Das Gläschen in Ehren

Frauenproblem Alkohol

Im Umgang mit Alkohol hat unsere Gesellschaft erstaunliche Methoden der Verdrängung entwickelt: Es wird beschönigt („einem guten Tropfen nicht abgeneigt“), verniedlicht („ein Gläschen in Ehren“) oder abgestritten („ich trinke ja nur Bier“). Gleichzeitig werden Gelegenheiten geradezu erfunden, um sich mit Alkohol zu betäuben: Frühschoppen dienen zur Entspannung am Sonntag, Volks- oder Schützenfeste sind Anlass zum Rauschtrinken und moderne Sitten wie die „Happy Hour“ am Feierabend, die „After-work-Party oder das TGIF (Thanks God, it’s friday) bieten willkommenen Grund zum Trinken und dies immer häufiger auch für Frauen.

Dabei ist für ein Bagatellisieren der Risiken wahrlich kein Grund vorhanden. Alkoholismus ist in Deutschland das größte sozialmedizinische Problem. Rund 1,5 Millionen Deutsche sind regelrecht alkoholkrank, davon etwa 1,2 Millionen Männer und 300 000 Frauen. Weitere vier Millionen gelten als akut gefährdet. Und der Anteil der Frauen wächst: Noch vor einer Generation betrug das Verhältnis zwischen trinkenden Männern und Frauen zehn zu eins, es hat sich heute auf drei oder sogar zwei zu eins verkürzt.

Die in Hamm beheimatete Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen DHS nennt genaue Zahlen: „Insgesamt trinken 17,8 Prozent der Deutschen (23,6 Prozent der Männer und 11,7 Prozent der Frauen) im Mittel mehr als 20/30 Gramm Reinalkohol pro Tag. Dies entspricht 8,5 Millionen Menschen, davon 5,8 Millionen Männer und 2,7 Millionen Frauen.“

Der rapide wachsende Anteil der Frauen ist umso bedenklicher, als Frauen nach Erkenntnissen der Wissenschaft auf Alkohol wesentlich sensibler reagieren, ihn also schlechter vertragen als Männer. Die Ursache liegt in einem Enzym, das seine Aktivitäten bereits in der Magenschleimhaut entfaltet. Es heißt Alkohol-Dehydrogenase und arbeitet bei Frauen offenbar nur mit halber Kraft oder noch träger. Normalerweise sorgt dieses Enzym dafür, dass ein Teil des Alkohols schon im Magen entschärft wird, also noch bevor er ins Blut gelangt und damit in den Kopf steigt. Und auch bevor er mit dem Blut zur Leber transportiert wird, um dort dann weiter entsorgt zu werden.

Frauen reagieren anders auf Alkohol

Durch die eingeschränkten Aktivitäten der Alkohol-Dehydrogenase bei Frauen wird in ihrem Magen weniger Alkohol abgebaut, die Promillewerte steigen deshalb bei ihnen schneller an. Das ist die erste Benachteiligung. Die zweite ist: Die Leber der Frauen wird bei gleichen Mengen Alkohol – also wenn sie genauso viel oder genauso wenig getrunken haben wie Männer – mit einer höheren Konzentration belastet. Das nimmt die Leber übel und reagiert häufiger als bei Männern mit Komplikationen, im schlimmsten Fall mit einer Leberzirrhose. Die Zahl der Leberzirrhosen hat sich in den letzten 30 Jahren bei Männern zwischen 25 und 45 Jahren verdoppelt, bei Frauen in der gleichen Altersgruppe dagegen verdreifacht.

Der Grenzwert

Noch vor nicht so langer Zeit galt als unschädliche Grenze für Männer pro Tag 60 Gramm, für Frauen 20 Gramm Alkohol. Heute legen die Fachleute wesentlich strengere Maßstäbe an. So konstatieren die Greifswalder Epidemiologen Dr. Christian Meyer und Professor Dr. Ulrich John im „Jahrbuch Sucht 07“ der DHS: „Eine aktuelle Analyse für Deutschland kommt zu dem Schluss, dass die Grenzen für einen gesundheitlich tolerierbaren Alkoholkonsum bei einem täglichen Konsum von 10 bis 12 Gramm (entsprechend etwa einem kleinen Glas Bier) für Frauen und 20 bis 24 Gramm für Männer (entsprechen etwa einem Glas Wein) liegen.“

In Stammtischkreisen und unter Partygängern hält sich hartnäckig die Vorstellung, der Genuss von Alkohol würde lediglich die Leber und den Führerschein gefährden. Gequälte Sprüche wie: „Leber, duck Dich!“ oder „Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils!“ zeugen davon. Dabei werden neben der Leber noch eine ganze Reihe anderer Organe durch den Alkohol in Mitleidenschaft gezogen.

Nach Ansicht von Professor Dr. Helmut Seitz vom Krankenhaus Salem und der Universität Heidelberg, einem Mitglied des wissenschaftlichen Kuratoriums der DHS, sollten die genannten Grenzwerte vor allem im Hinblick auf die krebserregende Wirkung des Alkohols nicht überschritten werden.

Professor Seitz: „Chronische Alkoholzufuhr erzeugt ein erhöhtes Risiko für das Auftreten für Krebs im oberen Rachen- und Verdauungstrakt, das heißt in der Mundhöhle, im Rachen, im Kehlkopf, in der Kehle und in der Speiseröhre, der Leber, im Dickdarm und Mastdarm und in der weiblichen Brust. Etwa 5,2 Prozent aller Krebserkrankungen bei Männern und 1,7 Prozent bei Frauen sind auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückzuführen.“

Brustkrebs durch Alkohol

Nach Angaben von Professor Seitz steigt bereits bei einer täglichen Menge von 18 Gramm Alkohol – das sind etwas mehr als ein achtel Wein – das Risiko für Brustkrebs signifikant an. Durch zusätzliche zehn Gramm Alkohol, die pro Tag zugeführt werden, steigt das Risiko für Brustkrebs um 7,1 Prozent. Bei 50 Gramm Alkohol pro Tag ist das Risiko um 50 Prozent gesteigert.

Ein Wechsel vom Whisky oder Sekt auf das angeblich so gesunde Seniorengetränk Rotwein bringt leider keine Hilfe. Professor Seitz: „Die Substanz Alkohol und nicht der Typ des alkoholischen Getränks ist für dieses vermehrte Krebsrisiko verantwortlich. Die Mechanismen, die durch chronische Alkoholzufuhr zu einem erhöhten Krebsrisiko führen, sind wahrscheinlich in erster Linie auf Acetaldehyd, das erste Stoffwechselprodukt von Alkohol, zurückzuführen. Beim Brustkrebs scheint außerdem der durch Alkohol erhöhte Estradiolspiegel von Bedeutung zu sein. Ein erhöhter Estradiolspiegel stellt einen Risikofaktor für das Mammakarzinom dar. Bereits kleine Alkoholmengen steigern die Estradiolserumkonzentration um 30 bis 40 Prozent“.

Verführung durch Medien und Promis

Die Verniedlichung des Alkoholproblems mag zum Teil daran liegen, dass mit dem Genussgift Alkohol viele Arbeitsplätze verbunden sind: In der Bierindustrie, im Weinbau, in den Gaststätten. Auch der Staat erzielt einen beträchtlichen Teil seiner Einnahmen mithilfe der Alkoholbesteuerung. Rund 3,4 Milliarden jährlich fließen daraus in die Staatskasse. Ein weiterer Grund für die Verdrängung könnte jedoch sein, dass auch die sogenannten Multiplikatoren der öffentlichen Meinung, nämlich Journalisten, Künstler, Politiker und Promis häufig vom Alkoholproblem betroffen sind.

Selbst Ärzte bilden keine Ausnahme. Nach aktuellen Schätzungen sind in Deutschland rund 8300 Ärzte alkoholabhängig. Der Diepholzer Arzt und Psychotherapeut Dr. Helmut Brammer fand für die Situation drastische Worte: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Hochhäuser und Brücken von Alkoholikern gebaut werden, dass Alkoholiker den Verkehr regeln, unsere Kinder unterrichten, auf Universitäten lehren und in Kirchen Gottes Wort predigen. Sogar die medizinische Behandlung kann in der Hand des alkoholkranken Arztes liegen. Vielleicht greift gar der Richter, der Trunkenheitsdelikte verurteilt, selbst zur Flasche“.

Dazu ein Beispiel: Ein etwa 70 kg schwerer Mensch erreicht einen Promillewert von 1,0, wenn er rund 50 g reinen Alkohol zu sich nimmt. Vollbier enthält zwischen 35 und 45 g Alkohol pro Liter, in einem Liter Wein sind 80 bis 100 g Alkohol enthalten und auf einen Liter Sekt kommen ebenfalls rund 100 g Alkohol. Wer am Abend einen Liter Wein getrunken hat, dürfte also zwischen 1,3 und 1,5 Promille erreicht haben.

Der Abbau von Alkohol wird weder durch Kaffee noch irgendwelche Ernüchterungsmittel verbessert. Es werden pro Stunde nur etwa 0,1 Promille Alkohol abgebaut. Das bedeutet: Wer um Mitternacht mit 1,5 Promille ins Bett geht, hat beim Aufstehen um sieben Uhr am nächsten Tag immer noch 0,8 Promille im Blut! Untersuchungen haben außerdem ergeben, dass die Fahrleistungen von Autofahrern nach einem feuchtfröhlichen Abend auch dann noch eingeschränkt sind, wenn der Blutalkohol bei null angelangt ist. Verkaterte Fahrer bieten eine um 20 Prozent schlechtere Leistung als sie normalerweise haben.

Katerprophylaxe

Um einem Alkoholkater am nächsten Morgen vorzubeugen, sollte man folgende Punkte beachten:

• Wer schnell trinkt, wird schneller betrunken. Fünf Biere, auf vier Stunden verteilt, führen zu niedrigeren Promillewerten, als in einer Stunde getrunken.

• Besonders schnell wird Alkohol aufgenommen mit warmen Getränken (zum Beispiel Grog, Irish Coffee), mit süßen Getränken (beispielsweise Cocktails oder Liköre) und mit kohlensäurehaltigen Getränken (zum Beispiel Sekt).

• Verzögert wird die Alkoholaufnahme durch milch- und eiweißreiche Mahlzeiten, fettreiche Mahlzeiten und faserstoffreiche Mahlzeiten. Wer eingeladen ist, sollte deshalb schon zu Hause ein belegtes Brot mit Wurst oder Käse essen, um dem Begrüßungsgetränk seines Gastgebers nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.

Lajos SchöneGerstäckerstr. 981827 München

 

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.