Das Damoklesschwert abwenden
In den letzten Monaten häufen sich Medienberichte über „Pfusch“ von Ärzten; nicht nur die Boulevardpresse bedient das Klischee vom „Halbgott in Weiß“, dem man misstrauen sollte. Dabei stehen die „Halbgötter“ gar nicht so schlecht da: Es kommt noch nicht einmal bei einem Prozent der ärztlichen Behandlungen zu Fehlervorwürfen – eine Quote, von der andere Berufe nur träumen können.
Fatale Fehlentwicklung
In den Medien wird jedoch ein ganz anderer Eindruck vermittelt. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass Fehler von Ärzten meist gravierendere Folgen haben als jene von Verwaltungsbeamten.
Die ersten negativen Folgen der größeren Bereitschaft von Patienten, den Arzt wegen eines angeblichen Behandlungsfehlers in Anspruch zu nehmen, sind bereits erkennbar. Und zwar bei den Haftpflichtversicherern: Viele von ihnen erhöhen die Prämien, nicht selten wird dem betreffenden Arzt nach einem Haftungsfall gekündigt, das heißt, er muss bei einem anderen Assekuranzunternehmen einen Vertrag abschließen – meist mit einer höheren Prämie. Da keine Versicherung verpflichtet ist, mit einem konkreten Arzt eine Haftpflichtversicherung einzugehen, ist es nicht ausgeschlossen, dass einzelne Ärzte ganz ohne Versicherung bleiben. Und nach dem Berufsrecht dann ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfen.
Bei einigen medizinischen Fachdisziplinen, namentlich der Chirurgie und der Gynäkologie, hat der Haftpflichtversicherungsschutz schon maßgeblichen Einfluss auf das Leistungsspektrum: Regelmäßig führen niedergelassene Gynäkologen keine Geburten mehr durch, weil sie die entsprechende Versicherungsprämie nicht bezahlen können.
Weg in die Defensivmedizin
Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Behandlungsverhalten von der Angst vor einem Haftungsprozess beeinflusst wird. So könnten Zahnärzte etwa auf die Idee kommen, keine langwierigen, risikoreichen und verhältnismäßig schlecht bezahlten Wurzelbehandlungen vorzunehmen, sondern den Zahn zu ziehen. Ein anderes Beispiel für eine solche Defensivmedizin wäre die Eingliederung einer Vollkrone statt eines anspruchsvollen Zahnaufbaus mit Adhäsivtechnik.
Haftungsprozesse belasten. Auch, wenn der Zahnarzt am Ende gewinnt. Solche Prozesse dauern oft Jahre und zehren an den Nerven. Der Zeitaufwand kommt hinzu: Regelmäßig wird der Rechtsanwalt, der den Zahnarzt vertritt, Rücksprache halten müssen, der Zahnarzt muss sich entsprechend mit allen Schriftsätzen und Gutachten befassen. Schließlich laden die Gerichte meist beide Parteien zu den mündlichen Verhandlungen – die regelmäßig während der Praxiszeiten stattfinden. Ergo hat der Zahnarzt auch noch einen Umsatzausfall.
Die Angst vor dem Haftungsrisiko dürfte einer der Gründe sein, warum junge Zahnärzte zunehmend vor einer Niederlassung zurückschrecken und sich lieber anstellen lassen. Insbesondere Humanmediziner gehen noch einen Schritt weiter und werden nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung lieber im Ausland ärztlich tätig oder gehen in die Forschung.
Kurz: Wenn die skizzierte Entwicklung so weitergeht, ist eine gute medizinische Versorgung in Deutschland, insbesondere durch niedergelassene Ärzte, gefährdet.
Gegenstrategie angesagt
Eine Gegenstrategie seitens der Ärzteschaft wäre, sich in kluger Weise an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen. Es spricht nichts dagegen, auch öffentlich einzuräumen, dass Ärzte Fehler machen können. Einen anderen Anschein zu erwecken, würde nur zu Unglaubwürdigkeit führen. Deshalb war es klug, dass die Ärzteschaft vor Kurzem von sich aus mehr Transparenz ankündigte und wenigstens in Ansätzen auch schon praktiziert (siehe Titelgeschichte zm 5/2008).
Ob dieser Weg erfolgreich sein wird, hängt davon ab, ob die Beteiligten eine angemessene Fehlerkultur herbeiführen werden. Ärzte müssen sich zu ihren Fehlern bekennen. Ihre Vorgesetzten, Patienten, die Medien und die Justiz müssen sich aber auch entsprechend verhalten. Stellen nämlich Ärzte fest, dass ihre Ehrlichkeit mit einer Medienkampagne gegen sie oder mit juristischen Konsequenzen beantwortet wird, werden sie sich künftig überlegen, ob sie diese Ehrlichkeit fortsetzen wollen.
Zwischen Wunsch und Notwendigkeit
Auch der einzelne Zahnarzt kann dazu beitragen, das Haftungsrisiko zu verringern. Der wichtigste Ratschlag lautet schlicht: Sorgfältig arbeiten! In Haftungsprozessen ist immer wieder zu erleben, dass unklare Befunde nicht röntgenologisch abgeklärt wurden oder konsequent an einer „Taschenentzündung“ festgehalten wird, obwohl der Zahn tief kariös war oder eine Pulpitis aufwies. Es sollte folgende Faustregel gelten: Wenn die vorgenommene Therapie nicht in angemessener Zeit Erfolg hat, sollte man unbedingt die zugrunde liegende Diagnose überprüfen und zum Beispiel röntgen.
Zunehmend ist ein anderer Fehler zu beobachten: Es werden auf Drängen des Patienten nicht indizierte Behandlungen durchgeführt. Dahinter steht meist die Aussage des Patienten, die vorgeschlagene Behandlung könne oder wolle er nicht bezahlen.
Sofern eine billigere Behandlung medizinisch vertretbar ist, muss diese selbstverständlich auf Wunsch des Patienten vorgenommen werden. Keinesfalls sollte man jedoch zum Beispiel statt der eigentlich notwendigen sechs Implantate nur vier inserieren, um dem Patienten Kosten zu sparen. Es hilft im Übrigen wenig, wenn man beweisen kann, dass man dem Patienten gesagt hat, dass die betreffende Behandlung nicht so gut sei, der Patient aber später behauptet, der Zahnarzt habe ihm nicht eindeutig erklärt, dass die von ihm gewünschte Behandlung nicht nur etwas schlechter, sondern ungeeignet ist. Ähnliche Fehler, wie zu wenige Implantate, sind überspannte Brücken oder die Verwendung von ungeeigneten Zähnen als Anker, um dem Patienten noch festsitzenden Zahnersatz zu ermöglichen.
Manche Gnathologen werden es nicht gerne hören, aber es ist eine sichere Erfahrung aus vielen Haftungsprozessen: In vielen Behandlungsfällen, die Gegenstand eines Gerichtsverfahrens werden, wurden Bisserhöhungen, insbesondere in Abrasionsgebissen, vorgenommen. Das bedeutet nicht, dass Bisserhöhungen immer falsch sind, aber es bedeutet, dass man mit solchen Behandlungen besonders vorsichtig sein sollte. Übrigens hat es vielen Kollegen nicht geholfen, dass sie das ganze gnathologische Instrumentarium eingesetzt und die geplante Bisslage mit Langzeitprovisorien erprobt haben. Offenbar werden Bissänderungen von vielen Patienten nicht toleriert.
Die Sicht des Patienten
Eine Erfahrung aus vielen Haftungsprozessen ist auch: Es gibt Patienten, bei denen eine erhöhte Gefahr besteht, in einen Haftungsprozess verwickelt zu werden. Ein wichtiger Hinweis ist es, wenn der Patient den vorbehandelnden Zahnarzt kritisiert. Es ist dann ziemlich wahrscheinlich, dass er sich beim nächsten Behandler über den jetzigen ebenso äußern wird. Wenn dieser Patient nicht nur den letzten Behandler scharf kritisiert, sondern den jetzigen Zahnarzt schon nach kurzer Zeit über den grünen Klee lobt, ist dies ein zusätzliches Alarmzeichen.
Ebenso sollte man vorsichtig sein, wenn der Patient offenbar unter Stress steht. Solche Patienten haben eine geringere Adaptationsfähigkeit, eine an sich fachlich korrekte Behandlung kann bei ihnen fehlschlagen.
Mindestens die Hälfte der Haftungsprozesse wird nicht wegen eines vermeintlichen oder auch tatsächlichen Behandlungsfehlers begonnen, sondern wegen des Verhaltens des Zahnarztes, wenn der Patient mit der Behandlung unzufrieden ist. Leider kommt es immer wieder vor, dass sich Zahnärzte sehr unglücklich äußern. Sie bestreiten nicht nur rundheraus, dass ein Fehler begangen wurde, mitunter geschieht es sogar, dass sie den Patienten in ihrem Unmut beschimpfen.
Konflikte managen statt verstärken
Solche Reaktionen mögen manchmal durchaus verständlich sein, gerade wenn sich der Zahnarzt – besonders bei „schwierigen“ Patienten – viel Mühe gegeben hat und statt Dank und Anerkennung nun Kritik erntet. Dennoch ist ein solches Verhalten völlig unangemessen. Schließlich haben die meisten Patienten vor einer zahnärztlichen Behandlung erhebliche Angst und erwarten nicht zu unrecht vom Zahnarzt Einfühlungsvermögen. Wen wundert’s, wenn ein Patient auf ein derartiges Verhalten des Zahnarztes aggressiv reagiert.
Deshalb ist jedem Zahnarzt nur ein gutes Konfliktmanagement zu empfehlen. Hierzu seien die wichtigsten Punkte genannt:
• Falls der Patient unzufrieden ist, sollte man dessen Beschwerden nicht einfach zurückweisen, sondern selbstkritisch prüfen, ob nicht doch ein Fehler vorliegt. Sehr vorteilhaft ist es, wenn man einen Fachkollegen, zum Beispiel einen Partner der Gemeinschaftspraxis, bittet, sich den Fall anzusehen.
• Man sollte sich Zeit für ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten nehmen und dabei aktiv zuhören, also auch auf die Körpersprache achten und regelmäßig rückfragen, ob man den Patienten richtig verstanden hat. Das führt zum einen zum (Wieder-)Aufbau einer Vertrauensbasis, zum anderen werden auch Hintergründe oder gar Lebenskrisen offenbar, die für die Probleme mit dem Zahnersatz von Bedeutung sein können.
• Nachdem man dem Patienten längere Zeit zugehört hat, kann man auch die Erfolge der Behandlung darstellen („Die Krone sieht doch toll aus, die Empfindlichkeit werden wir in den Griff bekommen.“)
• Die Rechtsprechung gibt dem Zahnarzt ein Nachbesserungsrecht. Dieses sollte er nutzen und dem Patienten eine Korrektur des Zahnersatzes et cetera anbieten. Allerdings gilt: Änderungen werden nur vorgenommen, wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt. Keinesfalls aber werden entsprechend den Wünschen des Patienten eigentlich lege artis angefertigte Prothesen abgeschliffen. Wenn nämlich der Patient die wunschgerecht nachbearbeitete Prothese dem Gutachter präsentiert, ist dessen Beurteilung vorhersehbar.
• Wenn der Patient trotz aller Bemühungen nicht zufrieden und auch bei selbstkritischer Betrachtung kein Fehler mehr zu finden ist, sollte man einen Vergleich in Betracht ziehen: Der Zahnarzt verzichtet zum Beispiel auf den Eigenanteil, dafür verzichtet der Patient seinerseits auf alle anderen Ansprüche zum Beispiel Schmerzensgeld.
Dr. med. dent. Wieland SchinnenburgRechtsanwalt, Fachanwalt für MedizinrechtLerchenfeld 322081 HamburgZaraschinnenburg@aol.com