Kein Palaver
Die Alterung der Gesellschaft erfordert einen Umbau des Gesundheitswesens. Doch die Politik setzt lieber auf weiße Salbe, meint Dr. Dorothea Siems, Politikkorrespondentin der Welt, Berlin.
Deutschland ergraut. In den kommenden Jahrzehnten wird der Anteil der Alten stark zunehmen. Das hat gravierende Folgen für die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Sozialkassen. Weil die Bewältigung dieses Wandels für die Zukunft des Landes entscheidend ist, hat die Bundesregierung jüngst in Berlin den ersten Demografiegipfel abgehalten. Das Treffen von Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Verbänden und Wissenschaftlern sollte Wege aufzeigen, wie Deutschland trotz der Alterung fit bleiben kann. Unter der Überschrift „Jedes Alter zählt“ hat die Koalition auch bereits eine Demografiestrategie entwickelt. Das Thema „Gesundheit“ spielt darin eine große Rolle. Schließlich sei diese „entscheidend für Wohlbefinden, selbstbestimmte Lebensführung, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit“, wie es in dem Strategiepapier heißt.
Wer gehofft hatte, dass die Koalition darlegt, welche Weichenstellungen sie für das Gesundheitswesen plant, damit es den demografischen Herausforderungen gewachsen ist, wurde enttäuscht. Recht beliebig werden in dem Papier einige gesundheitspolitische Vorhaben zusammengetragen. So soll es eine Präventionsstrategie mit dem Schwerpunkt „Betriebliche Gesundheitsförderung“ geben. Auch mehr Effizienz bei medizinischen Reha-Maßnahmen wird angestrebt, ebenso eine Kampagne zur besseren Ernährung. Es bleibt im Dunkeln, wie das System bezahlbar bleiben soll, wenn bis 2030 die Zahl der über 80-Jährigen um 50 Prozent steigt und die Anzahl der 65– bis 79-Jährigen um ein Viertel zulegt, während gleichzeitig der Anteil der Aktiven schrumpft.
Die Demografie-Strategie der Regierung nennt als eines der Hauptziele ein selbstbestimmtes Leben im Alter. Schließlich erhofft man sich von der stetig steigenden Lebenserwartung „gewonnene Jahre“. Diese Hoffnung aber wird sich nur erfüllen, wenn das Gesundheitswesen grundlegend reformiert wird und nicht nur wohlfeile Sonntagsreden gehalten werden. Eine älter werdende Gesellschaft wird mehr Geld für die medizinische Versorgung ausgeben müssen. Doch damit die Kosten nicht völlig aus dem Ruder laufen, gilt es umzusteuern.
Drei Punkte sind dabei von Bedeutung: Erstens muss der Vorsorge ein größerer Stellenwert eingeräumt werden. Angefangen von der Aufklärung in der Schule bis zur Vergütung der Ärzte und der Ausgestaltung der Versicherungstarife sollte die Vorbeugung von vermeidbaren Krankheiten wie Altersdiabetes in den Fokus genommen werden. Das Gesundheitssystem dient bislang vor allem als Reparaturwerkstatt. Damit die Menschen länger aktiv bleiben können, muss ein gesellschaftliches Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise entwickelt werden und die Mediziner sind dabei die wichtigsten Multiplikatoren.
Zweitens muss die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung von den Arbeitskosten abgekoppelt werden. Bei einer Umstellung auf einkommensunabhängige Gesundheitsprämien würden steigende Gesundheitsausgaben nicht länger die beschäftigungsfeindlichen Lohnnebenkosten in die Höhe treiben. Bleibt es beim bestehenden Finanzierungssystem wird der Kostendämpfungsdruck in einer alternden Gesellschaft unweigerlich immer stärker werden, dann drohen Rationierung und eine schleichende Verschlechterung der medizinischen Versorgung.
Drittens ist es unabdingbar, die Patienten stärker als bisher an den Ausgaben zu beteiligen. Die Umverteilung von Jung zu Alt im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker ausgeweitet worden. Wenn dieser Trend nicht umgekehrt wird, droht die finanzielle Last die Jüngeren in Zukunft zu erdrücken. Es sind unbequeme Wahrheiten, die eine Demografiestrategie, die diesen Namen verdient, enthalten müsste. Doch die Regierung palavert lieber.
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