Editorial

Hilfsbereitschaft allein reicht nicht aus

Ob die Flüchtlingslage mit dem Wort „erdrückend“ richtig beschrieben ist? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, bedrückend ist die Situation jedoch allzumal. Bedrückend deshalb, weil – abgesehen von der Empathie für die persönlichen Schicksale der Menschen – die Situation vor Ort in und um die Unterbringung angesichts der schieren Zahl alles andere als „einfach“ ist. Ein Dach über dem Kopf, Kleidung und etwas zu essen und zu trinken reichen eben nicht, und „ein bisschen“ Gesundheits- versorgung gemäß Asylbewerberleistungsgesetz – aber nur bei starken Schmerzen oder im Akutfall – schon gar nicht. Denn auch mit der elektronischen Gesundheitskarte, die Länder wie Bremen und Hamburg sowie Nordrhein-Westfalen ab 2016 an die Asylbewerber ausgeben, wird sich der gesetzlich gegebene Versorgungsumfang ja nicht ändern, sondern nur die Situation, dass der Flüchtling im Fall notwendiger medizinischer und zahnmedizinischer Behandlung sich keinen Schein mehr holen muss. Die Verwaltung wird halt etwas einfacher, der Leistungsumfang aber keinesfalls.

Doch zurück zur Versorgungsrealität. Ohne die vielen engagierten Helfer, darunter zahlreiche ZahnärztInnen und ÄrztInnen, sähe die Betreuungslage deutlich schlechter aus. Ohne diese grandiose Leistung – ohne die, das sei an dieser Stelle deutlich gesagt, es auch in Zukunft nicht gehen wird – ist es an der Zeit, dass die Politik nicht nur über Willkommenskultur schwadroniert, sondern endlich die notwendigen Aufgaben angeht. Denn, so meine Einschätzung, die Flüchtlingswelle ist noch lange nicht zu Ende, es wird weiterer Zuzug von Menschen aus fremden Kulturkreisen erfolgen. Deshalb müssen die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern, dem Bundesministerium für Gesundheit und dem für Inneres endlich so geregelt werden, dass diese der Situation der enormen Anzahl von Flüchtlingen gerecht werden. Wie kann es bitte sein, dass die Versorgungsregeln auch noch kommunal differieren? Oder dass man die Heilberufler in Anbetracht der sprachlichen Vielfalt und damit einer fast unmöglichen Verständigung mit den Patienten dergestalt im Regen stehen lässt, dass Justitia nach geltendem Recht auch bei Asylbewerbern die – wohlgemerkt vom Patienten umfänglich verstandene – Aufklärung vor die Behandlung setzt. Die dafür notwendigen Dolmetscher? Am besten sie holen sich eine Lupe.

Es gibt zurzeit viele Ansätze bei Kammern und KZVen sowie auch bei der BZÄK und bei der KZBV, den Problemen konstruktiv Herr zu werden. Anamnesebögen in unterschiedlichsten Sprachen, die Entwicklung von speziellen Piktogrammen, um eine Minimalverständigung zu ermöglichen, und viele weitere Initiativen werden dazu beitragen. Doch der Appell der Politik an die ehrenamtliche Hilfe der Zahnärzte ist das eine, allzumal diese bisher quasi von ganz alleine bereits hervorragend funktionierte. Es muss aber schnellstens Klarheit darüber her, wie der Behandlungsumfang etwa für die Schmerz- und Erstbehandlung realistisch abgebildet und dann auch verlässlich abgerechnet werden kann. Und auch wie Flüchtlingskinder zu behandeln sind. Oder brauchen die keine Präventionsleistungen? Eine Herkulesaufgabe für BZÄK wie auch KZBV, nicht nur inhaltlich, sondern auch, weil rasche Antworten angesichts der Lage zwingend notwendig sind.

Wir werden als zm die nächsten Ausgaben nutzen, die bereits vorhandenen Hilfsmittel, wie Anamnesebögen in unterschiedlichen Sprachen, zu sammeln und Ihnen aufzuzeigen, und Sie über die Suche nach Lösungen aktuell informieren. Ich fürchte nur, dass all die Aktivitäten nicht ausreichend sein werden. Vielleicht wäre es gut, wie weiland Helmut Schmidt angesichts der immer bedrohlicher werdenden Lage bei der großen Sturmflut in Hamburg einfach unkonventionelle Lösungswege zu beschreiten. Dies wäre auch in dieser Situation möglich, wenn man für die Eingangsuntersuchungen in den Erstaufnahmelagern zum Beispiel zur Unterstützung des personell ausgebluteten ÖGD zahnärztliche Einheiten der Bundeswehr einsetzen würde.

Ach, ich vergaß, das ist ja nicht erlaubt …

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