Peripheres Riesenzellgranulom mit zentraler Kalzifikation
Ein 55-jähriger Patient stellte sich mit einer knochenharten, gut 2 x 1 x 1 Zentimeter durchmessenden, dem rechten Unterkiefer aufsitzenden Geschwulst vor. Er gab an, diese Raumforderung schon seit einiger Zeit gefühlt zu haben, konnte aber den Zeitraum nicht genau spezifizieren.
Bei der extraoralen Untersuchung fanden sich weder Asymmetrien, Schwellungen noch sonstige inspektorische Auffälligkeiten. Enoral zeigte sich ein teilweise fibrinös belegter, teilweise von glatter Schleimhaut bedeckter Tumor, der dem schüsselartig konfigurierten Unterkiefer aufsaß (Abbildung 1). Einen direkten Bezug zur Dentition oder Hinweise auf eine dentogene Ursache bei dem bis auf die Zähne 31, 32, 33, 34, 41, 42, 43 reduzierten Restgebisses ergaben sich nicht. Es bestand keine eingeschränkte Sensibilität des N. alveolaris inferior.
In der Röntgen-Übersichtsaufnahme (Abbildung 2) zeigte sich eine Osteolyse im Bereich des rechten, zahnlosen Unterkiefers und entsprechend dem klinischen Befund ein Weichgewebs-Schatten, der den rückgebildeten Kieferkamm deutlich überragte. In der CT-Darstellung (Abbildung 3) wird der umschriebene Tumor mit einer zentralen Verkalkungsstruktur deutlich erkennbar. Eine Probeexzision aus dem Befund in Lokalanästhesie führte nicht zu einer sicheren Diagnose, da von Seiten der Pathologie sowohl eine Neoplasie als auch eine granulomatöse Erkrankung diskutiert wurden.
Abbildung 5: Histologie Abbildung 5 a: Die Übersichtsvergrößerung (HE; Originalvergrößerung 100x) zeigt einen zentralen Bereich mit zahlreichen Riesenzellen und, durch eine fibröse Zone getrennt, die Mukosa. Abbildung 5b: Das radiologisch erkennbare Hartgewebe stellt sich als Knochengewebe allerdings ohne erkennbar lamellären Aufbau dar (HE; Originalvergrößerung 200x). Abbildung 5c: Die Detailaufnahme zeigt den typischen Aufbau der multiplen Riesenzellen (HE; Originalvergrößerung 400x). Das histologische Präparat wurde freundlicherweise von Dr. Hansen, Institut für Pathologie der Johannes Gutenberg-Universität (Direktor: Prof. Dr. Kirkpatrick) zur Verfügung gestellt.
Abschließend erfolgte daher die vollständige Entfernung der Läsion in Kurznarkose. Abbildung 4a zeigt den Aspekt des Resektates und Abbildung 4b den Anschnitt des Präparates. Schon klinisch wird dabei die basale Hartgewebszone erkennbar. Histologisch zeigte sich in der Übersicht (Abbildung 5a) eine an dieser Stelle von regulärem Plattenepithel bedeckte Läsion mit zahlreichen zentralen Riesenzellen in einem gefäßreichen mesenchymalen Stroma. In Abbildung 5b werden die Ossifikation und die deutlichen Hämosiderinablagerungen erkennbar. Die Detailaufnahme (Abbildung 5c) zeigt die Morphologie der Riesenzellen, die von der oberflächlichen Mukosa durch eine Zone fribrösen Bindegewebes getrennt sind. Damit ergab sich abschließend die Diagnose eines peripheren Riesenzellgranuloms (Riesenzell-Epulis).
Diskussion
Obwohl das periphere Riesenzellgranulom zu den häufigsten Gewebevermehrung der Mundhöhle zählt [Bataineh and Al-Dwairi, 2005], ist die Pathogenese dieser Läsionen nicht abschließend geklärt. Periphere Riesenzellgranulome könne in jedem Alter auftreten, allerdings liegt eine gewisse Häufung um das fünfte und sechste Lebensjahrzehnt. Im Gegensatz zum Riesenzelltumor des Knochens (Altersgipfel zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr), der als echte Neoplasie zu betrachten ist [Barnes et al., 2005], wird das periphere Riesenzellgranulom heute ganz überwiegend als nicht neoplastische, traumatisch irritativ verursachte Läsion verstanden. Allerdings ist der Zusammenhang zu einem ursächlichen mechanischen Phänomen, zumindest anamnestisch, häufig nicht herzustellen. Auch für die Charakterisierung als „reparatives Granulom“ lassen sich keine durchgehenden Belege finden [Neville et al., 2002].
Von der rein deskriptiven Seite wird das periphere Riesenzellgranulom traditionell als Epulis gigantocellularis angesprochen, wobei der Begriff der „Epulis“ lediglich eine topographische Zuordnung ist (zahntragende Kieferabschnitte zumeist im Bereich der Interdentalpapille) und zunächst keine Rückschlüsse auf Ätiologie und Dignität erlaubt. Im vorliegenden Fall lag tatsächlich kein unmittelbarer Bezug zur Rest-Dentition des Patienten vor, und auch die Zahnentfernungen der betreffenden Region lagen viele Jahre zurück.
Untypisch für die Diagnose einer Riesenzellepulis war im vorliegenden Fall vor allem die extrem harte Konsistenz und die recht deutliche und vor allem nach distal unscharfe Osteolyse. Beide Phänomene ließen initial auch an ein Osteosarkom denken, zumal die anamnestischen Angaben wenig verlässlich erschienen und die deutliche Ossifikation in dieser Ausprägung nicht typisch für eine Riesenzellepulis war.Beim peripheren Riesenzellgranulom besteht die Therapie der Wahl in der lokalen Exzision, wobei eine Entfernung in zahnlosen Kieferabschnitten im Allgemeinen völlig unproblematisch ist. Im Bereich des Parodonts empfiehlt sich eine ergänzende Kürettage als primäre Maßnahme, wobei auch bei sorgfältiger Entfernung mit einer Rezidivrate um zehn Prozent gerechnet werden muss.
Für die zahnärztliche Praxis soll der Fall auf die Tatsache hinweisen, dass periphere Riesenzellgranulome nicht nur unter dem klassischen Bild der zahnbezogenen Epulis auftreten, sondern auch den zahnlosen Kieferabschnitt betreffen können. In dieser Lokalisation sind sie von ihrer klinischen Morphologie etwas variantenreicher und können, wie im vorliegenden Fall, sowohl den Kliniker als auch den Pathologen zunächst vor diagnostische Probleme stellen.
Dr. Peer KämmererKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Johannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainzkaemmerer@mkg.klinik.uni-mainz.de Prof. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastischeGesichtschirurgieKnappschaftskrankenhausBochum Langendreer,UniversitätsklinikRuhr Universität BochumIn der Schornau 23-2544829 Bochummartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de
Literatur:Barnes, L., Eveson, J., Reichart, P. andSidransky, D., Pathology and genetics ofTumours of the Head and neck, IACR Press,Lyon (2005). Bataineh, A. and Al-Dwairi, Z.N., A Survey ofLocalized Lesions of Oral Tissues: A ClinicopathologicalStudy. J Contemp Dent Pract, 3,30-39 (2005). Neville, B.W., Damm, D.D., Allen, C.M. andBouquot, J.E., Oral & Maxillofacial Pathology,2. ed., W.B. Saunders, Philadelphia (2002).