AOK-Vertrag zur Hausarztversorgung

Schwer erschüttert

Als erste Kasse hat die AOK Baden-Württemberg die gesamte hausärztliche Versorgung bundesweit ausgeschrieben. Mit der Entscheidung bebt die GKV-Landschaft: KBV nebst KVen gehen leer aus, den Zuschlag erhalten der Hausärzteverband und die Ärztegenossenschaft Medi. Während sich die AOK von dem Vertrag und speziell ihren Partnern mehr Behandlungsqualität verspricht, sieht KBV-Chef Andreas Köhler darin einen „schwarzen Tag für Patienten und Ärzte“.

Das Auswahlverfahren sorgte im ganzen Land für Schlagzeilen, denn zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik organisierte eine gesetzliche Kasse die medizinische Versorgung an den KVen vorbei. Waren bisher qua Gesetz ausschließlich letztere Vertragspartner der Krankenkassen, machte die Gesundheitsreform den Weg frei für Selektivund Direktverträge. Dies sei ein Beispiel dafür, dass die wettbewerblichen Impulse der Gesundheitsreform erste Früchte tragen, urteilt Kanzlerin Angela Merkel.

Zwangsjacke statt Wettbewerb

Gegen mehr Wettbewerb hat die KBV grundsätzlich gar nichts einzuwenden. Im Gegenteil, nach eigenen Worten begrüßt sie sogar einen Weg in diese Richtung. Die jetzige Entwicklung sieht sie jedoch kritisch: Der AOK-Vertrag bringe deutliche Nachteile, sollte er ohne die Beteiligung der KVen zustande kommen. Nachteile, die Ärzte und Patienten gleichermaßen zu spüren bekämen.

Konkret befürchtet die KBV, dass die Direktverträge die freie Arztwahl und die Therapiehoheit aushebeln. „Eine freie Arztwahl, Behandlung für alle gesetzlich Versicherten ohne Rechnungsstellung, die Therapiehoheit der Ärzte – viele Errungenschaften, die unser kollektivvertragliches System auszeichnen und um die uns andere Länder beneiden, bleiben durch solche Kassen-Knebelverträge auf der Strecke“, warnte Köhler schon im Vorfeld. Das angeblich maßgeschneiderte Vertragsangebot einzelner Kassen für bestimmte Versorgungsformen sei in Wahrheit eine Zwangsjacke für Ärzte und Patienten. Die flächendeckende vertragsärztliche Versorgung werde massiv gefährdet, sollte der Vertrag ohne KV-Beteiligung zustande kommen und sollten die Kassen Mittel aus der Gesamtvergütung abziehen.

Genau das aber ist geschehen: Zwar reichte die KBV samt der Arbeitsgemeinschaft Vertragskoordinierung (ARGE), ein Zusammenschluss von 14 KVen und der KBV, die Bewerbung ein. Der Zuschlag ging jedoch letztlich an Medi und den Hausärzteverband Baden-Württemberg. „Wir haben uns für die beiden Arztgruppen entschieden, weil deren Konzepte sehr überzeugend und gegenüber den anderen Angeboten herausragend sind. Außerdem können beide Organisationen zusammen eine flächendeckende, qualitative Versorgung durch Hausärzte sicherstellen“, erklärte der Vorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Dr. Rolf Hoberg. „Außer ihnen kann unserer Meinung nach kein weiterer Anbieter die in der Ausschreibung geforderten inhaltlichen und gesetzlichen Vorgaben erfüllen.“

Ein Signal gegen die KVen

Für die KBV ist die Entscheidung der AOK dagegen vor allem eins: ein Signal kontra das KV-System. „Das ist ein schwarzer Tag für Patienten und Ärzte“, erklärte der KBVChef. Dabei geht es nicht nur um die verlorene Macht der KVen. Indem die AOK am KV-System vorbei agiert, verhandelt sie nämlich zugleich über den kompletten Aus-stieg der beteiligten Hausärzte aus dem Kollektivvertragssystem. Gegenfinanzieren will man durch Gelder aus der bereinigten Gesamtvergütung, also durch Abzüge aus dem Topf für alle niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten. Dass derartige Verträge der Anfang vom Ende des KV-Systems und des Kollektivvertrags sind, hatte Köhler bereits Anfang Dezember auf der VV der KBV klar gestellt.

Während Köhler die Ärzte zudem vor den finanziellen Risiken warnt, behauptet die AOK, die Vergütung der hausarztzentrierten Versorgung werde höher sein als die Regelvergütung. „Als begrüßenswert und richtig“ bezeichnete auch der NAVVirchowbund die Entscheidung der AOK.

„Statt ausgetretene Wege zu gehen, beweist die Kasse Mut zu neuen Lösungen. Nicht die KVen haben aus alter Gewohnheit den Zuschlag erhalten, sondern diejenigen, die mit dem besseren Konzept überzeugen konnten“, sagte ihr Vorsitzender Klaus Bittmann.

Ende der freien Arztwahl

Die KBV wies freilich darauf hin, dass sich „entgegen anderslautender Behauptungen sehr wohl einiges für Patienten ändern würde, wenn solche Verträge ohne KVen abgeschlossen werden“. Zum Beispiel, dass ein Patient nicht einfach außerhalb der Grenzen von Baden-Württemberg mit seiner Chipkarte Ärzte aufsuchen könne. Vielmehr müsste er bei einem Arztbesuch in Hamburg in Vorleistung treten und sich die Kosten von der AOK erstatten lassen.

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