Kredit verkauft, Kunde verraten

Kleine Fische, große Haie

Das neue Jahr nutzen vorausschauende Zahnärzte zur Lösung eines akuten Problems: Da sie angesichts der 2007 verschärften Finanzkrise durchaus damit rechnen müssen, dass eventuelle Darlehen noch während der Laufzeit den Gläubiger wechseln, sorgen sie für diesen Fall vor. Sonst landen sie vielleicht im Haifischbecken.

Wachsender Preisdruck ausländischer Mitbewerber und das ungewisse Konjunkturklima sowie gesundheitspolitische Änderungen bereiteten Zahnarzt Wolfgang M. Sorgen: Seine Praxis bei Frankfurt zeigte eine unbefriedigende Umsatz- und Ertragsentwicklung. Zu diesen Sorgen gesellte sich überraschend eine weitere: Lapidar teilte ihm ein amerikanischer Finanzinvestor mit, dass er mit sofortiger Wirkung Gläubiger seiner Bankdarlehen sei und seine bisherige Hausbank damit nichts mehr zu tun habe. Damit hatte der Frankfurter Praxischef nun überhaupt nicht gerechnet. Noch schlimmer: „rein vorsorglich“ kündigte der Investor ihm an, zwei Darlehen zur Finanzierung der Praxisimmobilie würden zum Ablauf der nächsten Zinsbindung fällig gestellt.

Hintergrund ist, dass deutsche Banken und Sparkassen in Krisenjahren gerne milliardenschwere Kredite – vor allem für Immobilien – verkaufen, um die eigenen Bilanzen zu verbessern. Die Käufer erwerben die risikobehafteten Kreditpakete unter Wert. Langfristig verwalten wollen sie sie nicht. Die neuen Gläubiger interessieren sich vor allem für eins: für schnellen Profit.

Graue Jagdgründe

Der Zahnarzt war wie vor den Kopf gestoßen. Diese Informationen schienen ihm nicht nachvollziehbar. Für ihn war es bis dato unvorstellbar gewesen, dass ein Gläubigerwechsel überhaupt möglich wäre. Geschweige denn, dass Immobiliendarlehen ohne Rücksprache mit ihm als Kunden fällig gestellt werden können. Im Gegenteil: In der Vergangenheit hatte sich seine Bank immer sehr daran interessiert gezeigt, die jeweiligen Kreditverträge zu verlängern. Denn trotz der angespannten Finanzlage galt er als zuverlässiger Kreditnehmer. Es bestanden weder Zins- noch Tilgungsrückstände, die eine derartige Reaktion seiner Hausbank gerechtfertigt hätten.

Je nach Schätzung erreicht die Summe notleidender Immobilienkredite weltweit 250 Milliarden Euro. Doch nach einer Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen (iff) Hamburg für den Bundesverband Verbraucherzentralen verkaufen Banken keineswegs nur notleidende Kredite, sondern zwecks Aufhübschung des Gesamtpakets auch solche, die regulär zurückgezahlt werden. Und zwar ohne Zustimmung der Darlehnsnehmer. Seit 2003 haben laut iff Forderungen in Höhe von 15 Milliarden Euro die Gläubiger gewechselt. Die meist ausländischen Aufkäufer nutzten auf der Jagd nach Rendite die rechtlichen Grauzonen reichlich aus, berichtete der Berliner „Tagesspiegel“.

Abschied auf französisch

Die Hausbank verhielt sich still. Erst nach längerem Hin und Her erhielt M. von seinem zuständigen Filialleiter die recht vage Information, dass die Bank seit Längerem sogenannte „Kreditpakete“ bündele und diese mit entsprechenden Abschlägen an Finanzinvestoren abtrete. Bei den einzelnen Krediten innerhalb dieser Pakete handele es sich um mehr oder weniger notleidende Kredite, bei denen das Haus (angeblich) eine langwierige Abwicklung und Zwangsvollstreckung vermeiden wolle.

Ein typisches Vorgehen. Der Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (VZBV), Gerd Billen, kritisierte: Kreditinstitute mischten diesen Paketen Darlehen bei, die nicht als Problemkredite einzustufen seien. Billen appellierte deshalb bereits an die Bundesregierung in Berlin, diese umstrittene Praxis der Kreditverkäufe an Aufkäufer durch schärfere rechtliche Vorgaben zu unterbinden. Um Verbraucher zu schützen, wäre dringend gesetzlich zu klären, wann ein Darlehen offiziell als „notleidend“ eingestuft werden dürfe. Die Definitionen der Juristen variieren stark. Die einen meinen, das träfe schon zu, wenn sich lediglich der Wert der Sicherheit verschlechtert habe. Andere, wenn das Darlehen gekündigt wurde oder kündbar ist oder aber wenn sich der Schuldner im Verzug befinde.

Geheimnis ohne Siegel

Der Frankfurter Freiberufler fragte nach, ob ein solcher Kreditverkauf und die damit ja wohl verbundene Offenlegung seiner wirtschaftlichen Lage gegenüber dem Kreditkäufer überhaupt rechtens sei. Die Antwort über die Wahrung des Bankgeheimnisses blieb der Filialleiter ihm schuldig. Seine lapidare Auskunft beschränkte sich auf den Hinweis, für weitergehende Informationen müsse er sich unmittelbar an die Bankzentrale wenden. Der Zahnarzt schaltete einen Anwalt ein; ein Fachmann für Bankfragen sollte seine Rechte wahrnehmen. Als Stolperstein für Verbraucher, die sich wehren wollen, könne sich laut VZBV ein Urteil des Bundesgerichtshofs erweisen; der stellte im Februar 2007 (Az.: XI ZR 195/05) klar: Der Verkauf von Darlehen ist grundsätzlich auch ohne Zustimmung des Kunden wirksam.

Bevor der Kunde in dieser Situation auf der juristischen Schiene die Sachlage eruieren lässt, wäre er auf jeden Fall gut beraten, sich zunächst um den bevorstehenden Ablauf der Zinsbindung seiner beiden Darlehen zu kümmern. Hierzu sollte er Angebote anderer Banken für eine Umschuldung der Darlehensbeträge einholen.

Bleiben seine Bemühungen für eine Umschuldung ohne Erfolg, wird es eng: Er muss nach den Ankündigungen seines neuen Geschäftspartners wohl davon ausgehen, dass dieser es mit seiner Kündigungsandrohung ernst meint. Kommt es tatsächlich so weit, droht ihm im schlimmsten Fall die Zwangsversteigerung seiner Praxisimmobilie.

Anschluss ausgeschlossen

Der Zahnarzt unterstellte dem Finanzinvestor mittlerweile, sich nicht im geringsten für die Erhaltung der Praxis, sondern ausschließlich für die Verwertung der Immobilien zu interessieren. Endziel: eine möglichst hohe Verzinsung des Kaufpreises für das seinerzeit erworbene Kreditpaket

Der Freiberufler war aber keineswegs gewillt, sich mit der perfiden Zerstörung seines Lebenswerkes abzufinden. Zusätzlich zu dem Anwalt schaltete er parallel die Bankenaufsicht in Bonn ein und bat um entsprechende Unterstützung. Er sah nämlich nicht nur seine Praxis in Gefahr, er fragte sich darüber hinaus, ob das Bankgeheimnis bei derartigen Transaktionen nicht völlig ad absurdum geführt würde.

Umstritten ist dabei nach wie vor, ob und in welchem Umfang das Bankgeheimnis gewahrt bleibt, wenn kundenrelevante Daten durch kreditgebende Banken an potentielle Erwerber etwa zur Prüfung des jeweiligen Verkaufsangebotes weitergegeben werden. Mittlerweile sind entsprechende Gerichtsverfahren anhängig. Nach Ansicht von Verbraucherschützern jedenfalls begehen Banken und Sparkassen beim Weiterverkauf von Immobilienkrediten an Finanzinvestoren „Verrat am Kunden“ und verstoßen gegen das Bankgeheimnis und den Datenschutz.

Das Kleingedruckte

Eines hat M. mittlerweile sehr wohl verifiziert. Zwar hatte der Frankfurter Zahnarzt – wie so viele andere unerfahrene Kreditnehmer auch – zum Zeitpunkt der Darlehensunterzeichnung die Einzelheiten der Verträge nicht wirklich verinnerlicht. Nach seiner festen Überzeugung jedoch hätte ihn seine Hausbank zumindest fragen müssen, ob er mit der Weitergabe wichtiger Unternehmensdaten an Dritte überhaupt einverstanden ist. Denn: Seine Darlehensverträge sehen diese Möglichkeit nicht explizit vor.

Michael VetterFranz-Lehar-Str. 1844319 Dortmundvetter-finanz@t-online.de

Marion Pitzkenzm-Redaktion

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