirksamkeit. Jedenfalls fanden Alexandra Wewel und Kollegen von der Lungenfachklinik Großhansdorf und der Universitätsklinik München heraus, dass die Verordnung von inhalativen Steroiden in der Langzeittherapie keine Korrelation zur Lungenfunktion der Patienten und zur Asthma-Symptomatik zeigt.
Derzeit ist unklar, wie diese fehlende Wirkung zu interpretieren ist. Wahrscheinlich steckt jedoch auch hier ein Complianceproblem dahinter: Ähnlich wie bei Blutdruck senkenden Medikamenten vermögen die Patienten die Wirkung von Steroiden auf den Krankheitsverlauf nicht direkt zu spüren. Das unterscheidet diese segensreichen Medikamente deutlich von den Brochodilatativa, deren Wirkung akut einsetzt und sofort zu spüren ist. Aufgrund dieser fehlenden subjektiven Erfahrung einer Wirkung scheinen die Asthmapatienten geneigt zu sein, Steroide als „wirkungslos“ einzustufen und einigenmächtig abzusetzen.
Sauerstoff bei Patienten mit Schlafapnoe fraglich
Die Lebenserwartung von COPD-Patienten, die unter nächtlichen Hypoxien leiden, ist deutlich vermindert. Diese Patienten werden in der Regel mit Sauerstoff versorgt. Man setzt gewöhnlich voraus, dass durch eine solche Maßnahme die Lebensqualität der Patienten verbessert wird. Kliniker aus dem Klinikum Bergmannsheil in Bochum und St. Antonius in Wuppertal um Jörg Werner Walther untersuchten nun, ob dies auch für die nächtliche Applikation von Raumluft gilt. Dazu wurden 19 fortlaufende Patienten randomisiert mit Sauerstoff oder Raumluft versorgt und nach sechs Wochen nachuntersucht. Zur Überraschung der Forscher verbesserte sich die Lebensqualität der Patienten sowohl unter Raumluft wie unter Sauerstoff gleichermaßen. Lediglich, wenn die Schlafqualität durch die nächtlichen Episoden von Luftnot nachgewiesenermaßen vermindert war, zeigte sich ein deutlicher Vorteil des Sauerstoffes. So wird künftig die Indikation für eine Sauerstoffapplikation bei diesen Patienten enger zu stellen sein.
Flohsamen und seine Allergenität offen
Flohsamen (Psyllium, Plantago isphagula) wird heute weit verbreitet als Quellstoff zur naturnahen Therapie von Obstipationen verwendet. Arbeiter, die Flohsamen pharmazeutisch aufbereiten, können sich gegen Flohsamen sensibilisieren und arbeitsplatzbezogene Asthmaanfälle erleiden. Die Sensibilisierung lässt sich in entsprechenden Allergentests deutlich machen, wie Martin Baden und Kollegen vom Zentralinstitut für Arbeitsmedizin in Hamburg und einer Gemeinschaftspraxis in Mannheim auf dem Pneumologenkongress bekannt machten. Es sollte daher bei der Verarbeitung von Psyllium eine Exposition der damit beschäftigten Arbeiter möglichst vermieden werden.
Neue Substanzen versus Scheininnovationen
Unsere Gesellschaft folgt gerne der Meinung von so genannten Pharmakritikern, die vor allem bei chemisch geringfügig veränderten Arzneimitteln den Verdacht von „Scheininnovationen“ äußern, mit denen das Gesundheitswesen unnütz belastet werde. In der Laudatio zur Verleihung des diesjährigen Robert Koch Awards an die Firmen Boehringer Ingelheim und Pfizer für die Entwicklung von Tiotropiumbromid (Spiriva®) zur Therapie von Patienten mit chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen ging der Vorsitzende der Jury, Thomas Unger von der Charité Berlin auf diesen Vorwurf ein.
Er erklärte, dass der chemische Schritt vom viermal täglich zu applizierenden Anticholinergikum Ipratropiumbromid zu dem nun mit dem Robert Koch Award ausgezeichneten Tiotropiumbromid relativ klein gewesen sei. Die Auswirkung auf die praktische Therapie der COPD sei jedoch außerordentlich groß gewesen: Da die neu entwickelte Substanz bei nur einmal täglicher Applikation einer sehr geringen Arzneimittelmenge eine über 24 Stunden anhaltende Bronchodilatation bewirke, sei die Compliance der mit Tiotropiumbromid behandelten Patienten deutlich besser und damit die symptomatische und klinische Wirksamkeit gesteigert, was auch für die bei COPD gefürchtete Lungenblähung gelte. Dies sei bislang noch von keinem Medikament erreicht worden.
Dr. Till Uwe Keil