Erfolg und Misserfolg – Materialien
Der wissenschaftliche Tagungsleiter Prof. Dr. Bernd Reitemeier, Dresden, stimmte die Kollegenschaft zunächst auf das komplexe Thema ein und definierte den Begriff Materialunverträglichkeit. Unterschieden werden materialassoziierte (wie Allergien) von nicht materialassoziierten Reaktionen (wie psychosomatische Störungen). So hob Reitemeier die Notwendigkeit einer interdisziplinären Ausrichtung der Diagnostik hervor, da nur im konstruktiven Zusammenspiel aus Hauszahnarzt, Spezialsprechstunde und allgemeinmedizinischen Disziplinen eine patientengerechte Betreuung gewährleistet werden kann.
Dermatologie, Immunologie und Zahnmedizin
Das Thema „Reaktionen auf Dentalwerkstoffe“ wurde anschließend aus dermatologischer und immunologischer sowie aus zahnärztlicher Sicht beleuchtet. PD Dr. Johannes Geier, Göttingen, hob in seinem eher klinisch orientierten Vortrag die Bedeutung einer umsichtigen Interpretation allergologischer Untersuchungsergebnisse hervor. Goldstandard der dermatologischen Diagnostik ist bei bestehender Indikation immer noch der Epikutantest mit Metallsalzen und Metallproben. Bedeutsame Allergene aus dem Bereich der Dentalwerkstoffe und ihre Charakteristika bezüglich der Diagnostik wurden vorgestellt. Trotz nicht immer eindeutig interpretierbaren Testresultaten sollte bei positivem Ergebnis schon aus forensischer Sicht eine Neuversorgung mit dem Allergen unterbleiben. PD Dr. Randolf Brehler, Münster, bestätigte aus immunologischer Sicht, dass eine Sensibilisierung durch Allergenkontakt über die Mundschleimhaut durchaus möglich ist. Allerdings greifen in der Mundhöhle mehrere Mechanismen, die zu einer deutlich geringeren Ausprägung der Reaktion im Vergleich zur Epidermis führen. Weiterhin stellte Dr. Brehler die vermutete Bedeutung der oralen Mukosa für die Toleranzentwicklung im Kindesalter gegen potentielle Allergene heraus. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass immunologische Testverfahren (wie MELISA, LTT) zum Nachweis tatsächlicher Kontaktsensibilisierungen noch nicht uneingeschränkt empfohlen werden können. Prophetische Epikutantestungen sind ohne Aussage und sollten aufgrund der Gefahr der Sensibilisierung unbedingt vermieden werden. Aus Sicht des Zahnarztes verwies Dr. Wolfgang Bengel, Heiligenberg, auf Probleme wie unklare Zulassungsverfahren von Materialien, Materialvielfalt, externe Fertigung von Zahnersatz und die folgende Unsicherheit der Zahnärzteschaft im Umgang mit dem Thema Materialunverträglichkeit. Er forderte die Erhebung einer gründlichen Anamnese, eine möglichst fotografische Befunddokumentation und nur bei entsprechender Indikation die Anordnung eines Allergietestes. Des Weiteren wurden die Teilnehmer der Tagung vor übereilten Diagnosen und Therapiemaßnahmen, wie dem Austausch suffizienter Restaurationen, gewarnt. Dr. Bengel empfahl die Verwendung weniger, jedoch bewährter korrosionsstabiler Legierungen und die kritische Prüfung neuer Materialien.
Allgemeinmedizinische Unverträglichkeiten
Es folgten Vorträge, die weitere allgemeinwie oralmedizinische Aspekte zum Thema Materialunverträglichkeit/Reaktionen in der Mundhöhle verdeutlichten. Dr. Christoph Schindler (Institut für Klinische Pharmakologie – Universitätsklinikum Dresden / Arzneimittelkommission Zahnärzte der BZÄK) erläuterte mögliche internistische Krankheitsbilder, die als alleinige Ursachen oraler Symptomatiken in Frage kommen, wie Gastritiden, Vitamin-B12-Mangel, Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sowie hämatologische Erkrankungen. Aber auch Medikamente wie Midazolam (Geschmacksirritationen), Phenytoin (Gingivahyperplasie), Bisphosphonate (Osteonekrosen) oder Allopurinol (Lichenoide Reaktionen) können zu Nebenwirkungen in der Mundhöhle führen.
Prof. Dr. Volker Köllner (Psychosomatische Fachklinik – Bliestal Kliniken) ging in seinem Vortrag auf die häufigsten Formen der nicht materialassoziierten Unverträglichkeiten, die psychosomatischen Störungen, ein. Er referierte nicht nur zu Erklärungsmodellen der Prothesenunverträglichkeit oder Amalgamphobie, sondern erläuterte auch verschiedene psychosomatische Erkrankungen anhand praktischer Beispiele. Weiterhin wurden Daten der Dresdner Materialunverträglichkeits-Sprechstunde vorgestellt. Es zeigte sich, dass Patienten der psychosomatischen Diagnostik motiviert gegenüberstanden. Voraussetzung ist die Integration der Psychosomatik als gleichwertiger Baustein des diagnostischen Konzeptes (Liason-Modell). Zusammenfassend ließ sich feststellen, dass es sinnvoll erscheint, die psychosomatische Diagnostik nicht an das Ende der Konsilreihe zu stellen, um dem Patienten nicht das Gefühl des „Abgeschobenwerdens“ zu verleihen.
Auseinandersetzung mit Alternativmethoden
Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle, Heidelberg, stellte unter anderem Ergebnisse einer Studie zur Applied Kinesiology vor. Es wurde nachgewiesen, dass mit diesem diagnostischen Mittel keine reproduzierbaren Ergebnisse zu erzielen sind. Unabhängig davon zeigten drastische klinische Beispiele das mitunter erhebliche Missbrauchspotential unkonventioneller Diagnoseverfahren, die von den Anwendern mit den Prädikaten „sanft“ und „biologisch“ versehen werden. Ziel des seriösen Arztes sollte die Aufklärung und das Herausführen des Patienten aus dem alternativmedizinischen Circulus vitiosus sein, indem vom behandelnden Zahnarzt auch die emotional fürsorgliche Ebene besetzt wird.
Die herrschende Vielfalt an Dentallegierungen führt nach Prof. em. Dr. Edwin Lenz, Kiliansroda, teilweise zu unbedachten Kombinationen und Verbundverfahren dentaler Legierungen. In diesem Zusammenhang wurden die Bedeutung der Werkstoffkunde für das Erkennen der Ursache einer Materialunverträglichkeit hervorgehoben. Fehler im kristallinen Gefüge, die Legierungszusammensetzung und der Oberflächenzustand können korrosive Prozesse begünstigen. Zusätzlich wurde eine gute Compliance des Patienten gefordert, da auch ein Biofilm Korrosion fördert. Zur Vermeidung von Materialunverträglichkeiten sollte der Zahnarzt nur bewährte Legierungen beziehungsweise Metalle verwenden, die mit einem geringen biologischen Risiko verbunden sind, wie hochgoldhaltige Legierungen, Kobaltbasislegierungen oder Titan. Lötungen sind nicht mehr zeitgemäß und daher zu vermeiden.
Zehn Jahre interdisziplinäre Sprechstunde in Dresden
Der abschließende Vortrag von Prof. Dr. Bernd Reitemeier beschäftigte sich mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Spezialsprechstunde. 501 Patienten konnten in der Auswertung berücksichtigt werden. Die Mehrzahl gab nur wenig verschiedene Beschwerdebilder an. Im Extremfall wurden jedoch 22 verschiedene Angaben gemacht. Der Charakter der Diagnostiksprechstunde ist interdisziplinär. Die frühzeitige Einbindung der psychosomatischen Diagnostik im Sinne des Dresdner Liasonmodelles hat sich aufgrund der hohen Prävalenz psychosomatischer Krankheitsbilder im selektierten Patientengut bewährt. Durch Kooperation des Hauszahnarztes mit medizinischen und zahnmedizinischen Fachvertretern sowie Werkstoffwissenschaftlern bleibt das in der Regel gute Zahnarzt-Patienten-Verhältnis erhalten. Der Gesamtaussagewert der ausführlichen Diagnostik wird durch die externe Kompetenz weiter erhöht. Am Ende steht eine Therapieempfehlung für den praktischen Zahnarzt. Kritisch müssen die teilweise langen Diagnosezeiten angemerkt werden. Ein Feedback im Sinne einer nochmaligen Vorstellung des Patienten nach der Neuversorgung ist nur selten gegeben. Abschließend wurde mit dem Hinweis, Schlagzeilen der „Yellow press“ und reißerisch angepriesenen Neuentwicklungen kritisch gegenüberzustehen, ein ernstes und komplexes Thema abgerundet.
ZA Stephan JacobyPoliklinik für Zahnärztliche ProthetikUniversitätsklinikum „Carl Gustav Carus“01307 DresdenFetscherstr. 74