Aufklären und handeln
Wichtige Informationen zum Thema „Diabetes und Parodontitis“ erhielten die Besucher auf der diesjährigen Diabetes-Messe vom 26. bis zum 28. Februar 2010 in Münster. Das Forum der Bundeszahnärztekammer mit der Firma Colgate Deutschland war bereits zum dritten Mal in Folge auf der Fachmesse präsent und informierte sowohl das Fachpublikum als auch betroffene Patienten.
PD Dr. Henrik Dommisch, Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde Universitätsklinikum Bonn, erläuterte detailliert die Ätiopathogenese der Parodontitis. Bei rund 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland liege eine moderate Form der Parodontitis vor. Von einer schweren Form seien vor allem ältere Patienten (bis zu 22 Prozent) betroffen.
Obwohl parodontal-pathogene Mikroorganismen eine notwendige Bedingung für die Entstehung parodontaler Entzündungen darstellten, sei deren Anwesenheit nicht allein ursächlich für den progressiven Verlauf einer Parodontitis verantwortlich. Vielmehr handele es sich um eine multifakto-rielle Erkrankung, zu deren Entstehung und Progression weitere ätiologische Faktoren beitrügen. Raucher zum Beispiel hätten gegenüber Nichtrauchern signifikant weniger Zähne und wiesen zusätzlich häufiger eine Therapieresistenz gegenüber einer Parodontitisbehandlung auf. Zudem übten genetische Faktoren, systemische und immunologische Erkrankungen sowie Stress entscheidende Einflüsse aus.
Grundsätzlich werde bei Diabetikern häufiger eine Parodontitis diagnostiziert als bei Nichtdiabetikern, so Dommisch. Zudem wiesen Diabetiker eine fortgeschrittenere Zerstörung des Parodonts und einen beschleunigten Verlauf der Erkrankung auf. Ferner wies der Wissenschaftler darauf hin, dass sich die Therapie einer Parodontitis bei Diabetikern nicht wesentlich von der Therapie bei Nichtdiabetikern unterscheide. Eine optimale häusliche Mundhygiene sei Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung in beiden Fällen. Regelmäßige Untersuchungen beim Zahnarzt, professionelle Zahnreinigungen und ein effektives subgingivales Débridement sowie die strukturierte Nachkontrolle seien Bestandteil einer systematischen Parodontitistherapie.
Allgemeingesundheit
Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der BZÄK, erläuterte die Bedeutung der Mundgesundheit für den allgemeinen Gesundheitszustand des Menschen. Dazu stellte er die sozialepidemiologische Datenlage zu Diabeteserkrankungen bei Senioren basierend auf der vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie DMS IV vor. Eine höhere Lebenserwartung und der erfolgreiche Erhalt der eigenen Zähne korrelierten mit Diabetes- und Parodontitiserkrankungen. Die mittelschweren bis schweren Parodontalerkrankungen hätten in der Altersgruppe der 65- bis 74-jährigen Senioren von 1997 bis 2005 deutlich zugenommen. Die Erkrankungsrisiken in Medizin und Zahnmedizin analysierte Dr. Oesterreich, indem er die Verhaltensrisiken, die somatischen und die sozialen Risiken zugrunde legte.
Faktoren wie Bildung und Einkommen bestimmten zum Beispiel sowohl in der Medizin wie auch in der Zahnmedizin ganz wesentlich das Erkrankungsrisiko. An vorderster Stelle seien der Diabetes mellitus, aber auch gleichzeitig die koronaren Herzerkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Osteoporose und Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises genannt. Auch stelle die Parodontitis einen Risikofaktor für Frühgeburten und untergewichtige Kleinkinder dar.
Speziell beim Diabetes zeige sich auch eine auffällige wechselseitige Beeinflussung, die eine Interdisziplinarität in Forschung und Praxis nach sich ziehe. Oesterreich stellte die zurzeit bekannten Zusammenhänge zwischen zahnmedizinischen und medizi-nischen Erkrankungen vor und erläuterte intensiv die Verbindung zum Diabetes. Abschließend wies er auf die Strategien der erfolgreichen zahnmedizinischen Prävention hin, die aus den vier Säulen Mundhygiene, Ernährung, Fluoridierung und zahnärztlicher Kontrolle bestehe.
Wechselwirkungen
Auf die zahnärztliche Kontrolle ging der medizinisch-wissenschaftliche Leiter von Colgate Deutschland, Michael Warncke, ein. Lediglich 13 Prozent der informierten Diabetes-Patienten würden einer Colgate-Umfrage (TNS Emnid, März 2006) zufolge von ihrem Zahnarzt über die Wechselwirkung von Diabetes und Parodontitis aufgeklärt. Und von den gut informierten Diabetikern änderten 40 Prozent ihre Gewohnheiten im Hinblick auf Mundpflege und Ernährung trotz Aufklärung nicht. Zudem ließen nur 26 Prozent der Diabetiker regelmäßige eine Professionelle Zahnreinigung durchführen.
Diese Fakten sollten laut Warncke in der Prävention dennoch nicht entmutigen, denn ein weiteres Ergebnis lautete, dass die zahnärztliche Prävention in der Bevölkerung eher akzeptiert sei als die Vorsorge gegen Allgemeinerkrankungen. Hier verstärkte der Referent erneut den Appell, die eigene Mundhygiene richtig zu betreiben.
Zielgruppenspezifisch
Die Prävention wurde sowohl von Diabetologen als auch von der Gesundheitspolitik auf der Fachmesse als erfolgreichste und effektivste Maßnahme in der Diabetesbekämpfung bezeichnet. Daniel Bahr, Par-lamentarischer Staatssekretär im Bundes-gesundheitsministerium, forderte zielgruppenspezifische Informationen für gefährdete und betroffene Menschen. Die diabetes-förderlichen Lebensumstände in der Gesellschaft gelte es zu verändern.
Einigkeit bestand unter den Teilnehmern des Workshops darin, dass die medizinische Kompetenz des Zahnarztes zunehmend gefordert sei. Daraus ergäbe sich die Chance der Beeinflussung von Verhaltensrisiken, systemischen Erkrankungen und gleichzeitig für die Früherkennung von Allgemeinerkrankungen. Das Potenzial zur Verbesserung der Mundgesundheit der Gesamtbevölkerung gelte es zu nutzen und auszubauen.
Dr. Gordan SistigVorstandsmitglied der KammerWestfalen-LippeAuf der Horst 2948147 Münster