Pro dente oder pro dentist?

Sinn und Sein der KZVen

Das deutsche GKV-System, einzig in der Welt, schlägt immer wieder Kapriolen … sogar bis ins Kanzleramt. Dort ist der Nationale Normenkontrollrat zu Hause, der sich mit viel bürokratischem Aufwand um den Bürokratieabbau in Arzt- und Zahnarztpraxen kümmert. Doch oft genug gibt der bürokratisierte vertragszahnärztliche Alltag schon genügend Frust und Grimm, als dass er es noch hinter die Barrieren des Berliner Amtes schaffen müsste. Erfahrungen mit dem gesunden Menschenverstand im GKV-System.

Da sind die Krankenkassen, denen man es ja nicht verdenken kann, dass sie als quasi anonyme Zahler wissen wollen, wohin ihr Geld geht. Sie wissen, wo in der Selbstverwaltung von Krankenkassen und Zahnärzten der Hammer hängt.

Und die KZVen? Man weiß es nicht so recht. Mal so, mal so. Da ist der formale Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der aus einer KZV schnell den Staatsdiener mit viel Schulterlametta macht und da sind der satzungsmäßige Auftrag und ja wohl auch der Anspruch, die Interessen der Zahnärzteschaft zu vertreten. Die KZV – ein Januskopf. Manchmal hat man den Eindruck, dieser Januskopf hängt schief. Alles ist möglich zwischen Frohsinn und Widersinn.

Der Sinn

Nach § 19a des Bundesmantelvertrags – Zahnärzte (BMV-Z) obliegt es den KZVen, nicht nur Honorarforderungen der Zahnärzte rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und gegebenenfalls zu berichtigen, sondern sie haben auch die Befugnis, Verstöße gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung festzustellen und zu ahnden.

Nun weiß ja jede Vertragszahnärztin und jeder Vertragszahnarzt, dass mit einer ZE-Behandlung erst begonnen werden sollte, nachdem der HKP erstellt und die Krankenkasse einen Zuschuss gewährt hat. Damit soll u. a. zum Ausdruck gebracht werden, dass die geplante Versorgung ausreichend und zweckmäßig ist, das Maß des Notwendigen nicht überschreitet und wirtschaftlich erbracht wird. Wer kennt diese nach den Zehn Geboten wesentliche Alltagsnorm nicht?

Und jeder wird anerkennen, dass diese Regelung in unserem GKV-System auch an sich gute Gründe hat: Die Krankenkasse wird vorab über den womöglich kostenintensiven Behandlungsumfang einer Neuversorgung oder die Tragedauer des alten, jetzt zu ersetzenden Zahnersatzes informiert. Gesetzgeber und Selbstverwaltung von Krankenkassen und Zahnärzten tragen ja nicht immer Ärmelschoner. Daher verwundert es nicht, dass diese Vorschrift eine Soll-Vorschrift ist (Anlage 12, § 2 Abs. 1 BMV-7), von der in besonders gelagerten Fällen offensichtlich auch abgewichen werden kann.

Wir wissen auch, dass Juristen sich vielerorts als die Hochmeister und Gralshüter der deutschen Sprache sehen, was zumindest gelegentlich mit dem profanen Hochdeutsch von Otto Normalbürger nicht übereinstimmt. Nur so ist zum Beispiel zu erklären, dass Otto Normalverbraucher die Begriffe „soll“ und „muss“ nicht gleichsetzt. Warum unterscheiden wir hier die jeweilige Tragweite der Begriffe? Wenn meine Mutter zu meiner Schulzeit sagte, ich solle meine Hausaufgaben machen, so bedeutete das keineswegs, dass ich sie auch machen musste … Juristen denken hier anders.

So haben Richter des Schleswig-Holsteinischen Landesozialgerichts einmal in einem Urteil formuliert, dass die Verwendung des Wortes „soll“ im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch [Anm. d. Verf.: Gibt es auch einen speziellen?] ein „Muss“ bedeutet, von dem nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Das klingt sogar vernünftig. Das macht Sinn!

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Der Leichtsinn

Natürlich kannte unser Behandler diese Regelungen, hält diese auch grundsätzlich für sinnvoll [auch der Begriff „grundsätzlich“ hat im Juristendeutsch eine eigene aparte Note!]. Daher wusste er auch, dass eigentlich abgewartet werden soll mit dem Beginn der Behandlung, bis die Krankenkasse den Festzuschuss gewährt hat. Aber war „sein Fall“ nicht einer, bei dem in Ausnahmesituationen von diesem Regel-Muss abgewichen werden konnte?

Da hatte er doch einen Patienten vor einer notwendigen endodontischen Behandlung die über 20 Jahre alte Molaren-Einzelkrone entfernt und nach Abschluss der Endo-Therapie wegen massiven Substanzverlusts den Zahn mit einer neuen Krone versorgt. Dummerweise war er dabei schneller als seine Praxisverwaltung, und so nahm das Verhängnis seinen Lauf. Letztlich lag das auf dem HKP vermerkte Eingliederungsdatum einen Tag vor dem Bezuschussungsvermerk der Krankenkasse. Keiner in der Praxis kam auf den Gedanken, diese „Dateninkongruenz“ „in Ordnung zu bringen“. Warum auch?

Erneuerung einer zwanzig Jahre alten Einzelkronenversorgung, noch dazu nach einer endodontischen Behandlung, die nach heutigem Erkenntnisstand eher die sofortige endgültige Versorgung fordert. Dazu ein Festzuschuss von rund 175 Euro, der ja auch nicht dem Zahnarzt, sondern dem Patienten gewährt wird. Kein Betrag, der das System GKV ins Wanken bringt. Und gibt es nicht auch bei Krankenkassen einen Ermessensspielraum?

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Der Unsinn

Man sollte meinen, das die Sachbearbeiter beim Kostenträger aufgrund der Sachlage bei der vorgenommenen (?) Hintergrundrecherche ebenso gedacht hätten. Doch mit der Gründlichkeit dieser deutschen Krankenkasse ist das offensichtlich nicht das bestmeinende Geschäftsgebaren. Irren ist bekanntlich menschlich – hier ist es für den leichtsinnigen Zahnarzt höchst ärgerlich. Vielleicht ist er ja auch nur das „Opfer“ der Segnungen eines simplen Computerprogramms. Jede Krankenkasse sucht ihr Alleinstellungsmerkmal.

Hier bei der Deutschen ist es eine Spezialsoftware und die macht folgendes: Der Computer spuckt automatisch die HKPs aus, bei denen Eingliederungs- und Bewilligungsdatum nicht übereinstimmen. Die Software dazu wird angeblich bei allen Krankenkassen eingesetzt. Während aber wohl bei den allermeisten mit dem Faktor Mensch die Spreu vom Weizen, das Geringfügige vom massiven Regelverstoß individuell getrennt wird, ist der Computer der Deutschen Krankenkasse, mit dem Schreibprogramm für die Regressforderung, dem Erkennungsprogramm für die „betroffene“ KZV und dem automatischen Eintütungsprogramm in den Briefumschlag vernetzt. Insoweit gebührt dieser Krankenkasse hier ein Alleinstellungsmerkmal.

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Der Irrsinn

Man sollte meinen, dass die KZV, die ja auch durch dieses Alleinstellungsmerkmal mit Arbeit versorgt wird, sich fragt, warum denn andere Krankenkassen diese EDV-Segnungen nicht nutzen. Und da die KZV sich das natürlich fragt, fragen wir uns, warum sie den wiehernden Amtsschimmel füttert. Sie könnte doch eine Geringfügigkeitsregelung vereinbaren. Da der Zuschuss ja letztlich gewährt und damit die Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit attestiert wurde, ist der Verwaltungsaufwand bei allen Beteiligten allemal höher als 175 Euro. Doch eine KZV ist halt eine K.d.ö.R. – ein Körperschaft des öffentlichen Rechts. Und da gilt: Prinzip ist Prinzip. Jawoll!

So wird der leichtsinnige Behandler von ihr natürlich zur Stellungnahme aufgefordert. Der begründet den Ausnahmefall, der von der KZV verworfen wird. Der Regress gilt. Natürlich steht der Rechtsweg offen, die „Rechtsbehelfsbelehrung“ weist darauf hin. Natürlich umfängt unseren Behandler der Grimm. Im ersten Moment wiederbelebt er Michael Kohlhaas, sieht sich vorm Bundesverfassungsgericht und pilgert im Zorneswahn vor den Europäischen Gerichtshof.

Das wiederum ist kein Alleinstellungsmerkmal. Kaum ein anderer Berufsstand schreit so oft nach den Grundrechten und nach der Verfassungsmäßigkeit. Doch das „Einmal-drüber-schlafen“ lässt nüchterne Erkenntnisse obsiegen. Angesichts der geringen „Schadenssumme“ bleibt der Fall in der Etappe hängen. Ein Urteilsspruch ist vorhersehbar. Schließlich braucht der Sozialrichter nur beim LSG Schleswig-Holstein abschreiben. Leicht verdientes Richtergeld.

Bleibt die Frage: Was wäre passiert, hätte die KZV den Widerspruch nicht zurückgewiesen, hätte den Ausnahmefall bestätigt, hätte hier zuerst die Interessen des Zahnarztes im Auge gehabt? Hätte die Krankenkasse geklagt? Wenn ja, wäre es nicht eine gute Gelegenheit gewesen, einige Ausnahmefälle festzulegen? Wäre das nicht nur pro dente, sondern pro dentist?

Tja, so ist das in unserem weltweit gelobten GKV-System: Wenn sich Sinn und Unsinn paaren, wenn sich Leichtsinn und Irrsinn rauft, da kommt kein Frohsinn auf!

Wenn Sie, geneigter Leser, auch bisweilen diesen Eindruck haben, dass der Januskopf schief hängt, berichten Sie uns doch von Ihren Erfahrungen. Gemeinsam fragen wir nach dem Sinn – und stellen ihn womöglich infrage. Alles ist möglich zwischen Frohsinn und Widersinn.

Kevin Kemp

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