Gastkommentar

Überflüssige Bürokratie

Heftarchiv Meinung
pr
Wenige Regelungen der jüngsten Gesundheitsreform wurden so heftig bekämpft wie der neu zu gründende Dachverband der gesetzlichen Krankenkassen. Nach Inkrafttreten des Gesetzes muss die Selbstverwaltung dennoch zügig an die Umsetzung gehen.
Hartwig Broll
Gesundheitspolitischer
Fachjournalist in Berlin

Im Sozialrecht ergießen sich manche auch strikten Vorgaben des Gesetzgebers in der Umsetzung ins Nirwana. Bestes Beispiel ist die elektronische Gesundheitskarte, die bekanntlich jeder GKV-Versicherte seit dem letzten Jahr besitzt – geht man jedenfalls nach dem schlichten Buchstaben des Gesetzes. Während hier die Schuld wohl eindeutig beim Gesetzgeber liegt – in technisch nicht zu bewältigenden Vorgaben –, so wird sie dennoch gerne bei der Selbstverwaltung gesucht. Und die Reaktion für zukünftige Mammutprojekte liegt zumeist auch auf der Hand: Noch engere zeitliche Vorgaben, verknüpft mit einem perfiden System von staatlichen Ersatzvornahmen.

Bestes Beispiel für dieses Vorgehen ist der neu zu gründende Spitzenverband Bund der GKVen. Angesichts des während des Gesetzgebungsverfahrens wiederholt geäußerten Vorwurfs einer weiteren Verstaatlichung des Gesundheitswesens durch diese neue Superbürokratie hat der Gesetzgeber jeden Widerstand bei der Umsetzung bereits im Keim erstickt. Bis zum 30. April – also nur gut vier Wochen nach Inkrafttreten des Reformgesetzes – wurde der Selbstverwaltung aufgegeben, sich auf einen Errichtungsbeauftragten zu einigen, nach dieser Frist hätte das Gesundheitsministerium selbst einen Errichtungsbeauftragten ernennen können. Und die Selbstverwaltung hat gut daran getan, sich im Prinzip schon vor Wirksamwerden der Reform in dieser Angelegenheit zu einigen, denn der Errichtungsbeauftragte soll die Selbstverwaltung bei der Errichtung des neuen Gremiums nicht nur unterstützen, sondern fungiert auch als dessen Vorstand, sollte eine Wahl bis zum 1. Juli nicht erfolgt sein. Dass mit der Wahl des ehemaligen Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses des Bundestages, Klaus Kirschner, sowie dem Rechtsanwalt Werner Nicolay die Wahl auf Personen gefallen ist, die neben langjähriger und einschlägiger Erfahrung im GKV-System auch eine gewisse Affinität zum AOK-System mitbringen, sei hier nur am Rande erwähnt.

Dass sich insbesondere die hauptamtlichen Vorstände der alten Spitzenverbände nicht völlig widerstandslos den engen Vorgaben des Gesetzgebers unterordnen wollen, zeigt die Einrichtung eines „Errichtungsbeirats“, der zumindest im Gesetz eigentlich nicht vorgesehen war. So sollen denn wohl doch die Interessen insbesondere der Hauptamtlichen, aber auch der obersten Selbstverwalter, in diesem Prozess gewahrt werden, handelt es sich bei diesem Beirat doch um nichts anderes als den guten alten Arbeitskreis I der GKV-Spitzenverbände. Wer erinnert sich nicht an die einschlägigen Aussagen so mancher Verbandsvertreter, dass man mit diesem Gremium doch eigentlich bereits über so etwas wie einen Dachverband verfüge?

Man darf wohl fest davon ausgehen, dass das weitere Verfahren bei der Errichtung des völlig überflüssigen Dachverbandes – selbst Kritiker mussten den alten Spitzenverbänden bescheinigen, dass deren Federführungsprinzip in der Vergangenheit eigentlich recht gut funktioniert hatte – von ähnlichen Versuchen der Insubordination nicht völlig frei sein wird. So bleibt neben dem Unterhaltungswert, den das zukünftige Ringen verspricht, welche Machtfülle und Kompetenz man dem Dachverband im Verhältnis zu den Einzelkassen einräumen möchte oder verwehren kann, doch die grundsätzliche Frage nach dem Sinn der ganzen Aktion. Bereits jetzt scheint deutlich zu sein, dass die alten Spitzenverbände zumindest überwiegend als Dienstleister für ihre Kassen bestehen bleiben – es wäre ja auch ein Wunder, wenn eine erzwungene Zentralisierung tatsächlich einmal zu einem Bürokratieabbau führte. Eine Rechtfertigung auch für das erhebliche Maß an Verunsicherung unter den Mitarbeitern der alten Verbände ist derzeit aber nicht zu sehen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.