Kritik am deutschen Gesundheits-„Drama“
Die Warnung, die der KZBV-Vorstand gegen das laut Bundeskanzlerin Merkel „wichtigste Projekt dieser Legislaturperiode“ – den Gesundheitsfonds – vor den Delegierten der Vertreterversammlung aussprach, war deutlich. Er sei „nichts anderes als ein Globalbudget, der Weg in die Einheitsversicherung“, begründete KZBV-Vorsitzender Dr. Jürgen Fedderwitz den vom Vorstand gegen den geplanten Fonds eingebrachten Beschluss. Einstimmig forderten die Delegierten folgerichtig von der Bundesregierung, „den Gesundheitsfonds auszusetzen“. Schließlich gelte als sicher, dass er „zu höheren Kassenbeiträgen bei gleichzeitig reduzierten medizinischen Leistungen führen würde“. Alternative zu dieser Art zusätzlicher Bürokratie und Zentralismus sei „die Förderung föderaler Strukturen im Gesundheitswesen“. Politische Zeichen, dass der Fonds noch gestoppt werden könne, so die Analyse des Vorstandes, seien allerdings trotz allseits ausgesprochener Mahnungen und analytischer Hinweise derzeit nicht erkennbar.
Warnung vor Fremdbestimmung
Lichtblicke am Horizont staatlicher Gesundheitspolitik vermochte der KZBV-Vorsitzende in seinem Bericht an die Delegierten – bis auf die Aussicht auf Abschaffung der 68er-Regelung – nicht auszumachen. Eher gebe es viele Belege, „dass es in den letzten Jahren zu einem Strukturwandel gekommen ist“. Beispielsweise nähmen nahezu alle derzeit diskutierten Selektivverträge und Korbmodelle „Patientenkollektive mit“, obwohl sämtliche Reformgesetze seit Seehofer mit den KZVen als Gewährleister des Sicherstellungsauftrages umgesetzt wurden. In dieser Hinsicht würden die zahnärztlichen Selbstverwaltungen nach wie vor genutzt.
Unsicherheit gebe es auch auf anderem Gebiet: Die aktuelle Diskussion innerhalb der privaten Krankenversicherungen und ihr interner Streit um Voll- oder Zusatzversicherungen habe nicht gerade zur Vertrauensbildung gegenüber den PKVen beigetragen. Dennoch hat der KZBV-Vorstand seine Haltung, die Verhandlungen mit der PKV in Sachen „Basistarif“ fortzusetzen, auch nach den Gesprächen mit Bundeszahnärztekammer und Freiem Verband erneut bekräftigt: „Die Verhandlungen ... sind im Wesentlichen von der absoluten und verständlichen Unkenntnis der PKV von der vertragszahnärztlichen Versorgung, vom Bema, von gesetzlichen Regelungen in diesen Bereich geprägt. Sie würden, würde das die PKV alleine gestalten, ... zweifelsfrei in ein Chaos vertraglicher wie auch versorgungstechnischer Art führen“, erklärte das für die Verhandlungen mit der PKV zuständige Vorstandsmitglied Dr. Wolfgang Eßer. Bisher sei es gelungen, für den Fall einer Vertragslösung hier einen bilateralen Weg zwischen PKV und Zahnärzteschaft – ohne KBV – zu gehen. Ein Erfolg, so Eßer, weil damit die Regelungen, die im KV-Bereich „unerträglich gestaltet werden sollen, den Zahnärzten nicht übergestülpt werden“.
Der Kurs der KZBV sei in dieser Frage, so auch Eßers Vorstandskollege Fedderwitz, eindeutig. Auf dem Weg der von der Politik angestrebten Konvergenz müsse es darum gehen, „so viele PKV-Elemente wie möglich, so wenig GKV wie nötig“ zu erreichen: „Wir wollen den Basistarif so unattraktiv wie möglich machen. Wir wollen allerdings für den Zahnarzt so viel Freiräume wie möglich erhalten. Und wir wollen den Gang zur Schiedsstelle vermeiden. Unser Weg ist durchdacht, und er ist ohne Alternative.“ Insbesondere die Ablehnung der Beschwerde von Zahnärzten durch das Bundesverfassungsgericht erinnere in seinen Ausführungen daran, dass die KZVen und die KZBV in diesem nicht GKV-vertragszahnärztlichen Bereich einen Sicherstellungsauftrag haben, „den wir erfüllen müssen“. Denn auch wenn es, so zeigte man sich in der ausführlichen Diskussion um das Thema einig, für den Zahnarzt keine Behandlungspflicht gebe, setze jede einzelne Beschwerde die KZVen unter Zugzwang, entsprechende Sicherstellungskonzepte umzusetzen. Folglich gehe an konkreten Maßnahmen kein Weg vorbei. Fedderwitz warnte aber auch, dass alle diesbezüglich einschränkenden Lösungen darauf hinausliefen, dass „wir unser angeblich höchstes Gut, die freie Arztwahl, mit dem wir all unsere politischen Argumente unterfüttern, ... zum politischen Tauschgeschäft machen“.
Besorgt äußerte sich der KZBV-Vorsitzende auch über die durch die Gesundheitsreform bedingte Umstrukturierung des Gemeinsamen Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen: „Meine Befürchtung ist, dass spezifisch zahnärztliche Anliegen in diesem Gremium hinten runterfallen werden.“ Das mit einer sektorenübergreifenden Leistungserbringer-Bank besetzte Beschlussgremium, das den Zahnärzten nur noch eine Stimme gewähre, berge die Gefahr, dass sie insgesamt weniger gehört, aber auch, dass den Besonderheiten der vertragszahnärztlichen Versorgung nicht mehr ausreichend Rechnung getragen werde. Fedderwitz warnte vor zunehmender Fremdbestimmung und einer zunehmenden Verhinderung vernünftiger und sachgerechter Arbeit durch zunehmenden Bürokratismus.
eGK: mit Peitsche und Scheuklappen
Auch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) bildet hier keine Ausnahme. KZBV-Vorstandsmitglied Dr. Günther E. Buchholz stellte klar, dass der für die Region Nordrhein geplante „Basisrollout“ der Karte „ausschließlich das Auslesen der Versichertenstammdaten“ vorsehe. Damit leiste die eGK nicht mehr als das, was auch die heutigen Krankenversichertenkarten ermöglichen. Dennoch werde der Basisrollout von BMG und gematik vorangetrieben. Die Auswahl Nordrheins als erste Einführungsregion beruhe auf dem ohne Rücksprache mit der Landes- oder Bundes-KZV erfolgten Engagement der für die Region zuständigen KV. Gemeinsam hätten KZV und KZBV aber erreicht, dass die ursprünglichen Planungen entschärft und praxisnäher gestaltet werden. Buchholz: „Ziel ist, die gematik dazu zu bewegen, dass sämtliche Praxen bundesweit flächendeckend für das Einlesen der eGK ausgestattet werden, bevor mit dem Rollout der Karte begonnen wird.“
Zur Vorbereitung der Rahmenbedingungen gehören nach Auffassung der KZBV nicht nur die Finanzierungsvereinbarung, sondern auch die Online-Fähigkeit der Karte, die Berücksichtigung der Evaluierungsergebnisse der Testverfahren und die bundesweit flächendeckende Ausstattung der Praxen vor Beginn der eGK-Ausgabe, auch wenn Politik und gematik massiv versuchten, diese Rahmenbedingungen aus Zeitgründen abzuschwächen oder zu missachten.
Was die Refinanzierung der Kosten betrifft, hätten die Spitzenverbände im April das Bundesschiedsamt angerufen. Hier sei eine Entscheidung anhängig, die sich noch hinziehen könne. Trotz der von BZÄK und KZBV geäußerten grundsätzlichen Bedenken werde der Einführungsprozess auch gegen die ausdrückliche Expertise der Heilberufe von der gematik unter fachlicher Weisung des BMG weiter vorangetrieben – „mit Peitsche und Scheuklappen“. In einer anschließend mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution lehnten die VV-Delegierten – analog zu den auf dem diesjährigen Ärztetag beschlossenen Positionen, insbesondere den Prüfsteinen für die eGK – den Basisrollout ab. Allerdings solle der KZBV-Vorstand angesichts der von BMG und gematik aufrechterhaltenen Umsetzungspläne darauf hinwirken, dass „die mit der Einführung der Karte verbundenen Aufwände und Probleme in den Zahnarztpraxen so gering wie möglich bleiben und die Praktikabilität der Abläufe so weit wie möglich gewahrt bleibt“.
Kollektiv und selektiv
Gemäß Auftrag der letzten VV, sich mit Konzepten zu befassen, die die strategische Ausrichtung der KZBV auf der Sachlage der Veränderungen durch die Gesundheitsreform abfordert, stellte Vorstandsmitglied Dr. Wolfgang Eßer Denkmodelle für eine Vorsorge gegen künftig mögliche Krisen im Vertragsmarkt auf.
Die Zukunft der KZVen sei, so Eßer in seinen Ausführungen, eng mit dem Kollektivvertragssystem verbunden. Vom Gesetzgeber ermöglichte Selektivverträge an den KZVen vorbei ließen zweifeln, ob auf diesem Weg „auf Dauer Versorgungssicherheit und Planungssicherheit für den Zahnarzt erreicht werden kann“. Um so dringlicher sei es, „eine Klammer zu schaffen, die die Versorgung zusammenhält“. „Ziel ist es, die Interessen der Vertragszahnärzte zu stärken, die Erfahrungen des KZV-Systems zu bündeln und eine Aushöhlung der vertragszahnärztlichen Versorgung zu verhindern“, erläuterte Vorstandsmitglied Eßer. Bei entsprechenden Konzepten müsse es deshalb darum gehen, „das Kollektivvertragssystem zu erhalten, es moduliert weiterzuentwickeln und die Vertragszahnärzteschaft vor einer Zersplitterung zu bewahren“. Gerade um das Kollektivvertragssystem zu erhalten, sei es aber erforderlich, dass die Vertragszahnärzteschaft „auch in einem zweiten Markt, der durch das Selektivvertragssystem geprägt sein wird“, Präsenz zu zeigen. Hier gelte es, „frühzeitig Allianzen zu bilden, um „als Vertragszahnärzte nicht zu ‘Subunternehmern’ der Kassen zu werden“. Es gehe darum, der Zahnärzteschaft einen einheitlichen Übergang in eine stärker wettbewerblich geprägt ambulante zahnärztliche Versorgung zu ermöglichen, die betriebswirtschaftliche Basis für die Praxen zu erhalten und den Kassen „mit gleich langen Spießen“ entgegentreten zu können.
Spätestens 2009 werde sich zeigen, dass die Krankenkassen das Instrument der Selektivverträge nutzen werden. Eine konzeptionelle Vorbereitung auf diese neue Kassenwelt erfordere es, die Geschicke in der Hand zu halten. Hierfür müssten, so führte Eßer aus, Migrationsmodelle bereitgehalten werden, um „die Interessen unseres Berufsstandes zu bewahren, zu vertreten und mit vereinten Kräften Bewährtes zu retten. KZBV und KZVen, so zeigte es die Diskussion der Delegierten, werden sich mit der weiteren Konkretisierung dieser Grundsatzkonzepte befassen müssen.