Höhenflug mit Sonnenenergie
Es wäre einen Frage für Günter Jauch in seinem Ratespiel „Wer wird Millionär“: Für welche Erfindung bekam Albert Einstein 1922 den Nobelpreis? Eben nicht für seine Relativitätstheorie. Vielmehr für eine Entdeckung im Jahr 1905, die er selbst als sehr revolutionär bezeichnet hat: das Gesetz des photoelektrischen Effekts.
Was 100 Jahre währt, wird gut
Heute, hundert Jahre später, gehören die Unternehmen, die sich Einsteins Erkenntnisse zunutze gemacht haben, zu den absoluten Lieblingen der Börse. Wahrscheinlich hat das Genie bereits damals geahnt, welche umwälzenden Folgen seine Beobachtung für die Menschen haben würde. Jedenfalls bildeten seine Erkenntnisse die Basis, auf der die drei amerikanischen Forscher Calvin Fuller, Gerald Pearson und Darryl Chapin die erste Silizium-Solarzelle entwickelten. Den ersten Prototypen des Solar Energy Converting Apparatus stellten sie am 25. April 1954 der Öffentlichkeit vor. Von da an war es möglich, Sonnenenergie in Strom umzuwandeln. Die Amerikaner nutzten die neue Technik zunächst ausschließlich im Weltraum. Dort funktionierte sie perfekt.
Doch niemand dachte daran, die kostenlose Sonnenenergie auf der Erde zu nutzen. Öl und Gas waren billig, die Vorräte scheinbar unendlich. Mit der Ölkrise 1973 und der Katastrophe von Tschernobyl 1989 änderte sich die Gesinnung. Die Photovoltaiktechnik geriet wieder in den Fokus der Energieforschung. Waren es früher die „Umweltspinner“, die sich die Solarzellen aufs Dach setzten, um so mit reinem Gewissen erneuerbare Energie zu produzieren, finden sich für diese Technik längst ständig neue Arbeitsfelder. So tragen Parkscheinautomaten ein kleines Solarzellen-Dach. Taschenrechner brauchen keine Batterien mehr. Das trendigste Bierzelt auf dem Münchner Oktoberfest – das Schottenhamel – produziert seinen Strom mithilfe der Sonne. Wichtiger aber noch ist der Einsatz der Solartechnik in Gegenden, die bislang nicht ans Stromnetz angeschlossen waren. Das kann in Deutschland ein entlegener Bauernhof sein oder aber ein kleiner Gewerbebetrieb in Portugal oder sonst wo auf der Welt, wo es kein funktionierendes Stromnetz gibt. Die Solarenergie erlaubt den Menschen überall dort, wo die Sonne in ausreichendem Maß scheint, sich selbst mit Elektrizität zu versorgen, und zwar zu fallenden Preisen.
Steigende Ölpreise bei stetig anziehender Nachfrage, das absehbare Ende der Vorräte, die schlimmen Auswirkungen des Klimawandels – dies alles sind Argumente für die Nutzung erneuerbarer Energien.
Nachdem die Windkraft in Deutschland ihr Terrain im wahrsten Sinne des Wortes besetzt hat, ist die lautlose Sonnenenergie am Zuge. Vor allem die Anwohner in der Nähe großer Windparks fühlen sich durch den Anblick der hohen Masten und vor allem durch die Geräusche sehr belästigt. Auch die Nordseeinseln wollen ihren Gästen den Anblick von Armeen von Windrädern vor der Küste ersparen.
Lautlos fließt die Energie
Sonnenenergie ist lautlos und die Zellen auf den Dächern fallen zumindest nicht sofort ins Auge. Und seitdem die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder des Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) im letzten Jahr durchgesetzt hat, kennt die Solarbranche kein Halten mehr. Firmen, die zu kämpfen hatten, haben sich inzwischen an der Börse etabliert. Andere sind ihrem Beispiel gefolgt. Die Kurse haben dermaßen angezogen, dass so mancher Experte schon wieder vor einer neuen Blase, wie es sie 2 000 am Neuen Markt gab, warnt. Sie alle profitieren von den oben beschriebenen Fakten.
Aber vor allem treibt sie das EEG. Viele Kritiker sehen darin eine Lizenz zum Geld drucken. Denn seit 2004 können alle den Strom, den ihre Solarzellen produzieren zu einem festen Tarif ins Netz einspeisen. Es gibt Hausbesitzern und Investoren Sicherheit, indem es für Anlagen, die vor 2015 fertiggestellt sind, für die Dauer von 20 Jahren feste Mindesteinspeistarife gibt. Einen Tarif von 57,4 Cent je Kilowattstunde vorausgesetzt, schafft eine 45 000 bis 50 000 Euro teure Anlage, die eine Spitzenleistung von zehn Kilowatt bringt, einen Umsatz von gut 4,5 Millionen Euro. Mittlerweile haben Länder wie Spanien, Österreich und Portugal das deutsche EEG-Modell übernommen. EU-weit soll sich der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien bis 2010 auf 12,5 Prozent erhöhen. In Deutschland betrug der Anteil im letzten Jahr rund zehn Prozent.
Kein Wunder, dass die Branche rasant wächst. Allein in diesem Jahr brachten es die 30 000 Beschäftigten in der Branche auf einen Umsatz von 2,6 Milliarden Euro. Bis 2020 rechnet man mit 200 000 Arbeitsplätzen und einem Umsatzziel von 18 Milliarden Euro. Um dies zu erreichen, wollen die Unternehmen rund 119 Milliarden Euro investieren, so die Daten der Unternehmensvereinigung Solarwirtschaft.
Die Manager beurteilen die Zukunftschancen der Solartechnik einigermaßen rosig. Zwar steht für 2007 die staatliche Förderung zur Überprüfung an. Doch darum macht man sich keine Sorgen. Die politischen Parteien werden der florierenden Branche den Strom nicht abdrehen. Möglicherweise wird die CDU auf eine Reduzierung dringen. Doch bis dahin, so hoffen führende Unternehmen wie Solarworld, wird die Unterstützung kaum noch vonnöten sein. Zurzeit führt Deutschland vor Japan die Riege der Hersteller von Solarzellen weltweit an. Ziel ist es, in absehbarer Zeit rund 70 Prozent der Produktion ins Ausland zu exportieren. In Frage kommen vor allem die Mittelmeerländer, China und Amerika. Deren Bedarf an alternativen Energien wird in Zukunft drastisch steigen. Für den Produktionsstandort Deutschland spricht vor allem, dass diese Technik nicht sehr lohnintensiv ist. Lediglich acht Prozent der Ausgaben entfallen auf Personalkosten. Insgesamt sind in den vergangenen Jahren die Preise für Solarstrom um rund fünf Prozent pro Jahr gefallen. Carsten König, Geschäftsführer der Unternehmensvereinigung Solarwirtschaft, prognostiziert sogar für jedes Mal, wenn sich das Verkaufsvolumen von Solarstrom verdoppelt, eine Preisreduzierung von 15 bis 20 Prozent. In den Ohren der Börsianer klingen solche Versprechen ausnehmend gut. Sie honorieren die guten Nachrichten mit hohen Kursen für die Aufsteiger.
Allen voran die Bonner Solarworld AG: Dieser solare Technologiekonzern gilt als Ausnahmeerscheinung am Photovoltaikmarkt. Der Bonner Spezialist hat eine rasante Wachstumszeit hinter sich. Stieg der Kurs der Aktie im letzten Jahr um satte 500 Prozent, konnte sie in 2005 bis Ende September noch einmal 270 Prozent zulegen. Zuletzt lag sie bei 140 Euro. Das prognostizierte Ziel heißt lediglich 115 Euro. Vor kurzem hat das Unternehmen angekündigt, im sächsischen Freiberg eine Fabrik für Solarsiliziumwafer zu bauen. Mit dieser Investition in Höhe von 80 Millionen Euro steigert das Unternehmen seine Produktionskapazität bis Ende 2006 auf 220 Megawatt. Bei einem Umsatz von jährlich 300 Millionen Euro und einem Gewinn von 18,4 Millionen Euro erscheint die Investitionsentscheidung sehr mutig. Experten halten sie jedoch für sehr vernünftig, denn auf diese Weise kann Solarworld den derzeitigen Engpässen bei Wafern direkt begegnen. Bei Wafern handelt es sich um aus rohem Silizium gefertigte Siliziumscheiben. Der Rohstoff ist nicht nur bei den Photovoltaikproduzenten heiß begehrt. Sie teilen sich das Material mit den Chipherstellern. Zudem hat Solarworld rechtzeitig langfristige Lieferverträge mit den Siliziumlieferanten abgeschlossen. Die Branche selbst geht davon aus, dass es sich um vorübergehende Engpässe handelt – schließlich ist Silizium nach Sauerstoff das Element, dass auf der Erde am häufigsten vorkommt. Derzeit weiten die Hersteller ihre Produktion aus, sodass die Knappheit in zirka zwei bis drei Jahren überwunden sein dürfte. Die Preise für den wichtigen Rohstoff ziehen stetig an. Kostete das Kilogramm Silizium vor zwei Jahren noch rund 25 US-Dollar, könnte es im nächsten Jahr das Doppelte sein. Die Branche arbeitet derzeit heftig an Technologien, die den Silizium-Anteil an der Produktion der Solarzellen reduzieren sollen.
Ebenfalls bereits gut etabliert im Börsengeschäft ist der Systemanbieter Conergy. Das Unternehmen positionierte seine Aktien im März dieses Jahres. Es verfügt über eine ausreichende Größe und Finanzkraft, um bei der Akquisition von Großaufträgen mithalten zu können. Die Hamburger Gesellschaft handelt mit Systemen und Komponenten zur Produktion von Strom, Wärme und Kühlung aus Sonnenlicht. Sie plant und erstellt solare Kraftwerke. Weltweit unterhält sie 15 Niederlassungen.
Angelockt vom Höhenflug
Angelockt vom Höhenflug der Aktien rechneten sich mehrere Solarspezialisten Chancen für einen Börsengang aus. Sie alle brauchen Kapital, um ihr Unternehmen konkurrenzfähig zu machen. Sie entschlossen sich, ihren Ipo (Gang an die Börse) so schnell wie möglich umzusetzen. Zu den aussichtsreichsten Namen gehören:
•Ersol:Gut gerüstet trat auch der 1997 gegründete Thüringer Solarzellenhersteller Ersol sein Börsendebüt am 30. September an. Er gehört zu den zehn größten Solarzellproduzenten der Welt. Am Vortag war die Aktie bereits 50fach überzeichnet. Furios war denn auch der Start. Mittags stand der Kurs bei 65 Euro, gestartet war das Papier mit 42 Euro. Letztendlich schloss sie bei 52,30 Euro. Analysten sehen Ersol breit aufgestellt, weil die Firma den Wafer-Produzenten Asi Industries übernommen hat. Zudem hat sie in weiser Voraussicht langfristige Lieferverträge für Silizium bis ins nächste Jahrzehnt hinein abgeschlossen. Denn die Abnahme eines großen Teils der Produktion ist ebenfalls zu festen Preisen vereinbart – angeblich bis 2015. Bereits jetzt verkauft Ersol die Hälfte der Produktion ins Ausland, vorwiegend in den Mittelmeerraum und nach Asien. Derzeit liegt der Weltmarktanteil bei zwei Prozent. Mittelfristig zielt Ersol auf zehn Prozent. Der Umsatz ist für dieses Jahr mit 75 Millionen Euro und der Nettogewinn auf 6,1 Millionen Euro veranschlagt. Die Gewinnprognose für das nächste Jahr liegt bei 17 Millionen Euro.
•Q-Cells:Seit dem Börsengang am 5. Oktober (Startkurs: 49 Euro) setzen viele Experten das Technologieunternehmen in der Solarbranche auf Platz 2 hinter Solarworld. Bereits jetzt machen die Thalheimer 35 Prozent des Umsatzes im Ausland – mit steigender Tendenz. Außerdem haben sie weitsichtige Joint Ventures mit amerikanischen und australischen Unternehmen abgeschlossen, die einen ähnlichen Qualitätsstandard aufweisen wie Q-Cells. Nach eigenen Angaben behauptet sich Q-Cells als größter konzernunabhängiger Solarzellenhersteller der Welt.
Nachfrage stark angeheizt
Auch viele kleinere Unternehmen schwimmen auf der derzeitigen Euphoriewelle mit. Noch steigen die Kurse. Inzwischen interessieren sich die meisten am Aktienmarkt Beteiligten für die Sonnenenergie. Seit 2004 arbeiten beinahe alle Unternehmen dank der gesetzlichen Unterstützung sehr erfolgreich. Die Investoren stürzen sich auf die Solarenergie, weil sie die derzeit erfolgreichste Branche auf dem Aktienmarkt ist. In Zeiten der Hurrikans und der steigenden Energiepreise bietet die umweltfreundliche Technik auch den Medien genügend Futter für gute Stories. Alles zusammen hat die Nachfrage stark angeheizt. Wie lange diese Euphorie anhalten wird, ist schwierig zu sagen. Mit Einbrüchen müssen Anleger rechnen. Für Profis heißt das, dass jetzt bald der Zeitpunkt zum Ausstieg kommt – zumindest für alle, die ihre Gewinne realisieren wollen.
Wer längerfristig plant, schätzt die Papiere, weil die Solartechnik eine Schlüsselrolle in der Energiegewinnung spielt. Es braucht wahrscheinlich einen langen Atem. Denn zeitweise – wahrscheinlich während der kommenden zwei Jahre – wird es zu deutlichen Kursrückgängen kommen, deren Zeitpunkt sich aber nicht vorhersagen lässt. Ein gutes Beispiel für das, was passieren kann, ist Solarworld: Im Mai 2003 rauschte der Kurs der Aktie auf zwei Euro. Dank des Runs auf die Sonnenenergie explodierte der Kurs auf zuletzt 123 Euro (Ende September 2005). Neueinsteiger sollten sich auf die großen Unternehmen konzentrieren, die international aufgestellt sind und ihre Abhängigkeit vom deutschen Markt nach und nach reduzieren. Sie sollten finanziell stark sein, damit sie genügend Geld in die Forschung stecken und so ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken können. Denn der Druck auf die Forschung ist immens. Seit 1990 konnte die Industrie die Kosten um 70 Prozent senken. So werden heute die einfachen Solarzellen mit einer Leistung von 2,3 Watt in China produziert. Q-Cells beispielsweise fertigt die neueste Generation mit 6,4 Watt pro Zelle. Ein weiteres entscheidendes Merkmal ist die Abhängigkeit der Unternehmen von Silizium und den Wafern als Vorprodukt der Solarzellen. Wer in diesen Bereichen über genügend Kapazitäten verfügt, kann das eigene Wachstum mitbestimmen. In den derzeitigen Kursen sind Versorgungskrisen und politische Risiken nicht berücksichtigt. Tritt der eine und/oder andere Fall ein, trifft es zuerst die schwächeren Unternehmen.
Insgesamt jedoch rechnen Beobachter mit einem jährlichen Wachstum der Branche von 25 Prozent bis 2010. Zurzeit verfügen 1,7 Milliarden Menschen immer noch nicht über Strom. Der Großteil von ihnen wäre mit Sonnenenergie günstiger bedient als mit einem Anschluss ans Stromnetz.