Deutscher Zahnärztetag

Vertrauen gewinnen

Das Image des Berufsstands sowie der Wertewandel und dessen Einfluss auf den Qualitätsbegriff waren die Themen, denen sich Vertreter aus Standespolitik, Wissenschaft und Verbänden bei der Eröffnung des Deutschen Zahnärztetags in der Frankfurter Paulskirche stellten. Festredner Prof. Eugen Buß sensibilisierte die rund 400 Gäste, die der Einladung von BZÄK, DGZMK und KZBV gefolgt waren, welche Auswirkungen gesellschaftliche Trends zur Unsicherheitsvermeidung und zur Kurzfristplanung auf den Zahnarztberuf haben.

„Wer nicht genau weiß, wohin er will, der darf sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt.“ Mit diesem Zitat des amerikanischen Schriftstellers Mark Twain begrüßte Dr. Peter Engel, Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die Gäste des Festakts zum Deutschen Zahnärztetag. Bei den aktuellen politischen Entwicklungen und Entscheidungen herrsche in einem solchen Maß Orientierungslosigkeit konstatierte Engel, dass es an der Zeit sei, dass der Berufsstand Orientierung vorgibt. Grundlage für eine solche Orientierung seien gemeinsame Werte, für die Zahnärzteschaft Gemeinwohlverpflichtung, Patientenorientierung, Qualitätsförderung und Freiberuflichkeit.

Belange der Generation Y ernst nehmen

Der Berufsstand sei in doppeltem Maß äußeren Einflüssen ausgesetzt: zum einen den gesellschaftlichen Veränderungen, zum anderen professionsfremden Einflüssen vonseiten der nationalen und der europäischen Politik. „Mit seiner Transparenzinitiative will Brüssel die Berufszugangsregeln für regulierte Berufe überprüfen“, warnte Engel. Auch vor der Verkammerung Freier Berufe mache die Kritik nicht halt. „Wenn wir hier nicht aktiv und frühzeitig entgegenwirken, könnte die Erfolgsgeschichte der Freiberuflichkeit mittelfristig beendet sein.“ Schon seit Längerem fordere die Bundeszahnärztekammer die Politik deshalb auf, sich für eine Charta der Freien Berufe einzusetzen. Auch von Berlin aus werde die freie Ausübung des Heilberufs „mehr und mehr ausgebremst“, beklagte der Präsident und nannte beispielhaft die „hochkomplexe, gesetzliche Regelungsdichte“, „Dokumentationszwänge“ und „Überbürokratisierung“.

Zusätzlich gebe es Veränderungen, die aus dem Inneren des Berufsstands kämen, denen man sich gar nicht verschließen wolle, so Engel weiter. Besonders vor dem Hintergrund des gestiegenen Bedürfnisses der Generation Y nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dürften sich eine Tätigkeit als freiberuflicher Zahnarzt und eine ausgewogene Work-Life-Balance nicht ausschließen, forderte er: „Es darf keinen Zweifel an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geben. Das sind wir den jungen Kolleginnen und Kollegen schuldig.“ Darum gelte es, sowohl die Politik als auch die viel zitierte Generation Y von den Werten des Zahnarztberufs als Freier Beruf zu überzeugen und sie dafür zu begeistern. Engel: „Damit die heute junge Generation noch in 20 Jahren sagen kann: Ich bin Zahnarzt. Und das ist auch gut so.“

Damit der künftigen Zahnarzt-Generation ein solches Fazit überhaupt möglich ist, müsse sich auch etwas am Image der Branche ändern, forderte Prof. Bärbel Kahl-Nieke, Präsidentin der DGZMK. Sie könne es nicht ertragen, wie diametral sich Präventions- und Therapieangebote auf der wissenschaftlich-klinischen Seite „und unser Image auf der gefühlten und gerne gedruckten Seite entwickeln und bereits entwickelt haben.“ Noch nie habe der Berufsstand so interdisziplinär und individualisiert wie heute getickt, diagnostiziert und therapiert, befand Karl-Nieke – allerdings ohne, dass dies die öffentliche Wahrnehmung maßgeblich beeinflusst habe.

Die Zahnärzteschaft habe auch deshalb mit einem Imageproblem zu kämpfen, weil es einige wenige graue oder schwarze Schafe gibt. „Wir haben es nötig, gegenzusteuern. Nicht, weil die Bad Boys und Girls so zahlreich, sondern weil sie so publikumswirksam sind“, stellte Karl-Nieke fest und verwies auf entsprechende Presseberichte. Letztlich habe es aber jeder Zahnarzt selbst in der Hand, sein Image zu pflegen, erklärte sie: „durch gute Arbeit, mit Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde 2014 und durch professionelles Verhalten“. Neben der Imagepflege des Berufsstands stehe die Qualität im Fokus. „Es geht darum, Qualität zu leben, täglich im ersten Patientengespräch, in den diagnostischen Maßnahmen, in der Darstellung der Therapieoptionen und am Ende natürlich in der Therapie selbst.“ Das wissenschaftliche Programm auf dem Deutschen Zahnärztetag, schloss die DGZMK-Präsidentin, biete den Zahnärzten genug Fortbildungsmöglichkeiten, sich im Sinne einer modernen und präventionsorientierten Zahnheilkunde gut aufzustellen.

Der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer erinnerte daran, dass der Berufsstand in seinem Leitbild ein Selbstverständnis und Grundprinzipien formuliere.

Diese Haltung ergebe sich schon aus einem christlichen Menschenbild. Darum bekenne sich die Zahnärzteschaft zur Verantwortung für die Gesellschaft.

Planungssicherheit für Nachwuchs sichern

„Für die KZBV, die BZÄK und die DGZMK kommt diese Verantwortung in ihren Präventions- und Versorgungskonzepten für Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderung, mit eingeschränkter Alltagskompetenz und für die ganz Kleinen zum Ausdruck.“ Nachdem seit April 2014 Pflegeheime mit Zahnärzten zusammenarbeiten können, um Pflegebedürftige im Heim zahnmedizinisch zu betreuen, sei die Zahl derartiger Kooperationsverträge „von null auf mehr als 2 000“ gestiegen.

Mit Blick auf eine aktuelle Analyse der KZBV betonte Eßer, die Sicherstellung der wohnortnahen und flächendeckenden Patientenversorgung sei gewährleistet. Vielmehr lasse sich – anders als im ärztlichen Bereich – eine gute zahnmedizinische Versorgung insbesondere in ländlichen Gebieten ausschließlich durch Einzel- oder Gemeinschaftspraxen sichern. Dementsprechend müsse sich der Berufsstand die Frage stellen, ob und wie auch in Zukunft ausreichend junge Zahnärztinnen und Zahnärzte motiviert werden können, in die freie Niederlassung zu gehen. Da Praxisneugründungen mittlerweile ein Investitionsvolumen von etwa 400 000 Euro erfordern, wiege es umso schwerer, „dass von Planungssicherheit angesichts gehäufter staatlicher Eingriffe keine Rede mehr sein kann“, so Eßer. „Überbordende Bürokratielasten rauben die für die Behandlung erforderliche Zeit, gleichzeitig lastet ein ungeheurer unternehmerischer Druck auf den Praxen.

Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage sei es zusätzlich kontraproduktiv, dass über den niederlassungswilligen Kollegen künftig auch noch der Generalverdacht der Korruption schwebt, erklärte er mit Blick auf die Pläne der Bundesregierung, einen Korruptionsstraftatbestand für das Gesundheitswesen zu schaffen. Die jüngsten Vorstöße der Politik könne er nur „als unverhohlenen, überflüssigen Populismus bezeichnen“. Die Realität sei sehr viel komplexer: Schwarze Schafe gebe es in allen Schichten von Gesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung – und nicht zuletzt auch in der Politik.

Der zahnärztliche Berufsstand bekenne sich seit langer Zeit zu dem Prinzip „Null Toleranz“ gegenüber korruptem Verhalten, betonte Eßer. Die bereits bestehenden Sank- tionsmaßnahmen seien ausgesprochen hart und reichten bis zum Entzug der Zulassung. „Es bedarf also keines zusätzlichen Straftatbestands“, bilanzierte er. „Deshalb fordern wir den Gesetzgeber nachdrücklich auf, sich von diesem Vorhaben zu distanzieren.“ Generell vermisse er ein grundsätzliches Klima des Vertrauens gegenüber den Heilberufen in der Gesellschaft, in der Politik, aber auch bei den Kostenträgern.

Die wichtigsten Werkzeuge des Zahnarztes sind Worte

Festredner Prof. Eugen Buß, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart, führte das Fehlen dieses Vertrauensklimas auf den Wertewandel in der Gesellschaft zurück, der von einem steigenden Wunsch der Unsicherheitsvermeidung und einem schleichenden, allgemeinen Vertrauensverlust geprägt sei. Hinzu komme ein gefühlter Zeitdruck, der die Menschen zunehmend zu situativen, in der Politik gern als alternativlos bezeichneten Entscheidungen dränge. „Die Zeit, alle Alternativen gründlich zu durchdenken, glaubt sich keiner mehr nehmen zu können.“

Die wachsenden Vertrauensdefizite erstreckten sich auf die Demokratie selbst, auf Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht oder auf die Informationen von Unternehmen – und hätten direkte Folgen für die Zahnärzteschaft. Buß: „Image und Wirkung sind mittlerweile von anderen Faktoren abhängig als noch vor ein paar Jahren.“ Dazu gehörten heute etwa die Kultur einer Zahnarztpraxis wie auch das darin praktizierte Kommunikationsverhalten. „Worte sind heute die wichtigsten Werkzeuge eines Zahnarztes“, sagte Buß und beschrieb soziologische Experimente, die zeigten, dass allein die Vertrauensbeziehung zum Behandler eine nicht signifikante Wirkungskraft hat.

Da Kommunikation das Leitmedium von Vertrauen sei, ergebe sich hieraus ein ganz neues Kommunikations-Postulat. Die Koordinaten der allgemeinen Alltagswahrnehmung hätten sich derart verschoben, das dies auch Folgen für den Berufsstand der Zahnärzte habe, erläuterte Buß. „Wir sind eine Gesellschaft geworden, die nur noch in Optionen denkt“, sagte er. Außerdem sei eine Tendenz weg von einer Gemeinwohlorientierung – hin zum Individualismus erkennbar. Da die zunehmend individualistisch denkenden Menschen neben Selbst-erfüllung vor allem nach Unsicherheitsvermeidung strebten, sei abzusehen, dass die Regelungsdichte in Deutschland weiter zunehmen werde. Buß: „Die freiberufliche Selbstverwaltung scheint in ein schwieriges Fahrwasser zu kommen.“

Wenn aber das Sicherheitsbedürfnis zunimmt, wachse auch die Bedeutung von Vertrauen, so der Soziologe. „Vertrauen schafft Sicherheit und Vertrauen spart Zeit.“ Und die werde in Zukunft gefühlt immer knapper. Patienten seien immer weniger bereit, prognostizierte Buß, sich in eine symbolische Warteschlange einzureihen. Im Vordergrund stehe künftig zudem immer weniger der Nutzen eines Produkts oder einer Dienstleistung, sondern deren „Erlebniswert“.

Erlebniswert gewinnt beim Arztbesuch an Bedeutung

Vor dem Hintergrund des empfundenen Zeitdrucks werde neben der Qualität einer Behandlung deren zeitnahe Verfügbarkeit weiter an Bedeutung gewinnen, erklärte er und warnte, dass es schwerwiegende Folgen habe, wenn perspektivisch das Zeitfenster für die Verständigung mit dem Patienten knapp werden könnte. „Sie handeln dann auf Basis einer Konsensfiktion.“

Die Menschen wünschten sich zunehmend „ein Stück Brokat auf einer grauen Tapete“, also kleine Glücksmomente im schnelllebigen Alltag, schloss der Festredner. „Zeitdruck ist immer ein Kulturgut. Heute ist es doch so: Wer zugibt, dass ein Ziel Zeit hat, diskreditiert es damit selbst“, sagte Buß und erinnerte sehr zum Amüsement seiner Zuhörer an ein heute undenkbares und höchst symbolträchtiges Verhalten zur Zeit Ludwig XIV: „Damals führten vornehme Bürger Schildkröten an einer Leine aus, um zu zeigen, dass sie alle Zeit der Welt hatten.“

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